Im Kino: Agora und Die Fremde:Der Wunsch, sie zu knechten

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Ächtung, Verfolgung, Hexenjagd: In zwei neuen Filmen ziehen Fundamentalisten in den Kampf gegen die selbstbestimmte Frau. Sie wollen sie vernichten.

Rainer Gansera

François Truffaut war es, der das Kino einst als "Frauen-Kunst" definierte - dazu berufen, das Weibliche zu preisen und zu verteidigen, das Mysterium der Frau immer wieder zu feiern. Und mit ihm die Schönheit, die Freiheit, die Selbstbestimmung, die Intelligenz. Gegen Fundamentalismus und erstickende patriarchale Strukturen, gegen Männer also, die ihre Herrschaft auf die Unterdrückung der Frau gründen.

Zwei aktuelle Filme schreiben sich das von Neuem auf ihre Fahnen: Alejandro Amenábars "Agora - Die Säulen des Himmels" und Feo Aladags "Die Fremde". Im Genre äußerst gegensätzlich - hier das aufwendige, spektakuläre Historienstück, dort das intim und realistisch erzählte Jetztzeitdrama -, aber beide handeln von Ächtung, Verfolgung, Hexenjagd.

Alexandria im vierten Jahrhundert nach Christus. In schwarze Gewänder gehüllte, bärtige Männer tauchen in den Straßen der Stadt auf. Sie verteilen Brot an die Armen und schleudern ihre Hass-Predigten in die Menge: "Gott schenkt uns die Kraft, wir werden diese Stadt vom Unglauben reinigen". Es sind keine Muslime - es sind Christen. Die fanatische Bruderschaft der "Parabolani" ist die Speerspitze des Fundamentalismus zu einer Zeit, als im Römischen Reich das Christentum zur Staatsreligion avanciert.

Das schlimmste: Sie ist eine Frau

Diese Christen werden zu Pogromen gegen Juden, "Heiden" und allzu liberale Glaubensbrüder aufhetzen. Sie mobilisieren den Pöbel, ergreifen die Macht, legen die legendäre Bibliothek in Schutt und Asche und haben es besonders auf die schöne Philosophin Hypatia (Rachel Weisz) abgesehen. Die repräsentiert, klug und einflussreich, eine Offenheit des Denkens, eine Eleganz der Lebensart und einen aufgeklärten Humanismus. Das Schlimmste aber - sie ist eine Frau.

Alejandro Amenábar ("The Others", "Das Meer in mir") bedient sich eines Genres, das üblicherweise muskelbepackte Männer auf Schlachtfelder schickt und Christen als Märtyrer zeigt. Er behält den spektakulären Gestus des Antikenfilms bei, stellt ihn aber in den Dienst einer Frau, die ihre astronomischen Forschungen zur Poesie und ihren Syllogistik-Unterricht zum Toleranzexempel macht: "Wenn zwei Dinge sich gleich zu einem Dritten verhalten, dann sind sie auch zueinander gleich. Uns alle verbindet mehr als uns trennt."

Amenábar zeichnet die christlichen Fanatiker so, dass darin die Fundamentalisten jeder Religion zu erkennen sind. Sie müssen heilige Schriften pedantisch auslegen, Metaphern verdinglichen; sie haben in der Religion eine Möglichkeit gefunden, ihren Welt- und Menschenhass auszuagieren. Bei Gott beschaffen sie sich ihre Tötungslizenz. Und das große, gefürchtete Andere, das besonders geknechtet werden muss, ist die unzähmbare Frau.

In seinem Roman "Die Versuchung des Synesios" widmet Stefan Andres das erste Kapitel dem "Tod der Hypatia" und beschreibt ihre Widersacher so: "Man sah es diesen Männern aus der Wüste an, wie sehr sie das Weib hassten!" Wobei "das Weib" nicht nur Hypatia, sondern das ganze weibliche Geschlecht meint. Andres attestiert den Fanatikern das, was auch Amenábar beklemmend spürbar macht: ihr Sadismus ist ein Racheakt gegen die eigenwillige Hermetik der Frau, ihr Machtwille ist im Kern Vernichtungswille.

