Man muss sich das wohl so vorstellen: Fotografen, es werden immer Männer gewesen sein, haben sich Gedanken darüber gemacht, wie sie ihre Motive, hier waren es immer Frauen, etwas abwechslungsreicher in Szene setzen können. Die Bilder, auf denen sie auf Bänken sitzen, vor Kulturdenkmälern posieren und fluffige Kuscheltiere oder üppige Blumensträuße in Händen hielten, waren schon alle im Kasten und in den Fotoalben. Also kamen diese Fotografen auf die Idee, ihre Freundinnen, Frauen, Schwestern, Omas oder Tanten zu überreden, mal für ein Foto auf einen Baum zu klettern und dabei möglichst gut gelaunt zu tun und bitte nicht herunterzufallen - jedenfalls solange nicht, bis das Foto geschossen ist. Und warum auch nicht? Diese lustigen Bilder wanderten dann, in den allermeisten Fällen versehen mit einer lustigen Unterzeile, in die Familienalben, wo sie alsbald überblättert und vergessen wurden und dann zu Recht verstaubten. Bis ein Nachkomme darauf stieß, mit dem Trödel aber nichts anfangen konnte, Omi, Mutti oder Tante auf lebendem Holz auch nur bedingt lustig und aufhebenswert fand und seinen Nachlass folglich auf dem Flohmarkt feilbot. Hier nun kommt Jochen Raiß ins Spiel. Der Mann verbringt seit einem Vierteljahrhundert jedes Wochenende auf Flohmärkten, um nur danach zu fahnden: Fotos von Frauen auf Bäumen.
Die Bilder aus seiner Sammlung sind jetzt als possierliches Bildbändchen erschienen, das nichts anderes zeigt als Fotos von unbekannten Frauen auf unbekannten Bäumen, die alle in den Zwanziger- bis Fünfzigerjahren, der Frau-Baum-Hochzeit, entstanden sind ( Jochen Raiß: Frauen auf Bäumen / Women in Trees. Hatje Cantz Verlag, Berlin 2016. 112 Seiten, 15 Euro). Mal passen Kleidung und Schuhwerk nicht zum waghalsigen Kletterakt, mal ist der bestiegene Baum ein Witz an Wuchs. Doch die Baumbilder mit Frauen machen deutlich: Die Fotografen müssen etwas verrückt gewesen sein.