"Giulia geht abends nie aus" im Kino:Phantasien eines Nichtschwimmers

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Wen sie liebt, wird sie in den Abgrund ziehen: Valeria Golino spielt in Giuseppe Piccionis "Giulia geht abends nie aus" eine Frau auf der Suche nach der Liebe als unbedingter Leidenschaft. Sie kollidiert mit einem Männertypus, der Katastrophen erzeugen muss.

Rainer Gansera

Die Frau: schön, leidenschaftlich und geheimnisvoll. Der Mann: eher blass und schemenhaft. So ist das in allen Filmen Giuseppe Piccionis ("Licht meiner Augen", "Das Leben, das ich immer wollte"), und er folgt darin einem zentralen Topos des großen italienischen Autorenkinos.

Stärke-Schwäche-Kontrast: Guido Montani (Valerio Mastandrea, rechts) und Giulia (Valeria Golino) in "Giulia geht abends nie aus". (Foto: N/A)

Dieser Stärke-Schwäche-Kontrast charakterisiert nicht nur das Geschlechterverhältnis, sondern den dramatischen Bau der Welt. Die Frau agiert in der Arena des Lebens, also im Zentrum von Beunruhigung und Tragik. Der Mann driftet durchs Dasein und beschäftigt sich mit seinen Phantasmen. In "Giulia geht abends nie aus" tut er das professionell: Guido Montani (Valerio Mastandrea) ist Schriftsteller in Rom.

Guido hat es geschafft, in die Endausscheidung eines renommierten Literaturwettbewerbs zu gelangen. Aber das interessiert ihn nicht besonders. Er weicht seinen Bewunderern aus, ihn irritiert, dass niemand seinen Roman bis zum Ende gelesen hat. Liegt es am tragischen Finale? Muss er sich Happy-Ends einfallen lassen?

Er langweilt sich, leidet an einer Schreibblockade, drückt sich um gesellschaftliche Pflichten und begleitet lieber seine 14-jährige Tochter Costanza zum Schwimmunterricht ins Hallenbad. Dort lernt er die faszinierende Giulia (Valeria Golino) kennen, Costanzas Schwimmlehrerin.

Weil Costanza an ihrem ersten aufwühlenden Liebeskummer laboriert und keine Lust mehr auf Schwimmstunden hat, wird Guido zu Giulias Schüler. Er kann nicht richtig schwimmen, lässt sich immer nur so an der Wasseroberfläche treiben. Metapher für die Grundstimmung seines Lebens.

Tristes Geheimnis

Unversehens wird ihn das Schicksal in eine heftige Liebesaffäre mit Giulia eintauchen. Die allererste Szene des Films zeigt Giulia beim Schwimmen. Im Wasser fühlt sie sich wohl, das Wasser ist ihr Element. Eine Nixe, eine Undine-Frau. Sie sucht die Liebe als unbedingte Leidenschaft. Dafür hat sie getötet, dafür muss sie büßen. Nur ganz allmählich wird Guido ihr tristes Geheimnis entdecken, Schritt für Schritt, und es wird sein Begehren immer feuriger entflammen.

Zuerst aber treibt er noch richtungslos dahin, empfindet die Entfremdung von seiner Ehefrau in einer Mischung aus Gleichgültigkeit und Trauer und denkt sich für seinen nächsten Roman allerlei kuriose Storys aus. Sie handeln von einsamen Männern, die sich in zauberhafte Frauen - wie zum Beispiel Regenschirmverkäuferinnen oder Nachtclub-Stripperinnen - verlieben. Wirklichkeit und Phantasie vermischen sich kokett in diesen Traumgeschichten, wobei die Begegnung mit Giulia der Imagination den heftigsten Auftrieb verleiht.

Giulia warnt den nach Inspiration suchenden Schriftsteller vor ihrem unberechenbaren, in den Abgrund ziehenden Wesen. Er gewinnt sanft ihr Vertrauen, schenkt ihr einen mechanischen Singvogel, der zu zwitschern beginnt, wenn man in die Hände klatscht, und gibt den unerschrockenen Liebhaber: "Ich bin zwar kein guter Schwimmer, aber du wirst mich nicht in die Tiefe ziehen. Ich habe keine Angst vor dir!"

Die Affäre der beiden gewinnt immer dramatischer an Fahrt, und der Tonfall, der sich anfangs im Ambiente des Literaturbetriebs ironisch gab, steuert auf mächtige Akkorde bitterer Tragik zu. Guido, der Schicksal spielen will, muss erkennen, dass sich die wirkliche Welt seinen Wunschphantasien nicht fügen mag.

Sein Verhängnis wird meisterlich demonstriert

Den Epilog, der den tändelnden Ton des Anfangs wieder aufnehmen will, hätte Piccioni sich schenken können, aber dieser kleine, finale Schwächeanfall der Erzählung ändert nichts daran, dass "Giulia geht abends nie aus" tief berührt, durch die subtile Zeichnung seiner Charaktere. Die Frauenfiguren strahlen. Nicht nur Giulia, auch die Figur der Ehefrau gewinnt bewegende Wahrhaftigkeit. "Es ist doch so, dass ich dich nicht inspiriere", sagt sie Guido auf den Kopf zu und trifft damit den Nerv seines Sichtreibenlassens.

Die Guido-Figur steht unter dem Bann fataler Liebesunfähigkeit. Sie variiert einen Männertypus des italienischen Kinos, den der Schriftsteller in Antonionis "La Notte" ideal verkörperte. Fellinis Drehbuchautor Ennio Flaiano - auf ihn gibt es bei Piccioni einen versteckten Hinweis - hat ihn immer wieder erforscht und geschildert.

Er will sich die Welt auf Distanz halten, sein Getriebensein als künstlerische Kontemplation verklären. Er betrachtet Leben und Welt als Stoffsammlung für seine Phantasien und opfert sie ihnen. Meisterlich demonstriert Piccioni sein Verhängnis: Wo er zum Akteur wird, erzeugt er Katastrophen.

GIULIA NON ESCE LA SERA, Italien 2009 - Regie: Giuseppe Piccioni. Buch: Federica Pontremoli, Giuseppe Piccioni. Kamera: Luca Bigazzi. Musik: Francesco Bianconi. Mit: Valerio Mastandrea, Valeria Golino, Sonia Bergamasco, Domiziana Cardinali, Jacopo Domenicucci, Jacopo Bicocchi, Sara Tosti, Chiara Nicola. Cine Global, 105 Minuten.

© SZ vom 01.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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