Großformat:Eine heitere Hymne auf die Eierstöcke

Ein Gedicht ihres Vaters wird übermalt. Wie ironisch Kunst sein kann, zeigt hier die Lyrikerin Nora Gomringer in ihrer Antwort auf ein Bild von Christina von Bitter.

Von Harald Eggebrecht

Schau, wie schön,

meine Eierstöcke,

meine tröstende Hand,

mein Mund, der spricht,

mein Aug, das weint,

die Tiere, die schlafen,

die Herzen, die schlagen.

Schau, wie schön,

meine Eierstöcke,

mein Tanzkleid!

Unter Christina von Bitters Arbeiten auf Papier findet sich auch das hier abgebildete, leicht hingeworfene Abendkleid. Aber das ist nur der eine Teil dieser Arbeit. Die Münchner Bildhauerin hat nämlich einen Stoß solcherart Blätter der Lyrikerin Nora Gomringer zur Ansicht überlassen. Das Betrachten der Bilder löste bei der Dichterin jeweils kurze Texte, Sätze oder auch nur einzelne Wörter aus, die nun gewissermaßen als Kontrapunkt den zweiten Teil des Kunstwerks bilden. Daraus ist ein ungemein poetisches, so witziges wie auch abgründiges Bilderbuch von meist lichter Farbigkeit entstanden (Christina von Bitter, Nora Gomringer: "Seit wir uns kennen duftet der abgeblühte Strauch neben dem Haus". Josef Kleinheinrich, Münster 2017. 84 Seiten, 40 Euro).

Das luftige Abendkleid und die heitere Hymne auf die Eierstöcke gingen am Ende nicht in das Buch ein und blieben daher gewissermaßen als Überschuss übrig. Dass das Kleid und der Text nun fast wie ein ironischer Einwurf in die aufgeregten Debatten über Flirt, Erotik und Gewalt wirken, ist Zufall. Doch zeigt sich auch hier die Quintessenz von Kunst, nämlich vieldeutig zu sein. Das Bild Christina von Bitters entfaltet in aller Leichtfüßigkeit eine innere Energie, der Nora Gomringer mit ihrem Gedicht wundersam entspricht.

© SZ vom 03.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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