Fünf Fragen an Rüdiger Safranski:"Wie viel Zeit wir uns nehmen, ist eine politische Machtfrage"

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Ein Bücherfreund - nicht nur auf der Buchmesse: Autor Rüdiger Safranski in seinem Wohnhaus in Badenweiler im Schwarzwald. (Foto: dpa)

Wir Menschen sollten uns dem Zeit-Diktat moderner Technik nicht beugen, findet Rüdiger Safranski. Ein Gespräch über den Wert der Langeweile - und die gefährliche Geschwindigkeit der Finanzmärkte.

Von Johan Schloemann

Der Philosoph und Kulturhistoriker Rüdiger Safranski landet mit seinen Büchern regelmäßig auf der Bestsellerliste. Sein neues Buch heißt "Zeit. Was sie mit uns macht und was wir aus ihr machen", erschienen im Hanser Verlag. Ein Gespräch am SZ-Stand auf der Frankfurter Buchmesse.

Herr Safranski, in Ihrem Buch über die Zeit geht es erst mal los mit der Langeweile. Warum?

Rüdiger Safranski: Na ja, wenn die Zeit nicht vergehen will, spürt man vielleicht am ehesten, was Zeit ist. All die Ereignisse, die uns beschäftigen, sind so etwas wie ein Teppich, der die Zeit verdeckt. Aber wenn einem langweilig ist, blickt man durch auf das nackte Zeit-Erlebnis - der Teppich wird fadenscheinig.

Aber gibt es sie in der Zeit der ständigen Echtzeit-Kommunikation überhaupt noch, die Langeweile?

Blaise Pascal, der französische Denker und Mathematiker, hat es ja schon vor vierhundert Jahren beklagt: Die Leute halten es nicht bei sich selber aus - und fliehen deshalb in die Geschäftigkeit. Dabei ging es damals ja insgesamt viel geruhsamer zu! Das Problem ist also dasselbe geblieben. Aber die Fähigkeit, sich auf etwas in Ruhe zu konzentrieren, steht heute sicher noch viel mehr unter Druck. Also muss man sich bemühen, gelegentlich mehr Ruhe in sein Leben zu bringen. Ich versuche das jedenfalls.

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Und wie machen Sie das?

Ich nutze alle modernen Techniken. Aber ich erlaube mir den Luxus, auf eine elektronische Nachricht nicht umgehend zu reagieren, sondern so damit umzugehen wie früher mit einem Brief. Vielleicht habe ich einfach gut reden, weil ich ein freier Schriftsteller bin - aber ich glaube, jeder kann sich Freiräume schaffen, wenn er denn will. Und wir müssen uns auch diejenigen Erfahrungen bewahren, bei denen man die Zeit ganz vergisst. Die Liebe macht so etwas möglich, aber auch die Kunst. Das sind die kleinen Ewigkeiten, die wir in unserem endlichen Leben erleben können.

Aber der Uhr entkommen Sie doch auch nicht. Was macht die Uhr mit uns, mit der Zeit?

Die Uhr bewirkt die Vergesellschaftung der Zeit. Die vergesellschaftete Zeit stimmt aber oft nicht mit unserer eigenen Zeiterfahrung überein - und auch nicht mit unseren körperlichen Rhythmen. Bei ihren Aufständen in den englischen Fabriken haben die Arbeiter im 19. Jahrhundert nicht nur die Maschinen angegriffen, sondern auch die Fabriksuhr. Und unsere Kinder gehen morgens immer noch zu früh zur Schule, obwohl eigentlich alle wissen, dass das falsch ist.

In Ihrem Buch fordern Sie "eine neue Zeit-Politik". Was meinen Sie damit?

Der erste Schritt wäre, dass wir uns die unterschiedlichen Zeit-Geschwindigkeiten überhaupt erst einmal bewusst machen. Zum Beispiel arbeitet die Demokratie langsamer als die Finanzmärkte - aber sie sollte sich diesem Zeit-Regime nicht beugen. Wie viel Zeit wir uns nehmen, welches Tempo wir da aushandeln, ist also eine politische Machtfrage ersten Ranges.

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