Im Gespräch: Helen Mirren:"Ich liebe Frauen"

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Helen Mirren, die Königin der starken Altersrollen, über sexistische Drehbücher, grantige Schauspielerkollegen und die Ungerechtigkeiten in der Bezahlung ihres Jobs.

Anke Sterneborg

Es mag daran liegen, dass Helen Mirren auch vor riskanten oder unvorteilhaften Situationen nicht zurückschreckt, ob sie als "Calendar Girl" in reifem Alter für einen erotischen Kalender posiert oder so übermenschlich kontrollierte Frauen spielt wie die englische Queen. Ihre Rollen, wie jetzt als Tolstois Ehefrau Sofja in "Ein russischer Sommer", werden jedenfalls immer spannender und komplexer. Ihre zierliche Gestalt wirkt ausgesprochen feminin, die klare Aussprache verrät ihre Bühnenherkunft. Für kurze Momente scheint auch eine verschmitzte Mädchenhaftigkeit auf.

"Man geht ans Spielen zunächst nicht als Russin oder Engländerin heran. Auch nicht als Frau oder Mann. Sondern als menschliches Wesen." (Foto: Foto: reuters)

SZ: Muss ich mir Sorgen machen? Es heißt, dass Sie lieber von Männern interviewt werden... Helen Mirren: Nein, ich liebe Frauen. Dieser Vorbehalt gilt nur für England, weil es dort eine Sorte Journalistinnen gibt, die vor allem gemein und gehässig sind - das gibt es nirgendwo sonst auf der Welt. Mein Problem ist, dass ich Frauen gegenüber immer offener bin. Umso enttäuschender ist es, wenn das gegen mich verwendet wird. Deshalb bin ich in England inzwischen vorsichtiger.

SZ: Hat Ihre russische Abstammung bei der Darstellung von Sofja Tolstoi eine besondere Rolle gespielt?

Mirren: Man geht ans Spielen zunächst nicht als Russin oder Engländerin heran. Auch nicht als Frau oder Mann. Sondern als menschliches Wesen. Man betrachtet die Figur als anderes menschliches Wesen, und fragt sich, wie man sie so wahrhaftig wie möglich spielen kann. Am Set kam es mir dann allerdings schon so vor, als sei ich in eine lebensechte Version der russischen Familienfotos hineingeraten, die ich kannte. Manche davon sahen wirklich genauso aus wie die Filmszenen.

SZ: Ihre Mutter stammt aus der englischen Arbeiterklasse. Wie verträgt sich das mit der russischen Aristokratie?

Mirren: Wir sind alle Mischlinge, eine wunderbare Verbindung verschiedenster Einflüsse, und der Krieg ist ein gutes Rührwerk der Nationalitäten. Das liebe ich - ich glaube nicht an Reinrassigkeit.

SZ: Welche Freiheiten nehmen Sie sich beim Spielen historischer Persönlichkeiten wie Sofja Tolstoi?

Mirren: Bei Sofja ging es darum gar nicht - ich hatte ein brillantes Drehbuch und wollte sie wie eine fiktive Figur spielen. Königin Charlotte dagegen, in "The Madness of King George", war im Skript so wenig entwickelt, dass ich das Gefühl hatte, ich bräuchte Recherche, um die Lücken zu füllen. Ganz am Ende des Films sieht man die echte Sofja in diesem Stückchen Dokumentarmaterial. Ich wünschte, ich hätte das vorher gesehen, weil man darin erkennen kann, was für eine kraftvolle Person sie war. Im Gehen verströmt sie enorme Autorität und großes Selbstbewusstsein.

SZ: Was vermutlich eher selten ist bei einer Frau dieser Zeit...

Mirren: Das würde ich nicht sagen, aus den äußeren, gesellschaftlichen Umständen zieht man oft falsche Schlüsse. Die Wirklichkeit ist da oft überraschend anders. Frauen ziehen gerade aus widrigen Umständen, die sie scheinbar schwächen, Stärke und Kraft. Meine etwas jüngere Großmutter war eine sehr starke Persönlichkeit.

Lesen Sie auf Seite 2, warum sich Feminismus und hochhackige Schuhe nicht ausschließen.

SZ: Bei den vielen interessanten Rollen, die Ihnen derzeit angeboten werden, dürften Sie das Alter nicht als Problem sehen. Oder doch?

Mirren: Es liegt in der Natur der Sache, dass die Rollen mit zunehmendem Alter interessanter werden. Aber das Alter kann doch zum Problem werden, für Frauen etwas mehr. Das hat mit der Natur dieses Berufes zu tun, in dem man sein Gesicht hinhalten muss. Die Leute schauen einfach lieber in jüngere Gesichter. Aber Sie haben recht - ich hatte unglaubliches Glück. Der Trick ist, dass man immer beschäftigt bleibt, was gar nicht so leicht ist, weil alles Mögliche dazwischenkommen kann: Familie, Gesundheit, falsche künstlerische Entscheidungen.

SZ: Sie schrecken auch vor Rollen nicht zurück, die auf den ersten Blick recht unsympathische Rollen sind. Haben Sie niemals Angst?

Mirren: Beim Spielen habe ich immer Angst! Man fürchtet sich immer, zu versagen, alle zu enttäuschen, die Figur zu verraten. Bei jemandem wie der Queen hatte ich aber nie das Gefühl, eine unsympathische Figur zu spielen. Je mehr ich über sie recherchierte, desto mehr habe ich sie respektiert - und schließlich sogar richtig geliebt! Bis zum Drehbeginn war ich völlig auf ihrer Seite, da ging es nur noch darum, alles umzusetzen, was ich beobachtet hatte, die Art, wie sie geht und spricht. Und das, was sich nach meinem Gefühl in ihrem Inneren abspielte.

SZ: Hatten Sie auch mal Mühe, sich auf die Seite einer Ihrer Figuren zu stellen?

Mirren: Wenn ich eine Figur hasse, nehme ich die Rolle normalerweise nicht an. Interessanterweise werden mir mit zunehmendem Alter immer mehr dieser gemeinen Frauen angeboten - das hat damit zu tun, dass die Männer, die das meistens schreiben, sich gar nicht vorstellen können, dass man als ältere Frau etwas anderes als gehässig und verbittert sein könnte. Rollen, die derartig gemein, sexistisch und verletzend geschrieben sind, lehne ich ab. Selbst wenn ich dagegen anspielen würde, hätte ich es mit dem Autor, dem Regisseur, dem Produzenten und dem Cutter zu tun. Es gibt - im Gegensatz zur Bühne - überhaupt keine Kontrolle. Auf der Bühne kann man aus einer Rolle das machen, was man will. Im Kino ist man ausgeliefert.

SZ: Sie haben sehr viele starke, selbstbewusste Frauen gespielt. War Emanzipation ein Thema für Sie?

Mirren: Das war immer ein Thema für mich. Meine Mutter war zwar keine politische, aber eine instinktive Feministin, sie glaubte an die Rechte der Frauen und daran, dass Frauen ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen. Ich wurde von meinen Eltern ausdrücklich zu ökonomischer Unabhängigkeit erzogen, und das ist für mich die klare Wurzel des Feminismus. Wenn man ökonomisch unabhängig ist, ist man in vieler Hinsicht frei, und das war ich immer und bin es noch. Obwohl ich verheiratet bin, habe ich mein eigenes Geld. Trotzdem liebe ich hochhackige Schuhe und Nagellack, das ist kein Widerspruch. Ich war nie eine dieser militanten Emanzen in klobigen Schuhen. Auch wenn ich sie dafür respektiere, dass sie das an vorderster Front für uns ausgekämpft haben.

SZ: Isabelle Huppert hat mal gesagt, dass sie das Schauspielen für einen weiblichen Beruf hält. Sehen Sie das auch so?

Mirren: Ältere männliche Schauspieler sind oft grantig und schlecht gelaunt. Es liegt in der Natur der Männer, dass sie ihre Umgebung kontrollieren wollen, und als Schauspieler hat man sehr wenig Kontrolle, jedenfalls beim Film. Also werden sie unglücklich. Als Schauspielerin fragt man sich dann: Was hast du nur? Du hast mehr Möglichkeiten als ich, du wirst viel besser bezahlt, und trotzdem bist du grantig." Ich denke, Isabelle hat recht.

© SZ vom 28.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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