Abschied von Siegfried Lenz:Jaja, richtig, ach Helmut

Lesezeit: 4 min

Helmut Schmidt und Siegfried Lenz auf einem Archivbild aus dem Jahr 2003 (Foto: dpa)

Freundschaft verband den verstorbenen Schriftsteller Siegfried Lenz mit Helmut Schmidt, schon vor dessen Kanzlerschaft. Jörg Magenau hat die beiden interviewt und die Geschichte dieser Freundschaft aufgeschrieben.

Von Franziska Augstein

Im vergangenen April ist ein Hotel in Marbach nicht abgebrannt. Das war Siegfried Lenz zu danken und kam so: Er rauchte gern Pfeife, er rauchte auch dann gern Pfeife, wenn er etwas anderes tun sollte, so etwa: sich zurechtmachen für den bevorstehenden Abend. In Marbach sollte er das Literaturarchiv besuchen - im Tross: etliche Vertreter aller Medien - und vor gezückten Kugelschreibern, Mikrofonen und Kameras ein paar Worte über seinen persönlichen Nachlass sagen, den er dem Archiv kurz zuvor übergeben hatte.

Bevor das losging, saß er im Rollstuhl - stoisch gutgelaunt hatte er sich längst schon an das rollende Mobiliar gewöhnt - auf der Terrasse des Marbacher Hotels: in ganz kleinem Kreis, en famille. Da er, just als seine Frau Ulla im Gedanken an die bevorstehende Anstrengung zum Aufbruch drängte, die Pfeife abermals entzündet hatte, mochte er nicht sogleich von dannen. Ein wenig gedrängelt, verstaute er die noch lohende Pfeife in ihrem Futteral. Warnhinweise seiner nicht ernstlich besorgten, sondern eher liebevoll-spöttelnden Familie: Auf diese Art werde er angesichts der Flammen, die demnächst sein Hotel umfassen würden, wohl für die Nacht ein neues Bett finden müssen - diese Worte verpufften, kurz bevor die glühende Asche das auch tat: Siegfried Lenz war ein geübter Pfeifenraucher.

Nicht nur beim Umgang mit der Pfeife war Lenz umsichtig: Er war ein liebenswürdiger, ein auf das Wohl anderer bedachter Mann, der niemanden warten lassen wollte und sich folglich folgsam drängeln ließ. Bei aller sarkastischen Abgeklärtheit, die lange Lebenserfahrung klugen Leuten oktroyiert, war er ein zutiefst gutmütiger Mensch.

Zum Tod von Siegfried Lenz
:Ein großer Erzähler

Er war Soldat im Zweiten Weltkrieg, wollte danach Lehrer werden und ist spätestens seit der "Deutschstunde" einer der bedeutendsten Schriftsteller der Nachkriegs- und Gegenwartsliteratur. Nun ist Siegfried Lenz im Alter von 88 Jahren gestorben.

So kam es, dass sich zwischen ihm und dem acht Jahre älteren Helmut Schmidt eine jahrzehntelange Freundschaft entspann. Man tritt Schmidt nicht zu nahe, wenn man sagt: Er spricht wie einer, der weiß, wo's langgeht. Wie viele zum Regieren Bestellte oder Berufene hat aber auch Helmut Schmidt eine weiche, eine musische Seite.

Das innige Verhältnis zwischen den beiden hat der literarisch erfahrene Publizist Jörg Magenau unlängst in einem Buch geschildert ( Schmidt - Lenz. Geschichte einer Freundschaft. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2014. 272 S., 22 Euro. E-Book 16,99 Euro). Wer nicht nur Siegfried Lenz verehrt, sondern auch Helmut Schmidt, findet darin die gekonnte Zusammenführung all der schon publizierten Zeugnisse beider, die sich auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen: die Freundschaft dieser beiden Männer. Hinzu kommen Interviews, die Jörg Magenau mit beiden im Jahr 2013 geführt hat. Ihrem Alter und ihrem Wesen entsprechend, gaben beide sich da eher einsilbig.

Was soll man sagen, wenn man gefragt wird: "Was bedeutet Freundschaft für Sie?" Schmidts abschweifende Antwort gipfelt in dem Verweis auf die von ihm schon veröffentlichte Erkenntnis, "dass mir die Definition durch Marie Luise Kaschnitz am meisten eingeleuchtet hat. Wenn ich es richtig erinnere, hat sie unter anderem geschrieben: dass das Geheimnis der Sympathie ein Geheimnis bleibt." Lenz bemüht sich Magenau zuliebe um Präzisierung, um eine neue Formulierung: "Freundschaft bedeutet, dass man der Unterstützung eines Menschen sicher sein kann (. . .) oder wenn man Bestätigung für seine eigenen Entwürfe braucht (. . .) ganz schlicht gesagt, Freundschaft bedeutet, du bist nicht allein."

