Sprachlabor:Befindlichkeiten

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(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Ein Leser möchte geklärt wissen, was für die SZ eigentlich "in die Speichen greifen" bedeutet. Ein anderer rügt die Formulierung "der auf Abschiedstournee sich befindliche Barack Obama".

Von Hermann Unterstöger

ZWISCHEN FELGE UND NABE des Rades stecken die Speichen, und wer da schon die Finger hineingebracht hat, wird das freiwillig kein zweites Mal tun. Dennoch sind Redewendungen wie "dem Schicksal in die Speichen greifen" beliebt, nicht zuletzt deswegen, weil auch Dietrich Bonhoeffer empfohlen hatte, dem Rad in die Speichen zu fallen, sprich: dem Unheil hemmend zuvorzukommen. Bei uns hieß es, der Bayerische Verwaltungsgerichtshof greife erst in jüngerer Zeit in die Speichen der Landespolitik, was Leser B. zu einem Exkurs in die Postkutschenzeit bewog: Damals habe man in die Speichen gegriffen, um die Kutsche im Fall einer Havarie aus dem Dreck ziehen zu helfen. Das ist richtig, ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Bedeutung des Verhinderns gebräuchlich war und ist. Im "Don Carlos" fragt der Marquis den König, ob dieser sich "dem Rade des Weltverhängnisses ... entgegenwerfen, mit Menschenarm in seine Speichen fallen" wolle.

FÜR VERFEHLT hält Prof. Dr. G. die Formulierung "der auf Abschiedstournee sich befindliche Barack Obama". Daraus ergab sich ein kleiner innerbetrieblicher Disput, weil das Reflexivpronomen sich auch seine Verteidiger fand. Sieger bleibt der Leser mit seinem Argument, dass es sich um eine unzulässige Kontamination von befindlich und sich befindend handle. Der Duden teilt diese Diagnose, wenn er das Lemma befindlich mit "sich an einem bestimmten Ort / in einer bestimmten Lage befindend" erklärt und Beispiele wie dieses anführt: "Das in der Kasse befindliche Geld wurde gestohlen." Grimm führt befindlich als Synonym für vorhanden und fährt fort: "man sagte auch sich befindlich". Das Zitat dazu ist aus Hoffmann von Hoffmannswaldaus "Liebe / zwischen Przetislauen / Fürsten in Böhmen / und Fräulein Jutta / Kayser Ottens des andern Tochter" und sei schon seiner Kuriosität halber nicht unterdrückt: "Sie zeigete ihm alle daselbst sich befindliche Sachen / und führete ihn endlich ohne Bedencken der Fräulein Hände zu küssen."

© SZ vom 17.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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