Sprachlabor:Wo bin ich hier?

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(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Wanderer, kommst du nach Sidney... Welche Stadt sich hinter diesem Namen verbirgt, kann ein Leser nicht immer genau ausmachen. Liegt sie in Australien, liegt sie in den USA? Hermann Unterstöger gibt Hilfestellung.

Von Hermann Unterstöger

"KENNST DU DIE STADT?" Eine Strophe mit dieser Eingangsfrage fehlt in Goethes Gedicht "Mignon". Dafür stellt unser Leser F. die Frage, und die Stadt, nach der er sucht, heißt Sidney. Dann und wann findet er sie in der SZ, wobei immer klar zu sein scheint, dass nicht Sidney in Montana gemeint ist, sondern Sydney in Australien. Sydney führt seinen Namen nach Thomas Townshend, 1. Viscount Sydney, der seinerseits, als er zum Peer erhoben wurde, den Namen Sydney wählte, um auf seine Abstammung von - Obacht! - Robert Sidney, 1. Earl of Leicester, zu verweisen. Dieser wiederum war das dritte Kind Sir Henry Sidneys, Neffe von Robert Dudley, 1. Earl of Leicester, und Bruder des früh berühmten Dichters Philip Sidney und der ebenfalls schriftstellerisch tätigen Mary Sidney, nachmals Countess of Pembroke, welchselbige - doch das würde jetzt zu weit führen. Wir sind übrigens nicht die Einzigen, die Sidney und Sydney gelegentlich verwechseln. Vor Jahr und Tag wollte Tobi Gutt aus Treuenbrietzen seine in Sydney wohnende Freundin Laura besuchen und landete, sommerlich ausstaffiert, im bitterkalten Montana.

OB NUN AUCH DER DATIV STIRBT, will Leserin D. wissen. Als seinen Mörder hat sie den Akkusativ in Verdacht, und der Beleg, mit dem sie ihn zu überführen gedenkt, ist unsere Überschrift "Kretschmann rührt an grünes Tabu". Sie habe den Dativ "K. rührt am grünen Tabu" erwartet und frage sich, ob der Autor durch die Brechung dieser Erwartung besondere Aufmerksamkeit habe erzielen wollen. Hat er nicht, können wir an seiner Stelle antworten, sondern nur so formulieren wollen, wie es erlaubt und letztlich auch sinnvoll ist. "An solche Geheimnisse sei nicht gut rühren, meinte er", heißt es bei Goethe. Ähnliche Beispiele bietet die Literatur zuhauf, und wenn das Gefühl etwas gelten darf, wird das Transitive dem, was ausgedrückt werden soll, besser gerecht als das Intransitive: Man rührt ja nicht an den Geheimnissen herum wie an einem Brei. Man rührt sie an oder versucht das zumindest.

© SZ vom 07.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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