Sprachlabor:Gedanken zum Tod

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(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Da der Tod das Grimmigste ist, was uns widerfährt, ist die Palette der beschönigenden Ausdrücke besonders reich. Aber ist es auch beschönigend, wenn man von Menschen schreibt, die im KZ "starben"? Eine Gewissenserforschung.

Von Hermann Unterstöger

JE TRAURIGER UND DÜSTERER etwas ist, desto mehr Euphemismen stellt die Sprache dafür zur Verfügung. Beim Sterben ist das verständlicherweise nicht anders, und da der Tod das Grimmigste ist, das uns widerfährt, ist die Palette der beschönigenden und ablenkenden Ausdrücke besonders reich. Um die Weite anzudeuten, seien hier nur zwei extreme Beispiele genannt: vor Gottes Richterstuhl treten und über die Wupper gehen.

Einen völlig anderen - und die kleinen Möglichkeiten dieser Kolumne letztlich auch überfordernden - Aspekt hat unsere Leserin O. im Sinn. Sie erklärt das Wort sterben selbst zum Euphemismus, ausgehend von einem Bericht über eine KZ-Überlebende, von der es geheißen hatte, ihre Angehörigen seien in Auschwitz gestorben. Hier Frau O.s Begründung, die in ähnlicher Form und bezogen auf Sterben unter ähnlichen Bedingungen schon andere Leser vorgebracht haben: "In den Gaskammern von Auschwitz ,starb' niemand, sondern sie wurden ermordet - absichtsvoll und geplant. Auch diejenigen, denen der Typhus oder der Hunger den Rest gegeben haben, starben nicht, sondern wurden ermordet, weil auch diese Folgen im Kalkül der Mörder lagen."

Das ist richtig, und es liegt der SZ fern, diese Wahrheit hinter beschwichtigenden Wörtern verbergen zu wollen (was Frau O. übrigens nie unterstellt). Andererseits ist die Geschichte des Mordens, Vernichtens, Erschlagens und Ausrottens so unendlich, dass die darüber berichtende Sprache verstummen müsste, hätte sie nicht die Lizenz, noch das Schrecklichste mit dem Wörtchen sterben wiederzugeben - nicht nur, aber auch. Es gilt für den natürlichen Tod ebenso wie für den gewaltsamen, wobei Wendungen wie Hungers sterben, in der Schlacht gestorben, auf der Folter sterben oder, dies besonders, am Kreuz gestorben das Grausame, Verbrecherische oder Ungeheuere hinter dem jeweiligen Tod ja keineswegs verschleiern. Dächte man dabei an h inscheiden, heimgehen oder gar abtanzen, wäre sterben wirklich ein trauriger Euphemismus.Hermann Unterstöger

© SZ vom 28.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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