Computerspiel "Beyond: Two Souls":Welten retten

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Ellen Page spielt die Hauptrolle und damit die Figur, die die Spieler steuern. (Foto: Sony)

Mit Ellen Page und Willem Dafoe treten erstmals zwei Schauspieler von Hollywoods A-List in einem Videospiel auf. In "Beyond: Two Souls" geht es nicht um "High Scores", vielmehr geraten die Spieler in einen komplexen Erzählraum, in dem der Verlauf der Handlung zunächst völlig offen bleibt. Das Konzept geht sogar auf - trotz erzählerischer Schwächen.

Von Michael Moorstedt

Der französische Videospielentwickler David Cage ist Regisseur und Autor in Personalunion und sagt, er fühle sich Orson Welles verbunden. Sein großes Vorbild aber heißt Stanley Kubrick.

Cage nennt seine Spiele gerne "interaktive Dramen", die der Konkurrenz seien oft "so eindimensional wie Pornografie". Das Medium solle endlich erwachsen werden und erreichen, dass die Menschen nachdenken, wenn sie die Konsole abschalten. Ja, David Cage sieht sich als Erneuerer seines Mediums.

Er ist aber auch ein Mann, der sich für PR-Tricks nicht zu schade ist. Im Frühjahr wurden Szenen seines neuesten Werks "Beyond: Two Souls" auf dem Tribeca Film Festival in New York vorgeführt. Vergangene Woche fand nun die Premiere vor der Art-Déco-Kulisse des Pariser Kinos "Le Grand Rex" statt, inklusive stargespicktem Spießrutenlauf auf dem Roten Teppich. Denn in "Beyond" übernehmen mit Ellen Page und Willem Dafoe erstmals zwei Schauspieler aus Hollywoods A-List die Hauptrollen in einem Videospiel.

Die Handlung von "Beyond" bewegt sich zwischen einem Coming-of-Age-Film und dem eher subtilen Schrecken zeitgenössischer Horrorfilme wie "Paranormal Activity".

Der Spieler schlüpft in die Rolle Jodie Holmes, die Ellen Page spielt. Die junge Frau besitzt, ohne zu viel vorweg zu nehmen, eine Verbindung zu einer übersinnlichen Entität namens Aiden, der im Titel erwähnten zweiten Seele. Ein unsichtbarer Poltergeist, der durch Wände schweben, Spiegel zersplittern oder Möbel verrücken, aber auch von Menschen Besitz ergreifen kann.

23 unterschiedliche Enden

Dafoe spielt den Wissenschaftler und Jodies Vaterersatz Nathan Dawkins. In mehr als einem Dutzend nicht chronologischer Szenen und über den Verlauf von 15 Jahren begleitet der Spieler das Leben von Jodie, sieht sie aufwachsen, steuert sie als Kind, Teenager und Erwachsene auf der Flucht vor der CIA, die sich um jeden Preis Jodies Kräften bemächtigen will.

Eines der Mittel, die Cage einsetzt, um dem ewig-adoleszenten Medium endlich zu nachhaltig prägenden Erlebnissen zu verhelfen, ist es, den Spielern die Wahl zu überlassen, wie sie das Leben von Jodie gestalten wollen.

"Beyond" ist kein Wettkampf um Highscores, wie man ihn von Videospielen kennt und der durch Hand-Auge-Koordination entschieden wird, sondern ein Erzählraum, der so komplex ist, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen Handeln und Konsequenz erst nach Stunden oder womöglich gar nicht nachvollzogen werden kann. Und der nach etwa zehn Stunden Spielzeit je nachdem, wie man sich aufführt - einfühlend oder gewaltsam, vorsichtig oder forsch - in einem von insgesamt 23 unterschiedlichen Enden mündet.

Wenn so viele herkömmliche spielerische Elemente entfernt werden, muss die Geschichte natürlich umso mehr überzeugen. Das ist nicht immer der Fall. David Cage mag zwar ein Visionär seines Mediums sein, als Drehbuchautor kommt er nicht übers Mittelmaß hinaus.

Zu oft wirken seine Dialoge klobig bis albern, zu schlecht austariert ist die Geschichte, die rasch zwischen Alltag und Absurdem wechselt. Tatsächlich entwickelt "Beyond" oft dann den stärksten Sog, wenn es nicht um paranormale Aktivitäten oder um die Rettung der Welt geht, sondern um Profane.

Videospiele kümmern sich selten um den Alltag. Stattdessen geht es um waghalsige Abenteuer, brutale Kriege und die Rettung der Welt. Da erscheint es beinahe unerhört, dass man als Spieler nun in einer Szene ein kleines, verängstigtes Mädchen im Schlafanzug steuert, das sich an ein Stofftier klammert, während es versucht, seine Albträume loszuwerden. Oder dasselbe Mädchen zehn Jahre später, mittlerweile ein sozial gehandicapter Teenager, der auf einer Hausparty mit einem Schluck aus der Bierdose und einem Zug am Joint den älteren, cooleren Jugendlichen imponieren will.

Es ist schließlich die Kamera, die verrät, dass es sich hier nicht um ein herkömmliches Videospiel handelt. Nicht nur, weil sie sich streng an filmische Konventionen hält, Schüsse und Schnitte vorgibt, immer die Präsenz des Regisseurs spüren lässt und damit einmal mehr Videospieler irritiert, die es gewohnt sind, völlige Kontrolle über den Bildausschnitt zu haben.

Immer wieder sind Staub oder Regentropfen auf der Linse zu sehen, Lichtreflexe blenden den Blick und simulieren so ein Außen-Set. Dabei ist das komplette Geschehen auf dem Bildschirm auf der eher sterilen Performance-Capturing-Bühne der französischen Spieleentwicklungsfirma Quantic Dream aufgenommen worden.

Monatelang ließ Cage seine Darsteller in diesem leeren Raum agieren, um jeden Sprung, jeden Schritt, jedes Blinzeln in digitale Daten zu übersetzen. 60 Kameras zeichneten die Bewegungen von Page, Dafoe und dem Rest des 150-köpfigen Ensembles von allen Seiten auf.

Versöhnung von Spiel und Film

Dabei mussten die Schauspieler nicht nur die einzelnen Szenen spielen, sondern auch alltägliche Bewegungen, etwa das Aufstehen von einem Stuhl oder das Öffnen einer Tür, die im Spiel je nach den Eingaben des Spielers zu interaktiven Szenen zusammengesetzt werden.

Eingekleidet waren sie in schwarze Spandex-Kostüme, sie trugen mehr als 90 Markierungen im Gesicht und am Körper, die jedes noch so kleine Zucken der Mundwinkel registrieren und auf ein digitales Charaktermodell übertragen. Außer den Anweisungen des Regisseurs gab es keine Orientierung, weder eine Kulisse noch Kostüme oder Requisiten.

Und so ist vor allem dem Können von Dafoe und Page zu verdanken, dass "Beyond" trotz aller erzählerischen Schwächen letztendlich doch gelingt, was David Cage bezweckt hat. Eine neue Form der elektronischen Unterhaltung zu schaffen, die Grenzen zwischen den Medien einreißen und Spiel und Film miteinander zu versöhnen: Das High-Tech-Experiment wird mit Schauspielerei in ihrer reinsten Form befeuert.

© SZ vom 12.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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