Eine Einstellung zur Arbeit:Expedition in die exotische Welt des Schaffens

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Wie arbeitet die Welt? In mehr als 400 Filmen aus 15 Städten und fünf Kontinenten versucht sich eine Ausstellung im Berliner Haus der Kulturen der Welt der Frage anzunähern.

Von Jens Bisky, Berlin

Nein, so etwas wie "die Arbeit" gibt es nicht, möchte man nach einigen Minuten in die Ausstellungshalle rufen. Dort, im Haus der Kulturen der Welt in Berlin, ist eine große Videoinstallation zu sehen, 15 Leinwände, Beamer, man sieht stets mehrere Kurzfilme, nie aber das Ganze.

Sie zeigen Tätigkeiten der verschiedensten Art: Kaufverträge werden gelocht. Doubles von Lenin, Stalin und Putin warten auf fotografierende Kundschaft. Polizisten stehen herum. Eine Wasserflasche fährt durch Straßen. Ein Zopf wird geflochten. Hunde lassen sich dressieren. Es wird gebaut, geerntet, gereinigt, gepflegt, gebettelt, dargestellt, montiert, gepflückt, geschaufelt - und noch einiges mehr getan. Man mag es "Arbeit" nennen, aber eine erste Einsicht, die sich in dieser Ausstellung gewinnen lässt, könnte lauten, dass damit nicht viel gesagt ist. Wer von "Arbeit" spricht, redet aus großer Distanz, wahrscheinlich aus zu großer, er abstrahiert von vielem, vernachlässigt dabei vielleicht das Entscheidende.

Filme, die Geschichten erzählen

Die Ausstellungszeitung, gestaltet von Alice Creischer und Andreas Siekmann, bietet zu jeder der 15 Städte, in denen diese Filme gedreht wurden, statistische Kurzporträts in Piktogrammen: Einwohnerzahl, Durchschnittseinkommen, Arbeitslosigkeit, Streiks, Lebenshaltungskosten. In der politischen Ökonomie wird man ohne die Kategorie der Arbeit nicht auskommen. Die Filme aber erzählen Geschichten, porträtieren Personen, zeigen Augenblicke aus ihrem Alltag, ihrer Biografie. Die Spannung zwischen dem dokumentarischen Blick und der sozialstatistischen Verrechnung wird in der Ausstellung nicht aufgehoben; der Betrachter muss sich zu ihr ins Verhältnis setzen, eben seine "Einstellung zur Arbeit" finden.

In 15 Städten haben Harun Farocki und Antje Ehmann Workshops abgehalten. Sie waren in Lissabon, Bangalore, Berlin und Genf, in Buenos Aires, Rio de Janeiro, Hangzhou, Hanoi, Boston und Moskau, in Johannesburg, Łódź, Tel Aviv, Kairo und Mexico-Stadt, um Videos über arbeitende Menschen zu produzieren. Vorgegeben war eine Länge von ein bis zwei Minuten, Schnitte waren nicht erlaubt. 1960, schrieb Harun Farocki einmal, hatte ein Film durchschnittlich "alle 10 bis 12 Sekunden einen Schnitt", Mitte der Neunzigerjahre rechnete er mit bis zu 40 Schnitten in einer zweiminütigen Filmsequenz. Das sollte in diesem Projekt anders sein. Nicht die Unentschiedenheit vieler Perspektiven, die eine Einstellung war gesucht.

Für diese Methode berief sich Harun Farocki, der im Juli 2014 gestorben ist, auf einen Anfang der Filmgeschichte: "Arbeiter verlassen die Lumière-Fabrik" aus dem Jahr 1895. Farocki ist diesem Sujet durch elf Jahrzehnte gefolgt, hat Szenen des Fabrik-Verlassens bei D. W. Griffith, Fritz Lang, Charlie Chaplin, Slátan Dudow und anderen bis hin zu Lars von Trier gefunden und sie für eine Installation zusammengestellt, die nun in Berlin ebenso zu sehen ist wie eine Fortschreibung in die Gegenwart: "Arbeiter verlassen ihren Arbeitsplatz in 15 Städten". Sie kommen aus einer Mine, einer Brauerei, aus der Saft-, der Kaugummi-, der Textilfabrik.

Als begänne das wahre Leben jenseits der Fabriktore

Im Klassiker der Brüder Lumière öffnet sich das Tor, die Frauen mit ihren Hüten und die wenigen Männer eilen hinaus, als träten sie in die Freiheit, als begänne das wahre Leben jenseits der Fabriktore. Prerna Bishop und Rusha Dhayarkar haben 2012 Arbeiterinnen einer Textilfabrik in Bangalore beim Arbeitsende gefilmt - und es scheint, als sei die Situation noch dieselbe wie in Lyon 1895, etwas weniger freudig, aber doch voller Zeichen der Gelöstheit, der Entspannung. Zu gern würde man mit der Kamera in die Fabrik eilen, sehen, unter welchen Bedingungen da gearbeitet wird, die Frauen fragen, wie viel sie verdienen, was sie nach Schichtschluss erwartet.

