Aggressionen gegen "Zugezogene":Berlins neue Hasskultur

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Wer fremd in Berlin ist und dem "Schinderhasen" begegnet, hat Pech gehabt - denn dieser kennt kein Pardon. Zwar existiert die Figur nur in einem neuen Buch. Doch immer häufiger wird Ausländern in den Clubs und Kneipen der Stadt der Zutritt verwehrt. Aus "Schwabenhass" werden sogar Kinderwagen abgefackelt - das alternative Berlin offenbart einen reaktionären Unterton.

Tanja Dückers

"Schinderhasennachmittag" heißt ein neues "Kultbuch" aus Berlin. Der Name der Hauptfigur, Schinderhase, ist vom Spitznamen des Räubers Johannes Bücker (1779 bis 1803) abgeleitet, der als Schinderhannes bekannt war. Auf der Buchrückseite erfährt man, warum der moderne Schinderhannes gerade in Berlin-Prenzlauer Berg sein Unwesen treibt: "Das Leben rund um den Mauerpark könnte so schön sein ohne Kinder, und glücklicherweise räumt der Schinderhase mal ordentlich auf. . ."

Jungfamilien im Prenzlauer Berg: In einem auf Berlinerisch verfassten "Kultbuch" herrscht ein feindlicher Ton gegenüber Kindern und Fremden. (Foto: Getty Images)

Im Text geht es zur Sache. Da werden Kinder in Pfützen gestoßen, an die Wand geworfen oder an den Haaren hochgezogen - farbige Illustrationen verdeutlichen die Taten. Wer unter 1,40 groß ist und dem Schinderhasen über den Weg läuft, hat Pech gehabt. Urkomisch soll das wohl sein. Das Buch ist auf Berlinerisch verfasst, vermutlich um sich von den "Zugezogenen", von denen sich einige Berliner bekanntlich überfremdet fühlen, abzugrenzen. Der "Schinderhasennachmittag" passt gut in die neue linksreaktionäre Hasskultur, die sich in Berlin breitmacht.

"Schwaben töten" prangt an Hauswänden in Prenzlauer Berg. Mit der Begründung "Schwabenhass" wurden Kinderwagen abgefackelt. Frauen in Prenzlauer Berg werden gern mal mit "Schwäbin", "Blöde Zugezogene" und "Scheiß-angeheiratetes Geld" beschimpft. Berliner halten übrigens alle Menschen, die südwestlich von Brandenburg geboren sind, für "Schwaben". Schon vor drei Jahren kursierte der Spruch: "Wir sind ein Volk. Und ihr seid ein anderes."

Kurz nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg machte ein Plakat die Runde: "Die Invasion ist vorbei! Ihr dürft wieder zurück nach Hause." Selbst in Neukölln fürchtet man sich schon vor der Gentrifizierung in Gestalt von jungen Leuten, die Bars und Galerien eröffnen - als könnte Veränderung grundsätzlich nichts Positives bedeuten. "Rollkoffertouristen", die in Scharen die deutsche Hauptstadt und gar Idyllen wie Kreuzberg besuchen, werden ebenfalls heftig beklagt. Kurios natürlich, wenn sich der Reiseweltmeister darüber aufregt. Die Fälle häufen sich, in denen Ausländern in Szene-Clubs und Kneipen der Zutritt mit der Begründung "Touristen unerwünscht! Wir wollen unter uns bleiben" verwehrt wird. In Berlin lebende, befreundete Inder traf es im "Kirk" am Schlesischen Tor: "Sorry, no tourists."

Intoleranter, reaktionärer Unterton

Als gebürtige Berlinerin müsste ich mich vielleicht von den humoresk verbrämten Aggressionskapriolen des Schinderhasen aus Gründen der Revierverteidigung angesprochen fühlen, doch sie widern mich nur an. Was sich einst als links und lustig gerierte (wie die Plakate zur Weihnachtszeit, auf denen Süddeutschen "eine gute Heimfahrt" gewünscht wurde) offenbart einen intoleranten, reaktionären Unterton.

Milieuschutz steht über allem. Man ist vornehmlich mit sich selbst beschäftigt und führt, egal was in der Welt passiert, kleinteilige Debatten darüber, welcher Bezirk oder Menschenschlag in der Stadt gerade angesagt ist oder nicht. Tatsächliche Probleme wie die schnell steigenden Mieten und die Aushebelung des Berliner Bebauungsplans von 1862, der die soziale Durchmischung Berlins vorsah, werden von den Empörten leider fast nie aufgegriffen. Einfacher ist es, griffige Feindbilder zu produzieren, als Strukturen zu hinterfragen, die zu sozialen Verdrängungsprozessen führen.

Auch Berlins alternatives Image wäre nicht, was es ist, ohne all die Süddeutschen, die so schön die Häuser mitbesetzten, anarchistische Kneipen aufmachten und bei Demos brav ihren Kopp hinhielten. Ein Lob auf die Südländer. Lasst sie doch im zunehmend behaglichen Prenzlauer Berg mit seinem lichtdurchfluteten Mauerpark Kinder bekommen und alt werden, nach all dem, was sie für Berlin in ihren jungen Jahren geleistet haben!

Im Kreuzberger Heimatkundemuseum steht unter dem Stichwort "Migrationsbewegung" ganz sachlich: "Hugenotten, Türken, Schwaben." So geht es auch. Aus Büchern wie dem "Schinderhasennachmittag" erfährt man nur: Da gibt es Leute, die meinen, sie wüssten genau, wie Berlin zu sein hat: nämlich so, wie es ihnen vertraut ist. Mit Mut, Offenheit und Wandlungsfähigkeit, mit dem, wofür Berlin einmal meinte zu stehen, hat diese Bewahrermentalität nichts mehr zu tun. "Wer kricht nu die nächste Beule?" fragt der Schinderhase und macht "Hä hä." Berliner Schnauze war mal was anderes.

EUGEN GEETZ: Schinderhasennachmittag oder Die Kinder vom Mauerpark. Illustr. von Martina Wildner. Gebr. Nadelmann, Berlin 2011. 36 S., 11,90 Euro.

Die Schriftstellerin Tanja Dückers lebt in Berlin.

© SZ vom 16.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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