Weiterbildung:Abi - einfach online

Lesezeit: 4 min

Am Tag der Job, abends pauken: Starre Zeitpläne der Abendgymnasien schrecken viele Berufstätige ab. Mit Online-Unterricht kommen sie nun entspannter zum Abitur.

Eva Keller

Abends, wenn ihre Kinder schlafen, fängt für Gabi Klein die Schule an. Sie setzt sich an den Wohnzimmertisch, klappt den Laptop auf und schaut nach, was ansteht: Gedichtanalyse in Deutsch, Extremwertberechnung in Mathe, Machiavellis Menschenbild in Philosophie.

Bis nächste Woche muss sie die Hausaufgaben erledigt haben, dann treffen sich die Teilnehmer des "Abitur Online"- Lehrgangs wieder zum Präsenzunterricht im Abendgymnasium Köln.

Klein bereitet sich auf das Abitur vor. Dass die 42-Jährige das trotz ihrer vier Kinder und ihres Halbtagsjobs als Justizbeamtin am Amtsgericht wagt, liegt an der Organisation von "Abitur Online". Nur zwei Abende pro Woche geht sie zur Schule, an den anderen Tagen steht Selbstunterricht auf dem Stundenplan. "Sonst würde ich das nicht schaffen."

Wer am Abendgymnasium das Abitur nachholen will, muss normalerweise drei bis fünf feste Abende pro Woche einplanen, mancherorts beginnt der Unterricht schon am Nachmittag. In einigen Bundesländern gibt es auch Kollegs, an denen Erwachsene das Abitur im Vollzeitunterricht nachholen können.

Berufsausbildung ist Vorraussetzung

Dass der Vorsatz, eine Weiterbildung zu machen, oft am Zeitmangel scheitert, haben die Abendgymnasien in Nordrhein-Westfalen als Pioniere erkannt und darauf mit dem Angebot "Abitur Online" reagiert. 2007 hat das Ketteler-Kolleg in Mainz nachgezogen. Dort können "Abi-Onliner" auch Tageskurse belegen: Sie pauken also, während ihre Kinder in der Kita oder Schule sind.

Drei Jahre dauert das "Abitur online"-Programm. Teilnehmen kann jeder, der einen Realschulabschluss und eine Berufsausbildung oder mindestens drei Jahre Berufstätigkeit vorweisen kann.

Klein erfüllt diese Voraussetzungen - und bringt außerdem ein paar persönliche Qualitäten mit, die für Abendschüler hilfreich sind. "Ich komme aus einer kinderreichen Familie und habe früh gelernt, selbständig zu arbeiten", sagt sie. Belastbarkeit und Organisationstalent stellt sie als berufstätige Mutter ohnehin täglich unter Beweis.

Zwei Mal wöchentlich zum "Offline-Treff"

Außerdem brauchen alle "Abi Onliner" Computer, Drucker, Internetanschluss und Software, um dem Unterricht folgen zu können. Auf einer Internetplattform stellen die Lehrer Materialien für ihre Schüler bereit, auch Hausaufgaben und Klausurtermine finden sich dort.

Die Plattform ist zugleich Kommunikationszentrum für die Schüler. Fragen zu den Aufgaben können sie beispielsweise über ein Forum an die Mitschüler richten. Wenn die keine Antwort wissen, hilft der Lehrer weiter.

Die Klasse bleibt keine virtuelle Gemeinschaft: An zwei Präsenzabenden in der Woche treffen sich die 15 Frauen und Männer im Abendgymnasium. Von 17 bis 21.30 Uhr besprechen sie die in der Online-Phase erledigten Aufgaben und lauschen dem Vortrag der Lehrer.

Ein straffes Programm, aber eine lockere, familiäre Atmosphäre, findet Klein. Auch Uwe Steinhauer, der das Ketteler-Kolleg in Mainz besucht, lobt den Unterricht und ist optimistisch, dass er ein gutes Abitur hinlegen wird. "Das habe ich auch den meist hochmotivierten Lehrern und dem guten Klassenzusammenhalt zu verdanken", sagt der 46-jährige Bäckermeister.

