"Hail Caesar!" auf der Berlinale:Spätrömische Dekadenz auf der Berlinale

Das Festival eröffnet mit einem echten Coup: "Hail Caesar!" ist nicht nur eine furiose Verbeugung vor dem alten Hollywood. Der Film verweist auch auf die Probleme der Branche. Und hat George Clooney.

Von David Steinitz

Das chinesische Neujahrsfest fiel in diesem Jahr auf den 8. Februar, an dem laut chinesischem Kalender das Jahr des Feuer-Affen begann - und wer sich jetzt fragt, was das mit der Berlinale zu tun hat, der fragt sich das zu Recht.

Am ersten Tag des Festivals, wenn es gilt, die Stunden bis zur Eröffnungsgala am Abend zu überbrücken, und der rote Teppich am Potsdamer Platz noch ganz einsam und unbegangen den Berliner Nieselregen aufsaugt, werden für gewöhnlich die schrägsten Wünsche geäußert.

Die verschrobenen Coen-Brüder

So hat zum Beispiel die Zeitschrift Hollywood Reporter, die ihre Redaktion in Fußballmannschaftsstärke von Los Angeles nach Berlin verlegt hat, um ihre tägliche Festivalausgabe zu produzieren, in der ersten Ausgabe überlegt, ob die Berlinale wegen des chinesischen Neujahrsfests künftig verschoben werden müsse.

Weil den Chinesen ihr Neujahrsfest heilig ist, weil die Chinesen aber gerade gleichzeitig dabei sind, die USA als mächtigste Filmnation der Welt zu überholen, und weil eben jenes Neujahrsfest sich zwar nicht dieses Jahr, aber doch häufig mit der Berlinale überschneidet. Nun ja.

Als dann am Abend nach einer recht fidelen Pressekonferenz die Schauspieler George Clooney, Josh Brolin und Tilda Swinton mit ihren Star-Füßen den nassen roten Teppich aufhübschten, ging es endlich richtig los mit dem Festival.

Und zwar mit einem ganz wunderbaren Eröffnungsfilm, den die Schauspieler gemeinsam mit ihren Regisseuren Joel und Ethan Coen vorstellten. Für die beiden Filmemacher ist das Adjektiv verschroben noch eine recht freundliche Umschreibung.

Vor der Premiere gaben sie in einem Salon des Hotel de Rome Interviews, wobei sie ihren Gesprächspartner ein bisschen nervös machten, weil der Ältere (Joel) sich auf seinem Stuhl überhaupt nicht bewegte und der jüngere (Ethan) alle zwei Minuten aufstand und zappelnd um seinen Bruder und den Interviewer herumging. Aber dazu ein andermal mehr.

Männer mit Hut

Jetzt soll es um ihre herrliche Hollywood-Groteske "Hail, Caesar!" gehen, die gestern Abend im Berlinale-Wettbewerb außer Konkurrenz gezeigt wurde und das Festival eröffnete.

Der Film spielt in der glitzernden Showwelt der Fünfziger, es wird rund um die Uhr geraucht und gesoffen, und wenn es ein dringliches Problem gibt, hetzt man mit der Hand auf dem Hut zu einem Fernsprechapparat.

Die Hauptfigur heißt Eddie Mannix (Josh Brolin) und arbeitet bei einem fiktiven Filmstudio namens Capitol als "Fixer". Will heißen: Wenn es ein Problem gibt, dann muss er ran. Ein Starlet wird mitten in der Nacht in einer erotisch kompromittierenden Situation gefunden? Eddie Mannix bringt sie heim und steckt den Cops ein paar Scheine zu, damit sie den Vorfall vergessen. Ein Star ist auf Sauftour irgendwo an der sonnigen Westküste verloren gegangen? Eddie Mannix bringt ihn nach Hause, nüchtert ihn aus und steckt den Cops ein paar Scheine zu, damit sie den Vorfall vergessen.

Eine pointierte Spiegelung der 50er-Jahre in Hollywood

In den frühen Fünfzigern befand sich Hollywood in einer Phase spätrömischer Dekadenz. Die großen Studios hielten sich ihre Schauspieler, Regisseure und Autoren wie Sklaven, bestimmten, welche Filme sie zu machen und wie sie sich privat zu verhalten hatten, um das Image, das man sich für sie ausgedacht hatte, nicht zu gefährden.

Das Fernsehen machte sich als großer Kinokonkurrent in immer mehr Haushalten breit, die Politiker gingen auf Kommunistenjagd, der Kalte Krieg drohte ein heißer zu werden. Weshalb die Studios in ihrer Hybris immer opulentere Monumentalfilme stemmten, mit gigantischen Kulissen und ganzen Heeren von Komparsen, um die Zuschauer von der TV-Kiste im Wohnzimmer und den weltlichen Sorgen abzulenken.