Lesen Sie auf Seite 2, welche Ursachen Frauenfeindlichkeit in Sibel Kekillis neuem Film "Die Fremde" hat.

Im Video: Alejandro Amenabars Agora, ein historisches Drama mit Rachel Weiz als die Philosophin Hypatia von Alexandria www.agora-derfilm.de

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In Die Fremde tauchen religiöse Fanatiker nicht auf. Hier steckt die Frauenfeindlichkeit bereits im Verhängnis traditioneller Familienstrukturen. Es geht um den Fall eines "Ehrenmordes" in einer türkischen Familie. Schauplatz Berlin. Der Bruder soll die Schwester töten, weil sie die "Ehre der Familie geschändet" habe. Was aber hat die 25-jährige Umay (Sibel Kekilli) getan? In Istanbul ihren gewalttätigen Ehemann verlassen. Mit ihrem kleinen Sohn ist sie nach Berlin geflohen, um Geborgenheit bei ihrer Familie zu finden und ihr Leben selbst zu gestalten. Damit verstößt sie fundamental gegen eine Tradition, die männliche Identitätsfindung per Dominanz und Besitzanspruch definiert.

Zorngeladene Blicke

Packend wie einen Thriller komponiert die in Wien geborene Feo Aladag ihr Regiedebüt. Auch wenn manche Story-Wendung allzu fernsehspielhaft austariert erscheint, überzeugt "Die Fremde" vor allem durch Sibel Kekillis Darstellung einer jungen Frau, die ihre Demütigung nicht länger ertragen will. Bilder und Szenen, die sich einprägen: der zorngeladene Blick gegen den älteren Bruder, der ihr das Wort verbieten will. Der schreckliche Moment, in dem ihr klar wird, dass sie - nach ihrem Umzug ins Frauenhaus unter Polizeischutz - zu einer Geächteten geworden ist.

Umay folgt keinem Programm, nur ihrem Gespür, trifft einen Mann, der sie umwirbt und nicht in Besitz nehmen will. Einmal hantieren die beiden in der Großküche, in der sie arbeiten, und Umay fragt: "Mache ich was falsch?" Antwort: "Nein, du machst alles richtig." Da lächelt sie, als hätte sie plötzlich eine für unmöglich gehaltene Leichtigkeit des Seins entdeckt.

In beiden Filmen finden sich die eindrucksvollsten Passagen, wenn die Heldinnen als Geächtete markiert sind und die Hetzjagd beginnt. Da sagen sich ehemals Vertraute los, da finden sich Vermittler, die es ach so gut meinen und die Gefahr völlig unterschätzen. Die Gewalt, die aus den Tiefenschichten eines sozial tolerierten Ressentiments aufsteigt, hat etwas Unheimliches, Dämonisches. Dagegen helfen gut gemeinte Ratschläge wenig. Es bleibt die bedrängende Frage: Wie lassen sich solche Ressentiments auflösen? Welcher Zauber könnte hassverdunkelte Augen wieder für die Wahrnehmung von Schönheit und Freiheit öffnen?

AGORA, Spanien 2009 - Regie: Alejandro Amenábar. Buch: Amenábar, Mateo Gil. Kamera: Xavi Giménez. Musik: Dario Marianelli. Mit: Rachel Weisz, Max Minghella, Oscar Isaac. Tobis, 126 Min.

DIE FREMDE, D 2010 - Buch und Regie: Feo Aladag. Kamera: Judith Kaufmann. Musik: Max Richter, Stéphane Moucha. Mit: Sibel Kekilli, Settar Tanriögen, Derya Alabora. Majestic, 119 Minuten.

© SZ vom 11.3.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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