Ausstellung:Die Frau mit den vielen Leben

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Germaine Krull war Revolutionärin, Hotelmanagerin, Flüchtlingshelferin und Fotografin. Nun zeigt die Pinakothek der Moderne ihr grundlegendes Mappenwerk "Métal"

Von Evelyn Vogel

Es war ein Hinweis in Walter Benjamins "Kleiner Geschichte der Fotografie", die das Sammlerehepaar Ann und Jürgen Wilde aufhorchen ließ. Eine ihnen bis dahin unbekannte Fotografin, die im gleichen Atemzug mit August Sander und Karl Blossfeldt genannt wurde? Wer war die Frau? Wie sah ihr Werk aus? Und vor allen Dingen: Wo war sie? Mit detektivischer Sorgfalt gingen die Wildes jahrelang allen Spuren nach, bis sie Germain Krull in den 1970er Jahren endlich in Nord-Indien aufspürten, wo sie in Kontakt zum Dalai Lama stand und sich um tibetische Flüchtlinge kümmerte. Wie war diese Fotografin, die mit der Veröffentlichung ihres ersten freien künstlerischen Werks "Métal" 1928 die fotografische Moderne in Frankreich begründet hatte, dorthin gekommen? Und was hatte sie in den 50 Jahren dazwischen gemacht?

Germaine Krull war eine Frau mit mehreren Leben. Geboren 1897 in Posen kam die Familie 1912 nach München, wo die Mutter eine Pension führte. Hier ging sie in die fotografische Lehre und hatte in Schwabing ihr erstes Atelier. Ihre Nähe zu kommunistischen Revolutionären führte dazu, dass sie 1920 aus Bayern ausgewiesen wurde; so gelangte sie über Moskau, Berlin und Amsterdam nach Paris.

Nach Akt- und Werbefotografie entdeckte sie hier angesichts des Eiffelturms "die Metallriesen, in deren Nähe ich mir ganz klein und unscheinbar vorkam". Fortan setzte sie ihn und andere eiserne Konstruktionen wie Kräne, Brücken und Maschinen mit ungewöhnlichen Perspektiven und Bildausschnitten in Szene, um sie dadurch "vielleicht menschlicher zu machen". Ihr Fotobuch "Métal", 1928 veröffentlicht, katapultierte sie an die Spitze der Vertreter des "neuen Sehens" in der Fotografie. Schon während des Zweiten Weltkriegs lebte sie zeitweise in Brasilien und Afrika, 1946 verließ sie Europa ganz und ging als Kriegsberichterstatterin nach Indochina. Im Jahr darauf änderte sie wieder ihr Leben, führte zwischen 1947 und 1966 als Teilhaberin das berühmte Hotel Oriental in Bangkok. Schließlich brach sie auch aus diesem Leben aus. Um tibetischen Flüchtlingen zu helfen, ging sie nach Indien, wo die Wildes sie aufspürten. Zu einem ersten Treffen kam es 1976, und Wildes verhalfen dem Werk Germaine Krulls in den nachfolgenden Jahren mit Ausstellungen und Publikationen zu neuem Ruhm.

"Métal" ist kein Fotobuch im üblichen Sinne, erzählt Simone Förster, Kuratorin der Stiftung Wilde an der Pinakothek der Moderne. Krull nahm die fotografischen Abzüge und ließ sie mit einer speziellen Lichtdrucktechnik auf schweres Büttenpapier drucken. Die Blätter blieben ungebunden, so dass heute ein Mappenwerk vorliegt.

Aus dieser sehr raren Erstausgabe mit 64 Tafeln hat Förster aus Anlass des 80. Geburtstags des Sammlers Jürgen Wilde eine Ausstellung kuratiert. Neben den Lichtdrucktafeln aus der Erstausgabe werden Fotografien und Korrespondenzen aus den Beständen der Stiftung in Vitrinen gezeigt. Sie dokumentieren die Suche des Ehepaars Wilde nach Krull, ihre Wiederentdeckung und erneuten Erfolge sowie die Pflege ihres Werks. Begeistert von dem Plan Jürgen Wildes, einen Nachdruck von "Métal" herauszugeben, hatte Germaine Krull ein Vorwort geschrieben. Doch die Veröffentlichung des Nachdrucks von "Métal" im Jahre 2003 hat Germain nicht mehr erlebt.

Ihre letzten Jahre - sie starb 1985 - verbrachte sie bei ihrer Schwester in Wetzlar. Ihr künstlerischer Nachlass wird im Folkwang Museum in Essen verwahrt. Mit der Ausstellung "Métal" wird nun ihr wichtigstes Werk dort gezeigt, wo ihre fotografische Laufbahn begann: in München.

Germaine Krull: Métal, Pinakothek der Moderne, Barer Str. 40, 28. September bis 10. Juni, Di-So 10-18 Uhr, Do bis 20 Uhr; Vortrag von Bernd Stiegler (Universität Konstanz) zu Ehren des Sammlers Jürgen Wilde: 28. Sep., 18.30 Uhr, Ernst von Siemens Auditorium

© SZ vom 28.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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