Aus Magenaus Buch geht hervor: Schmidt fand in Lenz einen politisch wachen, guten Zuhörer und guten Gesprächsfreund, der nicht die erste Geige spielen wollte. Deshalb konnte er sich ihm öffnen. Worüber die beiden privatim gesprochen haben, kann Magenau nicht wissen.

Beide Männer waren im Zweiten Weltkrieg bei der Wehrmacht. Schmidt sagt mit Bezug auf Siegfried Lenz im Gespräch mit Jörg Magenau: "Das haben wir nicht nötig gehabt, uns darüber zu unterhalten, da waren wir uns stillschweigend einig." Lenz sagt: "Darüber haben wir nicht gesprochen. Bei einem Mann, der wie Helmut Schmidt Offizier war, konnte man voraussetzen, dass er besondere Erlebnisse mit denen da oben gehabt hatte. Und ein besonderes Urteil über die da oben. Aber das führte nicht dazu, dass wir uns darüber lange austauschten." Und dann fügt er an: "Ich kann mich nicht erinnern."

Tod von Siegfried Lenz
:"Moralist, der nie den Zeigefinger erhob"

Kollegen und Politiker betrauern den Tod des Schriftstellers Siegfried Lenz. Sie sprechen von einer beeindruckenden Persönlichkeit und auch von einzigartiger Freundschaft - vor allem aber von einem "großen Verlust".

Siegfried Lenz gehörte nicht zu den Autoren, die im Denken an ihre eigene Bedeutung über alles Buch führen, was sie selbst und bedeutende Leute sagen. Andere an seiner Stelle hätten prompt alles notiert und dann auch öffentlich gemacht, was mit dem Bundeskanzler Schmidt besprochen wurde. Lenz, der über seine Kindheit und Jugend nie reden wollte, war verschwiegen.

Heute gilt fast schon als neurotisch, wer sich nicht als geplagtes Opfer des eigenen Berufs, der eigenen Kindheit oder der elterlichen Vergangenheit in Rede bringt. Siegfried Lenz und Helmut Schmidt sind anders groß geworden. Je älter sie wurden, desto gewisser waren sie, dass das beste Verständnis im gemeinsamen Schweigen liegt.

Umso mehr interessierte Siegfried Lenz sich für Loki Schmidts Naturkenntnisse. Loki gehörte zu Helmut, und mit Loki musste Lenz nicht vor der Galerie reden. Außerdem ging es um anfassbare, normale Dinge: Blumen. Gut zuhören konnte Lenz auch; und er lernte gern. Er mochte Loki Schmidt. Beider Verhältnis ist in Magenaus Buch ein Kapitel gewidmet, und in diesem Kapitel hat der Autor, der möglicherweise für Pflanzenkunde wenig übrig hat, sich aus Respekt vor seinen Protagonisten auf nachgerade kitschige, auf jeden Fall abgegriffene Formulierungen beschränkt: "So wie sie seine Bücher verschlang und darauf reagierte, so gründlich las er die ihren."

"Hier kann man sitzen, hier kann man ruhen"

In früheren Jahren besaß Lenz ein Haus mit Gemüsegarten im schleswig-holsteinischen Tetenhusen. Jörg Magenau gibt folgende Passage aus einem Interview mit beiden wieder:

"Schmidt: Als wir das erste Mal nach Tetenhusen kamen, fanden wir das Haus nicht gleich. Aber draußen auf der Straße stand ein Stuhl. Der zeigte an, hier ist es.

Lenz: Der Stuhl war ein übergreifendes Willkommen. Hier kann man sitzen, hier kann man ruhen, hier kann man ein Gespräch führen.

Schmidt: und auf dem Wege von eurem kleinen Häuschen zu dem künstlich angelegten Teich . . .

Lenz: . . . jaja , richtig, ach Helmut."

So war Siegfried Lenz: ein Mann, der das Bedauern über die verlorene Gesundheit, die nicht wiederholbaren schönen Erlebnisse mit einem "Ach" zusammenfasst. Ein Mann, der mit seinen Büchern reich wurde, dem aber am Reichtum weniger gelegen war als daran, auch für jene zu schreiben, so Lenz, "die man stimmlos gemacht hat".

© SZ vom 08.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: