Sprachlabor:Fokus

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(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Alle schreiben nur noch vom Fokus, nicht mehr vom Brennpunkt, Augenmerk oder Schwerpunkt. Warum das so ist, untersucht Hermann Unterstöger.

Von Hermann Unterstöger

WENN "ALLEN JOURNALISTEN" vorgeworfen wird, sie hätten sich in den Fokus so vergafft, dass sie Synonyme wie Brennpunkt, Augenmerk oder Schwerpunkt darüber vergäßen, fühlt der einzelne Journalist sich zunächst nur am Rande gemeint. Dann aber geht man der Sache, vorgebracht von Leser L., doch etwas genauer nach und stellt für unser Blatt fest, dass der Begriff Fokus im Lauf eines Jahres 2041-mal verwendet wurde, die Variante Focus 635-mal, wobei es meist um das Magazin Focus ging. Es fanden sich aber auch edel formulierte Sätze wie der, dass "im Focus" einer Pianistin das Klavier stehe, eine insofern etwas abgründige Aussage, als das lateinische Wort focus ja ursprünglich Feuerstätte bedeutet. Liest man unter den Fokus-Belegen, dass eine Tanzperformance den Fokus auf die Notwendigkeit des Essens lege, findet man L.s Anregung, diese Feuerstätte mal etwas ausglühen zu lassen, mehr als gut.

NOCH ETWAS ANDERES hat Herr L. auf dem Herzen, um nicht zu sagen im Fokus. Er erinnert an den Unterschied zwischen Soldaten, die abgedankt werden respektive wurden, und Monarchen, die von sich aus abdanken. Im Hinblick darauf könne man zwar von abgedankten Soldaten sprechen, nicht jedoch von abgedankten Königen. Keine Grammatik, die der attributiven Verwendung des 2. Partizips nicht den einen oder anderen Paragrafen widmete, und keine, die bei dieser Gelegenheit nicht darauf hinwiese, dass ein Kind, das geschlafen hat, deswegen noch lange kein geschlafenes Kind ist, und dass man einen Regen, der aufgehört hat, nicht als aufgehörten Regen abbuchen könne. Ausnahmen gibt es, wie überall, auch hier, doch lässt sich aus versunkenen Formulierungen à la "bei aufgehörter Seuche der Pest" keine Lizenz für die Gegenwart ableiten. Trotzdem sei die Grauzone erwähnt, in der sich, zum Verdruss vieler Sprachfreunde, die studierte Chemikerin und der gelernte Schlosser herumtreiben. In der Umgangssprache ist dergleichen mittlerweile kein echtes Ärgernis mehr.

© SZ vom 08.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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