Ein Wahnsinnssandalenfilm

Ein solcher Wahnsinnssandalenfilm soll auch in "Hail, Caesar!" gedreht werden, ein Prestigeprodukt, an Opulenz und Kosten kaum zu überbieten. Besetzt ist er mit dem größten Star seiner Zeit: Baird Whitlock (George Clooney), der privat ein ziemlich dekadenter Depp ist und dummerweise direkt vom teuren Set weg entführt wird.

Also muss Fixer Eddie Mannix ran, der auf der Suche nach seinem Star dann auf eine zickige Schauspielerin (Scarlett Johansson) trifft, zwei zickige Klatschkolumnistinnen (famose Doppelrolle von Tilda Swinton) und einen ganzen Haufen zickiger kommunistischer Drehbuchautoren, die das kapitalistische Hollywood mit einer Revolution stürzen wollen.

Die Detailverliebtheit, mit der die Gebrüder Coen diese größenwahnsinnige Phase des amerikanischen Kinos auferstehen lassen, ist wirklich faszinierend. Jedem wichtigen Hollywoodgenre der damaligen Zeit wird ein Denkmal gesetzt: dem harten Western, dem überdrehten Musical à la Busby Berkeley, dem spektakulären Sandalenfilm inklusive Jesuserscheinung.

Eine zynische Parodie der damaligen Sitten

Teilweise hat es die Charaktere aus "Hail, Caesar!" übrigens wirklich gegeben. Den echten Fixer Eddie Mannix, der aussah, als wäre er direkt aus einem verrauchten Raymond-Chandler-Roman abgehauen, haben die Regisseure sich zu einer typisch manischen Coen-Figur umgeschrieben.

Andere Protagonisten wie der penible Regisseur Laurence Laurentz (Ralph Fiennes) sind ein fiktives Destillat diverser Hollywood-Originale. In diesem Fall eine liebevolle Parodie der vielen europäischen Regie-Exilanten, die nach der Flucht vor den Nazis versuchten, im harten amerikanischen Studiosystem halbwegs ihre künstlerische Integrität zu bewahren.

Jene Ära, die im Rückblick gerne das goldene Zeitalter Hollywoods genannt wird, trug in Wahrheit natürlich längst den Keim ihres Untergangs in sich. Die künstlerischen und logistischen Umbrüche, die der Filmindustrie bevorstanden, werden auch von den Coens nicht ausgespart, im Gegenteil. "Hail, Ceasar!" ist nicht nur eine Verbeugung vor dem alten Hollywood, sondern auch eine zynische Parodie der damaligen Sitten im Filmgeschäft.

Die amerikanische Filmindustrie wiederholt derzeit alte Fehler

Als Eröffnungsstück für die Berlinale ist "Hail, Caesar!" nicht nur ein Coup, weil er sehr gut ist, sondern weil die amerikanische Filmindustrie ihre alten Fehler zur Zeit wiederholt und vor ganz ähnlichen Herausforderungen steht wie damals.

Nur sind es heute nicht die analogen TV-Stationen, die die Studios in den Monumentalfilmwahn treiben, sondern neue Konkurrenten wie Amazon und Netflix, denen aktuell nur eine absurde Flut an Superheldenfilmen entgegengesetzt wird. "Attacke der Streaming-Giganten" titelte der Hollywood Reporter neben seiner chinesischen Neujahrsgeschichte.

Es ist natürlich kein Zufall, dass gerade kurz vor der Berlinale, dem Kinofestival, Amazon und Sky zwei große deutsche Serieneigenproduktionen angekündigt haben, mit denen sie ihre Marktherrschaft im Heimkinosegment kräftig ausbauen wollen.

Amazon und Netflix shoppen als gäbe es kein Morgen

Auch auf dem "European Film Market", der parallel zur Berlinale stattfindet und wo die Filmrechte an prestigeträchtigen neuen Produktionen von Steven Soderbergh oder Wim Wenders feilgeboten werden, gelten die Video-on-demand-Dienste als freudig erwartete Käufer. Bereits im vergangenen Jahr in Cannes und vor ein paar Wochen beim Sundance-Festival haben Amazon und Netflix geshoppt, als gäbe es keinen Morgen.

Wobei die Frage ist, ob die Filmmärkte der großen Festivals für die Streamingdienste wirklich dauerhaft interessant sein werden. Denn bevor eine Firma wie Netflix, die weltweit agiert, erst einmal die Rechte an einem Film für 45 Territorien mühsam und teuer zusammenkaufen muss, kann sie diesen Film auch einfach selbst produzieren. Was sie ja auch schon eifrig tut, und vielleicht bald neuen Hollywood-Untergangsstoff für eine deftige Coen-Komödie liefert.

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