"Eine neue Freundin" im Kino:Verzaubert von seiner Weiblichkeit

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"Gemeinsam auf immer und ewig!" Claire (Anaïs Demoustier, rechts) und ihre beste Freundin Laura (Isild Le Besco) in François Ozons neuem Film "Eine neue Freundin". (Foto: Weltkino)

In François Ozons neuem Film "Eine neue Freundin" wird ein Mann zur Frau - und die Frau, die davon weiß, darf sich selbst neu entdecken.

Von Rainer Gansera

Sex findet im Kopf statt. Was der saloppe Spruch meint, spielt in François Ozons Universum (und im Kino sowieso) die entscheidende, raffiniert entfaltete Rolle: Das Begehren entzündet sich an Bildern, das heißt an Bildern, die hervorlocken, verführen, irritieren, den Atem stocken lassen.

Faszination und Macht des Imaginären. Antrieb für die Figuren, sich in Verwandlungsgeheimnisse zu wagen, und für den Stilisten Ozon, der mit seinen traumscharf komponierten Kamerabildern Truffaut-Eleganz, Hitchcock-Mystery und Märchenspiel zum schwebenden Dreiklang verknüpft.

In Ozons "Jung & schön" (2013), der Geschichte einer adoleszenten Belle-de-jour-Prostituierten, bekennt die Heldin: "Der eigentliche Liebesakt lässt mich ziemlich kalt, aber die Erinnerungsbilder an den Gang zum Hotelzimmer, das Anklopfen, an die Ungewissheit des Kommenden, an das Riskante und Verbotene - das ist es, was in mir immer wieder die Lust entzündet, mich mit neuen Freiern in Hotels zu verabreden."

In "Eine neue Freundin" geht es um Bilder der Verwandlung, um innere und äußere Transformationen, um zündende Bilder, die Wünsche und Sehnsüchte aufwühlen und zum Ansporn werden, wo sich die Figuren in das Andere ihrer selbst verwandeln. In das Andere, das sich als das Eigene entpuppt. Über sich hinausgehen, um sich zu entdecken. Grenzüberschreitende Identitätssuche im Spannungsfeld der Geschlechterrollen.

Zu Beginn: Glücksbilder der Kindheit. Claire (Anaïs Demoustier) trauert. Ihre beste Freundin Laura (Isild Le Besco) ist gestorben. Bei der Beerdigungsfeier erinnert sie sich: "Als Siebenjährige haben wir uns kennengelernt. Es war Liebe von der ersten Begegnung an, weil wir füreinander geschaffen waren!"

Beste-Freundinnen-Innigkeit und ein Schockbild

Flashback: sonnendurchstrahlte Bilder wie aus dem Poesiealbum der Kindheit. Die kleine Claire: rothaarig, sommersprossig, mit hübsch geflochten Pippi-Langstrumpf-Zöpfchen. Aber sie ist die Schüchterne, die blonde Laura ist wilder. Sie ritzen sich die Hände und besiegeln ihre Freundschaft mit Blut: "Gemeinsam auf immer und ewig!" Gemeinsam werden sie sogar ihre Ehemänner kennenlernen. Die Bilder dieser Beste-Freundinnen-Innigkeit, die zuerst wie ein erläuternder Prolog erscheinen, offenbaren sich als Herzstück der Geschichte.

Claire (Anaïs Demoustier) will für David (Romain Duris) da sein, den Mann ihrer verstorbenen Freundin - aber der hat ein Geheimnis. (Foto: Weltkino)

Dann das Schockbild. Bei der Beerdigung hat Claire versprochen, dass sie sich um Lauras Mann David (Romain Duris) und ihr Baby kümmern wird. Sie lässt einige Tage verstreichen, bis sie sich auf den Weg macht, ihre neuen "Schützlinge" zu besuchen.

Sie umkreist die idyllisch gelegene Villa - ein Bau im Zuckerbäckerstil - wie ein house of mystery, hört die Stimme des Babys, drückt den Klingelknopf, aber die Tür ist offen. Sie durchstreift den Flur, sieht im Wohnzimmer auf dem Sofa sitzend ein Gestalt von hinten: offenbar die Babysitterin, die dem Baby die Flasche gibt. Die schwerelose Kamera erzeugt einen suspense wie in den schwindelerregenden Momenten von Hitchcocks "Vertigo".

Da wendet sich die vermeintliche Babysitterin um - es ist David, geschminkt, mit blonder Perücke, in den Kleidern Lauras. Erschrecken und Faszination bei Claire. Was hat das zu bedeuten? Mit diabolischem Vergnügen fächert Ozon die Deutungen auf. Ist David ein Transvestit? Ist seine "Verkleidung" ein Amour-fou-Bekenntnis zur Verstorbenen? Will er so das Baby über den Verlust der Mutter hinwegtrösten?

Transformationsbilder. In den folgenden Begegnungen von Claire und David, die grundiert sind von der elektrisierenden Spannung eines streng zu hütenden Geheimnisses, wird sich Claires erste Verwirrung und Abwehr in Akzeptanz und sogar in Komplizenschaft verwandeln.

David wechselt nicht das Geschlecht, aber er kleidet sich als Frau, fühlt sich als Frau, und zelebriert seine Verwandlung mit einer derartigen Lust und Evidenz, ohne Schuld- oder Schamgefühle, dass Claire davon verführt und angesteckt wird. Sie geht mit ihm shoppen und findet einen neuen Namen für David, seine neue Identität: Virginia, die Jungfräuliche.

Den Lernprozess, den Claire durchläuft, zeigt Ozon als exemplarischen Einfühlungsprozess in das Anderssein von David/Virginia. Komödiantisch und dramatisch, am Ende märchenhaft. Märchen erzählen von Verwandlung und von Wünschen, die wahr werden.

Mit utopischer Geste reklamiert Ozon für seine Geschichte eine Märchenzeit, in der das Wünschen noch hilft. Claire selbst verwandelt sich, entdeckt ihr Frausein neu im inspirierenden Gegenüber von David/Virginia. Einmal steht sie vor dem Spiegel und legt ein Abendkleid an. Ihr Ehemann staunt, denn sonst kleidet sie sich verhuscht, mit Kapuzenjacke, Jeans, Pferdeschwanz. Jetzt trägt sie die Haare offen, zückt den knallroten Lippenstift und sagt: "Ich mache mich schön!" Und sie blüht auf.

Auf High-Heels stöckelnder Überschwang

François Ozons Filme sind Hommagen an das Mysterium des Frauseins. Zugleich auch Invasionen in dieses Geheimnis, Eroberungen, Aneignungen. Ozon liebt die Inszenierung verführerischer Weiblichkeit bis zum gestylten, auf High-Heels stöckelnden Überschwang. Er imaginiert das als ein Aufblühen - kein Zufall, dass er die Heldinnen in dem Musical-Krimi-Melo, das ihn berühmt machte, "8 Frauen" (2002), mit Blumen identifizierte. Immer tiefer hat er sich in Frauenseelen eingefühlt und das feminine Universum erforscht - bis hin zum Thema Schwangerschaft ("Rückkehr ans Meer", 2009).

In "Eine neue Freundin" widmet er sich dem Bild der Beste-Freundinnen-Komplizenschaft. Ein Sehnsuchtsbild, das er bestaunt und bewundert und erobern will mit David/Virgina an Claires Seite. Was ist Virgina für Claire? Ersatz oder Neuformulierung einer Mädchenfreundschaft?

Ozon sucht nicht nach psychologischen Erklärungen, er legt Bilder aus. Virginia ist Wunschbild, Phantasma, Projektion, Imagination - alles, was ein Bild sein kann. Ein Bild, an dem sich das Begehren entzündet.

Une Nouvelle Amie , F 2014 - Buch und Regie: François Ozon. Kamera: Pascal Marti. Musik: Philippe Rombi. Mit: Romain Duris, Anaïs Demoustier, Raphael Personnaz, Isild Le Besco. Weltkino, 105 Min.

© SZ vom 26.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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