Wenn es um Arbeit geht, bringt jeder eine Menge von Vorannahmen mit. Der eine hat bei Engels etwas über den "Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen" gelesen, eine andere mag in Gedanken an ihren Freundeskreis die Mehrheit mehr oder weniger glücklich vor Bildschirm und Tastatur vermuten. Jeder hat vom unaufhaltsamen Vordringen "informeller Arbeit" gehört oder von der Existenz des Dienstleistungsproletariats, das ohne Aussicht auf eine Besserung seiner Lage durch Fleiß gezwungen ist, den eigenen Körper zu verschleißen, bis es nicht mehr geht. Und wer "Arbeit" sagt, hört immer auch "Arbeitslosigkeit" mit.

Es ist eine Schwäche des Berliner Projekts, dass man über die Menschen, die da etwas tun, die versuchen, über die Runden zu kommen oder auch sich selbst zu verwirklichen, wenig erfährt. Wie lange noch muss der Kurier, der auf dem Fahrrad durch Berlin saust, noch Briefe und Päckchen ausliefern? Bis zum Semesterbeginn oder bis zur Rente? Würde die Aufsicht im Naturkundemuseum in Łódź lieber etwas anderes tun? Schaut sie auf ihr Mobiltelefon, weil die Zeit nicht vergehen will? Jeder der Filme provoziert Neugier und endet, bevor diese befriedigt ist.

Diese gewollte Schwäche ist aber zugleich die Stärke dieser Ausstellung. Sie verleitet zum Hinschauen. Thesengemurmel und Vorwissen müssen schweigen. Wer sich Zeit nimmt, erlebt Vielfalt und verschiedenste Rhythmen. Und selbstverständlich gehören oft Lärm und Rufe zum Arbeiten oder Musik. Soundduschen sorgen dafür, dass man an jeder Station eine eigene Welt der Geräusche entdeckt; man kann zwar Bilder aus anderen Städten sehen, aber nur den Klang einer Stadt hören.

Was man tut, ist immer mehr als ein Job

Die Teilnehmer der Workshops mussten Anfang und Ende finden, eine Kameraeinstellung - statisch oder bewegt. Manchmal glückte eine anekdotisch anmutende Abrundung, etwa in Mexiko-Stadt. Bani Khoshoudi porträtierte eine Frida-Kahlo-Darstellerin, ("Frida Kallejera"), die sorgfältig kostümiert und geschminkt, vor einer Staffelei auf der Straße sitzt und auf Gaben wartet, die nicht Arbeitskraft verkauft, sondern Straßenkunst anbietet. Ein etwas abgerissen ausschauender Junge eilt vorüber, die transsexuelle Frida ruft ihm zu und gibt ihm ein Geldstück.

Bilder der Arbeitswelt begegnen uns, obwohl es doch an Bildern nicht fehlt, vergleichsweise selten, seltener jedenfalls als Bilder von Wohnungseinrichtungen oder Freizeit-Fun. Auch Filme, die jenseits von Gattungskonventionen und Reporter-Klischees darüber erzählen, wie wir das Leben so wegarbeiten, gibt es nicht allzu viele. Im Haus der Kulturen der Welt kann man gleich Dutzende sehen und es ist - auch dank der feierlich-nüchternen Ausstellungsarchitektur von Kuehn Malvezzi - ein Vergnügen, sich die Zeit zu nehmen für eine Expedition in die exotische Welt des Schaffens, Werkelns, Maschinen oder Menschen Bedienens. Ein Vorhang im Halbrund dunkelt die Ausstellungshalle ab, es wirkt, als gelte es, einen eigenen Kosmos zu vermessen.

Die Steineklopfer von Gustave Courbet oder die Arbeiter in Adolph Menzels "Eisenwalzwerk" glichen Helden, auf den Fotografien August Sanders standen die Arbeitenden als Typen, charakteristisch für eine ganze Welt. Das Heroische wie das Typische wird man in dieser Berliner Ausstellung, der abschließenden des Projektes "Eine Einstellung zur Arbeit", vergeblich suchen. Wer etwas über die Gegenwart erfahren will, sollte sich die Zeit nehmen, in die Gesichter und auf die Hände zu schauen, der sollte sich der Spannung zwischen der Kürze der Filme und der Länge eines Arbeitslebens aussetzen. Es bleiben viele Fragen und die Gewissheit: Nein, egal was wir Arbeit nennen, es ist nie nur ein Job.

Eine Einstellung zur Arbeit. Ein Projekt von Antje Ehmann und Harun Farocki. Haus der Kulturen der Welt, Berlin, b is 6. April. Info: www.hkw.de/arbeit. Die Filme sind zu sehen unter www.eine-einstellung-zur-arbeit.net

© SZ vom 02.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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