Forschung:Siris Vorfahr sagt Mama

"8 Objekte, 8 Museen" heißt eine Ausstellung im Deutschen Museum zum 300. Todestag von Leibniz. In der kann man den Urahn aller Sprachcomputer kennenlernen

Von Eva-Elisabeth Fischer

Er quäkt wie ein Kleinkind. Junge Eltern wären entzückt über die ersten zusammenhängenden Silben, die ihr Liebling da lallt: Mama. La-ma. Arm. Mit Vokalen tut er sich schwer. Das "i" geht gar nicht. Dafür drückt der Balg ein "p" heraus. Und unter großer Anstrengung lassen sich ihm Zischlaute wie "s" oder "sch" entlocken. Das sind mehr Laute, als Loriots sprechender Hund hervorbringt, dessen Wortschatz sich auf "o" und ein explosiv-gespucktes "ts" beschränkt. Aber man muss schon genau hinhören, noch besser, man sollte wissen, was man hören soll, wenn er spricht.

Es sind nun ja auch nicht Papa und Mama, die sich begeistert über ihren Sprössling beugen, sondern Alexander Steinbeißer, der konzentriert auf Tasten drückt, den Blasebalg betätigt oder den Gummitrichter abdeckt, und Silke Berdux, die ihm ebenso glücklich dabei zuschaut wie eine Mutter ihrem Kind. Die beiden sind Mitarbeiter des Deutschen Museums. Steinbeißer ist zuständig für die Restaurierung von Musikinstrumenten. Berdux Kuratorin mit wissenschaftlichem Ehrgeiz aus Faszination und Lust.

Alexander Steinbeißer, Mitarbeiter der Werkstätten Deutsches Museum München

Alexander Steinbeißer ist der Einzige, der seinem Nachbau des Sprechapparats wortähnliche Laute entlocken kann.

(Foto: Matthias Ferdinand Döring)

Ihr gemeinsames Baby wird derzeit in der Bibliothek anlässlich des 300. Todestages von Gottfried Wilhelm Leibniz in der Ausstellung "8 Objekte, 8 Museen" in der Bibliothek präsentiert. Es handelt sich um einen Sprechapparat aus dem Jahr 1791, also einen Vorläufer von Siri und allen anderen Sprachcomputern. Und Silke Berdux, die über dieses Gerät jahrelang geforscht hat, ist sich ziemlich sicher, dass das Original unter dem Plexiglassturz tatsächlich von seinem Erfinder Wolfgang von Kempelen handgefertigt wurde. Der hatte zuvor die theoretischen Grundlagen erarbeitet und in einem Buch mit dem wunderbaren Titel "Wolfgangs von Kempelen k. k. wirklichen Hofraths Mechanismus der menschlichen Sprache nebst der Beschreibung seiner sprechenden Maschine" veröffentlicht, das nun ebenfalls in einer Originalausgabe ausgestellt ist. Kempelen war ein polyglotter Universalgelehrter, offenbar gesegnet mit gehörigem Witz. 1734 in Pressburg geboren, 1804 in Wien gestorben, galt der studierte Philosoph und Rechtswissenschaftler als eine "Ikone der Aufklärung", sagt Silke Berdux, einer, der mit seiner bekanntesten Erfindung, dem "Schachtürken", einem vermeintlichen Schachroboter, die Welt düpierte. Im Kasten unter der schachspielenden Marionette mit Turban nämlich war ein schlauer, sprechender Zwerg versteckt, der in der Lage war, selbst Koryphäen auf dem Brett matt zu setzten.

Zu Maria Theresias Zeiten - und nicht nur damals - nahm man es mit der Trennung von Wissenschaft und Unterhaltung nicht so genau. Öffentliche Vorführungen mussten Schauwert haben. Man kann es sich nur allzu gut vorstellen, dass auch Kempelens nächste und bis heute für die forschende Nachwelt bedeutende Erfindung damals nicht nur verblüffte, sondern auch amüsierte. Alexander Steinbeißer hat dieses Gerät originalgetreu nachgebaut, um demonstrieren zu können, wie und vor allem, dass es funktioniert. Und nun sind sie beide nebeneinander ausgestellt, das Original und sein Nachbau. Letzterem gingen unendlich viele Zeichnungen voraus, basierend auf einem Computertomogramm, das es richtig zu entschlüsseln und zu interpretieren galt. "Anders als ein Arzt, der an einem bestimmten schwarzen Punkt ein Gelenk erkennt, wussten wir nicht, ob so ein schwarzer Punkt vielleicht eine Bohrung oder eine Schraube war." Inzwischen ist sich Steinbeißer sicher, alles richtig gemacht zu haben bei dieser mechanischen Imitation des menschlichen Sprechapparts. Seine Kenntnis von Musikinstrumenten wie Orgel, Klarinette und Saxofon halfen ihm bei seiner 1:1-Replik. Vor allem aber half ihm Kempelens Schrift.

Die Materialien, das Holz, der Gummi, sind die gleichen wie damals, versteht sich. Steinbeißer zeigt ein Plättchen aus papierdünnem Elfenbein, überzogen mit Leder, das, eingebaut und durch eine Windlade (wie die der Orgel) zum Schwingen gebracht, die menschlichen Stimmbänder imitiert. Zäpfchen, Zunge, Gaumen, Zähne allerdings hat der Sprechapparat nicht. Der Mund, ein Gummitrichter, gähnt einen leer an. Silke Berdux erklärt, dass Kempelen das Stück dafür von einer Flasche abgeschnitten hatte. So erfuhr man überhaupt erst, dass zu seiner Zeit in Wien Flaschen aus Naturkautschuk in Gebrauch waren.

Silke Berdux widmete sich dem Sprechapparat aus historischem Interesse. Damals, zu Kempelers Zeiten, wollte man das Sprachbild des Menschen verstehen und auf Basis neuer Erkenntnisse Gehörlosen helfen. Der Mathematiker Stephen Hawking kann sich ohne seinen Sprachcomputer, den zu betätigen seine Finger inzwischen zu schwach sind, nur schwer verständigen. Smartphone-Besitzer lieben die absurden Dialoge mit Siri. Ohne Wolfgang von Kempelens Vorläufer wären diese vielleicht nicht entwickelt worden. "Es war nicht nur irgendeine skurrile Erfindung", sagt Berdux und verweist auf Historiker, Phonetiker, Techniker, Physiker oder Physiologen, die sich davon nach wie vor Erkenntnisse erhoffen. Immerhin kann Kempelens Apparat "Mama" sagen, das Urwort aller Wörter. Die anderen folgen.

8 Objekte, 8 Museen, Deutsches Museum, Foyer der Bibliothek, bis 30. Juni 2017

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: