Comic-Künstler Moebius:Space Cowboy

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Über Genreregeln setzte er sich nonchalant hinweg: Der im März vergangenen Jahres verstorbene Zeichner Jean Giraud, besser bekannt unter seinem Pseudonym Moebius. (Foto: Getty Images)

Das Vermächtnis eines Giganten: Das Raumschiff-Abenteuer "Arzak - Der Raumvermesser" erscheint nun auf Deutsch. Es ist die letzte Arbeit des Comic-Künstlers Moebius. Auch andere Arbeiten des Meisters, der zeitlebens den Genre-Regeln trotzte, sind endlich wieder greifbar.

Von Christoph Haas

Ruhm kann ein Gefängnis sein. Für Comic-Zeichner bedeutete das früher: In dem Stil, der sie bekannt gemacht hatte, mussten sie ewig weitermachen - und selbstverständlich auch mit derselben Serie. Einer der ersten, der dieses eherne Gesetz brach, war der 1938 geborene Jean Giraud. Er hatte als Assistent von Jijé - bürgerlich: Joseph Gillain - angefangen, einem der Gründerväter der frankobelgischen Comics. Giraud arbeitete an Jijés populärer Westernreihe "Jerry Spring" mit; im Jahr 1963 begann er dann, unterstützt von dem Autor Jean-Michel Charlier, in dem französischen Magazin Pilote die Serie "Leutnant Blueberry" zu veröffentlichen.

Ein Western war auch dies, der zudem in den ersten Episoden wie eine getreue Kopie von "Jerry Spring" aussah. Dann aber löste sich Giraud in spektakulärer Weise von seinem Vorbild und entwickelte einen eigenen Stil von geradezu halluzinatorischer Plastizität, der in Verbindung mit Charliers immer komplexeren Szenarios "Blueberry" auch für erwachsene Leser zu einer Attraktion machte. Parallel dazu entwickelte Giraud eine zweite künstlerische Identität. Als Moebius publizierte er bereits in den Sechzigern einige humoristische Gelegenheitswerke. Ab Anfang der Siebziger nutzte er dieses Pseudonym regelmäßig, um neue künstlerische Gefilde zu erobern.

In gleich vier Bänden sind nun zahlreiche der Arbeiten aus dieser Zeit wieder auf Deutsch greifbar - und man kann beim Wiederlesen verzaubert feststellen, dass sie so herrlich sind wie am ersten Tag. Durchweg handelt es sich um kurze oder sehr kurze Geschichten, die überwiegend der Science Fiction und Fantasy zuzuordnen sind. Dies gilt allerdings nur vordergründig, nur was bestimmte Figuren, Requisiten und Motive angeht. Ja, hier gibt es Astronauten, Ritter und Laserpistolen, es gibt Raumschiffe, Landungen auf fernen Planeten und schreckliche Ungeheuer - und dennoch ist alles anders als gewohnt, weil Moebius die Genreregeln völlig gleichgültig sind. Nonchalant und souverän nimmt er sich alle denkbaren Freiheiten.

Ohne a priori konstruiertes Szenario

In seinem Vorwort zu "Die blinde Zitadelle" erläutert der Künstler seine damalige Suche nach "größtmöglicher Gestaltungsfreiheit", die ihn sehr spontan agieren ließ: direkt mit Tinte, ohne Bleistift und ohne a priori konstruiertes Szenario. Diese Methode führte zu "abrupten Richtungswechseln" sowie zum Einsatz von Satire und Parodie.

In einer Story, die in dem Band "Zwischenlandung auf Pharagonescia" zu finden ist, irrt ein stoppelbärtiger, schwer bewaffneter Weltraum-Rambo über einen Sumpfplaneten. Monströse Ureinwohner entdecken und verfolgen ihn, machen Anstalten, ihn bei lebendigem Leib zu fressen. Der Chef der Horde reißt ihm ein Ohr ab, nur um es sofort wieder angewidert auszuspucken. "Ist der Mensch gut?" heißt diese Geschichte, die ihren Titel auf unvorhersehbar-despektierliche Weise wörtlich nimmt. Der philosophische Sinn der Frage bleibt dennoch erhalten: Als "ungenießbar" erscheint vielleicht unsere ganze Spezies, bestimmt aber eine tradierte, aggressive Form von Männlichkeit.

In zeichnerischer Hinsicht übertraf Moebius sich in dieser Phase selbst. Durch die teils leuchtende, teils gedeckte Direktkolorierung strahlen seine Bilder eine singuläre Intensität aus. In der von Rimbaud inspirierten "Ballade" etwa - in "Die blinde Zitadelle" - oder in der Titelgeschichte von "Zwischenlandung auf Pharagonescia" ist die Farbe mehr als ein schlichter Buntmacher. Sie öffnet das Erzählte ins Traumhaft-Surreale und verleiht ihm eine spirituelle Dimension, die sich der Beschreibung entzieht, aber unmittelbar erfahrbar ist, wie eine sanfte, nachdrückliche Berührung. Zugleich tappt Moebius - anders als manchmal in seinem späteren Werk - nie in die Kitschfalle; wie alle großen realistischen Comic-Künstler lässt er in seine Zeichnungen immer wieder humoristisch-karikaturistische Elemente einfließen.

Ab den Achtzigern arbeitete Moebius gerne mit dem chilenischen Regisseur und Autor Alejandro Jodorowsky zusammen. Aus dessen gescheitertem Versuch, Frank Herberts SF-Kultroman "Der Wüstenplanet" zu verfilmen, erwuchsen Ideen, die schließlich in "Der Incal" Gestalt annahmen. Der monumentale, zwischen 1981 und 1988 publizierte Sechsteiler um den jämmerlichen Privatdetektiv John Difool beginnt recht intim, wie ein futuristischer Film noir im Stil von "Blade Runner", wächst sich dann aber zu einem gewaltigen kosmischen Spektakel aus, drohendes Armageddon und dringliche Sinnsuche inbegriffen. Das ist reichlich überladen mit religiösen, esoterischen und autobiografischen Anspielungen und mit fast 300 Seiten auch ein gutes Stück zu lang.

Missen möchte man diese Neuausgabe des "Incal" dennoch nicht: Sie enthält lesenswerte Nachworte, und das große Format bringt Moebius' Artwork prächtig zur Geltung, besonders sein Talent, unruhige, von Details wimmelnde Bilder und solche von majestätischer Klarheit und Symmetrie einander abwechseln zu lassen.

Im Spätwerk versuchte Moebius mehrfach seine früheren Höchstleistungen fortzuspinnen. Dies ist auch bei "Arzak - Der Raumvermesser" der Fall, dem letzten Werk des im März 2012 verstorbenen Zeichners, das nun erstmals auf Deutsch erscheint. Dem stoischen Helden, der hier auf einem weißen Flugsaurier durch die Lüfte gleitet, konnte man schon in einer Handvoll stummer, rätselhafter Geschichten aus den Siebzigern begegnen.

Piraten, Monarchie und Raumschiffe

Der "neue" Arzak ist eine Art Polizist, dessen Aufgabe es ist, auf seinem Heimatplaneten ungewöhnliche Geschehnisse aller Art aufzuspüren. Im Weltraum über ihm spielt sich währenddessen eine Space Opera ab: Piraten versuchen ein Schiff in ihren Besitz zu bringen, an dessen Bord sich ein Königskind befindet. Kurz bevor die Handlungsstränge sich vereinigen können, ist das Album aus; zu einer Fortsetzung ist Moebius vor seinem Tod nicht mehr gekommen.

Was in den ersten "Arzak"-Geschichten allenfalls angedeutet wurde, wird in "Der Raumvermesser" nach den Regeln der epischen Kunst entfaltet - und damit zugleich seines reizvollen Schillerns beraubt. Das mag man bedauern; dennoch ist das Album sehr gelungen. Bei allen Anklängen an "Star Wars" hat die Story, dank schöner Einfälle und humoristischer Momente, ihren speziellen Charme. Vor allem aber: Wieder einmal ist hier zu bewundern, wie grandios Moebius es verstand, psychedelisch angehauchte Wüstenlandschaften zu zeichnen. Der Süden der USA, wie er in "Blueberry" wiedergegeben ist, gleicht ja immer ein wenig der Oberfläche eines fremden Planeten. Wenn in "Arzak" mitunter die Ikonografie des Western anklingt, schließt sich ein Kreis, nähern die beiden Identitäten des Zeichners sich einander an. "Der Raumvermesser" ist das würdige Vermächtnis eines Giganten der Neunten Kunst.

Moebius (Text und Zeichnungen): Zwischenlandung auf Pharagonescia; Die blinde Zitadelle; Die Ferien des Majors; The Long Tomorrow. Aus dem Französischen von Resel Rebirsch. Cross Cult Verlag, Ludwigsburg 2012. Je 56 Seiten, je 16 Euro.

Alejandro Jodorowsky (Text) / Moebius (Zeichnungen): Der Incal. Aus dem Französischen von Resel Rebirsch. Splitter Verlag, Bielefeld 2011-2012. Sechs Bände, je 56 -64 Seiten, je 15,80 Euro.

Moebius (Text und Zeichnungen): Arzak - Der Raumvermesser. Aus dem Französischen von Rossi Schreiber. Ehapa Comic Collection, Köln 2012. 80 Seiten, 25 Euro.

© SZ vom 02.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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