Ausstellung:Schamhaar und Autobahn

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"Artige Kunst" im Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg entlarvt die Verlogenheit der NS-Malerei

Von Sabine Reithmaier

Alexej Jawlenskys zartes Mädchen blickt skeptisch auf Sepp Happs Infanteriesoldaten mit der Handgranate. Mit diesen Gemälden, das eine von 1909, das andere von 1943, beginnt die Ausstellung "Artige Kunst" in der Ostdeutschen Galerie Regensburg, eine geglückte Einleitung in eine hochkomplexe Gratwanderung durch ein schwieriges Thema, in dem das Adjektiv "artig" den Gegensatz zur entarteten, von den Nationalsozialisten verfemten Kunst beschreibt.

Der fügsame Soldat in Braun gehörte einst zu einem Triptychon mit dem Titel "Über allem die Infanterie", war ausgestellt auf der Großen Deutschen Kunstausstellung, in der von 1937 an im neu errichteten Haus der Kunst alljährlich die dem NS-Regime genehmen Werke gezeigt wurden. Von den rund 11 000 Werken, die dort bis 1944 ausgestellt wurden, kaufte Hitler 1314 für seine Sammlung. Aber anders, als es Happs Gemälde suggeriert, hatte der allergrößte Teil der Bilder nichts mit Soldaten oder Krieg zu tun. Der überwiegende Teil bestand aus Landschaften, Porträts, Stillleben oder Genreszenen, vorzugsweise im bäuerlichen Milieu. Oft schrecklich konventionell und banal. Wären die Gemälde nicht so erschlagend monumental und gäbe es nicht Details, die sie als Produkte des 21. Jahrhunderts ausweisen - Haarschnitte oder kurze braune Hosen -, fiele die Datierung schwer. Die meisten könnten aus dem 19. Jahrhundert stammen, andere siedeln im 17. Jahrhundert.

"Die Sehnsucht nach dem Vergangenen", die Saul Friedländer als prägend für das Geschichtsverständnis der Nationalsozialisten ausmachte, ist hier greifbar. Pflügende Bauern, pseudoreligiöse Mutter-Kindgruppen, Sportler. Gerhard Keils überlebensgroße "Turner", blonde blauäugige Hünen oder Leopold Schmutzlers "Arbeitsmaiden", die singend und sauber vom Feld heimkehren. Sehr beliebt auch Familien während der Mahlzeit, vorzugsweise in bäuerlicher Umgebung.

Hofiert wurden die "seichten Leinwandschinder, die sich vor der maßgeblichen Ansicht des ganzen Pöbels beugen", schrieb Willi Baumeister 1934 in einem Brief an Julius Bissier. Er selbst, obwohl als entartet abgestempelt und 1941 mit einem Mal- und Ausstellungsverbot belegt, überzeichnete ungeniert Seiten aus dem Katalog der Großen Kunstausstellung, wandelte das Genital von Arno Brekers heldenhaft posierendem "Rächer" mit ein paar Strichen in ein lustiges Clownsgesicht um. Oder machte aus den nackten Frauenfiguren Adolf Zieglers, dem schon Zeitgenossen den Spitznamen "Reichsschamhaarmaler" verpasst hatten, Männer mit Spitzbärten und verschickte sie als Postkarten. Eine ungeheure Provokation, da Ziegler, Präsident der Reichskammer der bildenden Künste, die Werke für die Entartete-Kunst-Schau in München zusammengetragen hatte, darunter auch fünf von Baumeister.

Die verfemte Kunst entlarvt die Verlogenheit der regimekonformen Gemälde, die Leid und Krieg konsequent ausblenden. Erschütternd das Selbstbildnis des in Auschwitz ermordeten Malers Felix Nussbaum, schlicht betitelt mit "Angst", oder Karl Schwesigs Folterzeichnungen, in denen der Widerständler die Grausamkeiten der Gestapo festhält. Natürlich fanden Technik und Industrialisierung in den aussortierten Bildern statt, während sich die "artige" Kunst mit Hitlers Bauprojekten begnügte, etwa mit Autobahnmalerei, vermutlich tatsächlich ein innovatives Moment der NS-Kunst. Carl Theodor Protzen huldigt in den "Straßen des Führers" (1940) dem Bau der Talbrücke Holledau. Erich Mercker verharmlost den dazu notwendigen Abbau von Granit im Konzentrationslager Flossenbürg. Seinen Arbeitern ist nicht anzusehen, dass es sich um Gefangene handelt, die dort seit Mai 1938 unter entsetzlichen Bedingungen schufteten.

Konzipiert haben die Ausstellung Alexander und Silke von Berswordt-Wallrabe von der Stiftung Situation Kunst. Bochum war die erste Station, es folgten die Kunsthalle Rostock und jetzt die Ostdeutsche Galerie. Eigentlich hätte die Ausstellung nach Wroclaw (Breslau) gehen sollen. Doch in Polen wurde der Vertrag von Direktorin Dorota Monkiewicz, einer "liberal gesinnten Mitstreiterin", wie es im Vorwort des Katalogs (Kerber-Verlag) heißt, nicht mehr verlängert, die Ausstellung abgesagt. War vielleicht zu wenig "artig".

Artige Kunst. Kunst und Politik im Nationalsozialismus ; Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg; bis 29. Oktober

© SZ vom 15.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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