Sprachlabor:Hingucker und Hinhörer

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(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Wieso nervt das Wort "Hingucker" einen Leser? Hermann Unterstöger hat sich zur Klärung dieser Frage unter anderem an der Universität Jyväskylä umgeschaut.

Von Hermann Unterstöger

AN DER UNIVERSITÄT Jyväskylä wurde vor ein paar Jahren eine Arbeit über Neologismen in deutschen Pressetexten geschrieben. Zum Hingucker wurde darin unter anderem dies gesagt: "Hingucker ist jemand, der hingeguckt wird." Unser Leser T. dürfte davon angetan sein, weil er den Hingucker ohnedies für dubios hält. Nach allem, was die Neologismenforschung weiß, ist das Wort um 1990 herum aufgekommen; mittlerweile steht es im Duden als umgangssprachliches Synonym für jemanden oder etwas, der oder das große Aufmerksamkeit erregt. Wieso nervt dieses Wort? Weil eine stille Sinnumkehrung stattfindet: Der Hingucker, den man bisher als einen, der hinguckt, verstanden hat, verwandelt sich in einen, auf den hingeguckt wird oder der zum Hingucken verleitet. Seltsamerweise ist das Verb hinhören in dieser Hinsicht unproduktiv. Die Ableitung Hinhörer fehlt in den Wörterbüchern, obwohl man sie da und dort durchaus lesen kann, beispielsweise bezogen auf Popmusiker, die als "echte Hinhörer" gelobt werden. Der Fernseher wäre, zumindest in Jyväskylä, etwas, das ferngesehen wird.

AUS DEM STRAFVOLLZUG: "Witte saß in Lima seit 2003 wegen des geplanten Schmuggels von 167 Kilogramm Kokain in einem Mast eines Fahrgeschäfts ein." Leser H. findet es bemerkenswert, dass man in Peru Kokainschmuggler zu bessern sucht, indem man sie in Fahrgeschäftsmasten einsperrt. "Man sollte in Bayern darüber nachdenken", meint er, wobei er das Motiv seiner Meinung offenlässt: Entlastung der Gefängnisse? Zweitnutzung unausgelasteter Fahrgeschäfte?

DASS ALLES mit allem zusammenhängt, sieht man an der von Leser K. gerügten Unterzeile: "Mehrere Verfahren laufen, doch bis ans Ende der Befehlskette reichen sie nicht." Mit Blick aufs Hierarchische als solches meint K., dass es "Anfang der Befehlskette" hätte heißen müssen. Möglich, aber von unten gesehen ist der Anfang der Befehlskette immer auch deren Ende.

© SZ vom 18.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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