Der Wille zur Weiterbildung - in Zeiten von Krise und Strukturwandel zeigen ihn besonders viele. Mehr als 20.000 Schüler lernen an Abendgymnasien in Deutschland, davon alleine 7300 in Nordrhein-Westfalen. Baden-Württemberg, Hessen und Bayern liegen in gemessenem Abstand dahinter.

Einst saßen überwiegend Männer in den Klassen, inzwischen holen die Frauen auf. Und: Die Zahl der Schüler aus Einwandererfamilien nimmt stetig zu. Einer von ihnen ist Mohammed Reza Mahboob. Als er 1994 aus Iran nach Regensburg kam, lernte er erst einmal Deutsch.

Fünf Jahre später hatte er den Hauptschulabschluss und einen Ausbildungsvertrag zum Zimmermann in der Tasche und war zufrieden. Aber nicht lange: Mahboob brach die Lehre ab, jobbte ein Jahr lang bei BMW am Fließband, machte sich als Teppichhändler selbständig und putzte nebenbei in einer Autovermietung die Leihwagen.

Bafög zur Unterstützung

"Dabei wurde mir klar: Ich muss etwas ändern", sagt der 27-Jährige. "Ohne richtigen Abschluss kommt man nicht weit. Und finanziell reicht es auch nicht." Inzwischen hat er drei Jahre am Abendgymnasium Regensburg hinter sich, steuert auf die Abi-Prüfungen zu und spielt mit dem Gedanken, Maschinenbau zu studieren.

Das Regensburger Abendgymnasium ist privat, wie fast alle in Bayern und Baden-Württemberg. Allerdings bekommen staatlich anerkannte Privatschulen Zuschüsse, sodass zum Beispiel für die Abendschüler in Regensburg nur ein Monatsbeitrag von 66 Euro bleibt, den in der Regel die Regierung der Oberpfalz übernimmt. Mahboob jedenfalls hat der Schulbesuch bisher keinen Cent gekostet, seit Beginn des dritten Schuljahres erhält er sogar Bafög.

Ebenso wichtig wie die finanzielle Unterstützung ist für Mahboob der moralische Rückhalt von Familie und Freunden. "Das erste Jahr war hart. Ich kam von der Hauptschule und hatte plötzlich mit Mathe auf Gymnasialniveau und Latein zu tun - das kannte ich ja nur von Asterix und Obelix!" Außerdem arbeitete er anfangs noch im Teppichgeschäft. "Ich bin kurz unter die Dusche und dann weiter zur Schule."

Abrecherquote nicht registriert

Mahboob hat durchgehalten und sich daran gewöhnt, jeden Abend zur Schule zu gehen. Nur den Freitag findet er "schlimm", dann feiern die Freunde, nur er muss am nächsten Morgen auf der Matte stehen: Samstags ist Unterricht von acht bis 13 Uhr.

"Ich habe nie auf einen Lottogewinn gehofft", sagt er, "ich wollte mir selbst etwas erarbeiten." Nicht alle in seiner Klasse waren so ehrgeizig: Von anfangs 38 Schülern sind noch 22 übrig. Die Abbrecherquote an Abendgymnasien wird nicht systematisch erfasst, nach Schätzungen der Schulleiter liegt sie zwischen 25 und 50 Prozent.

Auch Gabi Klein, die mit einem Diakon verheiratet ist, arbeitet motiviert, "aber nicht verbissen", auf ihr Ziel hin: Jura mit Schwerpunkt Kirchenrecht. Schreibt sie gute Noten, wird sie wie in alten Zeiten von ihren Eltern belohnt - mit Zeugnisgeld. Und als sie neulich mal eine Vier in Geschichte schrieb, frotzelten die Kinder: "Mama, du lässt nach!"

© SZ vom 17./18.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: