Sprachlabor:Große Angst

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Leisten wir mit einer Überschrift wie "Ich habe Scheißangst" der krankhaften Neigung zu obszönen Wörtern Vorschub? Außerdem Beschwerden zu den Begriffen "Umsetzung" und "kennte" klärt in bewährter Manier Hermann Unterstöger.

Von Hermann Unterstöger

UNTER KOPROLALIE versteht man die krankhafte Neigung, obszöne Wörter auszusprechen, und Leserin Dr. H. ist der Ansicht, dass wir diesem Leiden Vorschub leisten. Grund dafür war die Überschrift "Ich habe Scheißangst", die als Zitat einem Interview entnommen worden war. Ob das ordinär war, sei hier nicht erörtert, wohl aber Frau H.s These, das vorangestellte Scheiß- habe "diminutive Bedeutung". Wenn unser Gefühl für die Nuancen der Alltagssprache nicht völlig irrt, ist das Gegenteil der Fall. Außerdem drückt Scheiß- laut Duden "in Bildungen mit Substantiven aus, dass jmd. od. etw. als schlecht, miserabel, verabscheuungswürdig angesehen wird". Noch kurz zur Schreibung. Man kann beobachten, dass Wörter wie das erwähnte unterschiedlich geschrieben werden: mal als Scheißangst und mal als scheiß Angst. Die Parallele zu Topangebot und top Angebot ist mehr als deutlich, und wer ganz genau hinhört, wird zwischen der substantivischen Zusammensetzung und der Attribution mit unflektiertem Adjektiv auch einen Sinnunterschied wahrnehmen.

ALS EIN LEIDENDER präsentiert sich Leser Prof. Dr. R.; Quelle seines Unbehagens ist die Vokabel Umsetzung, die es unter den farblosen Blähwörtern in der Tat ziemlich weit gebracht hat. Umsetzen wird derart inflationär für verwirklichen verwendet, dass seine eigentliche, sehr handfeste Bedeutung blässer und blässer wird. Deutlich zeigt sich das in Dr. R.s Beispiel, nämlich der Aussage, dass die marginalisierte NPD "keine Chance auf eine Umsetzung ihrer Ziele habe". Herr R. hält dieser Formulierung entgegen, dass sich ein Ziel erreichen oder verfehlen lässt. "Wer es hingegen umsetzt, der gibt ihm einen anderen Ort, der ändert also seine Intention."

ALS "FALL", sprich: Fehler, markiert Leser R. den Konjunktiv II "kennte". Schon Grimm hat verwundert angemerkt, dass es kännte heißen müsse, doch hat die Geschichte weder auf ihn noch auf Herrn R. gehört.

© SZ vom 11.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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