Studium: Lehramt:Ein Professor für 12.000 Studenten

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Die LMU München ist eine Exzellenz-Uni - doch bei der Ausbildung der Lehrer ist davon nichts zu spüren: Es fehlt an Räumen, Personal und praxisnahen Kursen. Lehramtsstudenten fühlen sich als "Studenten zweiter Klasse", weil nur noch Forschung zähle.

Martina Scherf

Als Julia Brinkmann sich auf die Prüfung zum Staatsexamen vorbereiten wollte, stand sie vor einem Problem: Wie komme ich an die nötigen Bücher? In den Münchner Bibliotheken stehen insgesamt zehn Ausgaben des wichtigen "Handbuchs der Sozialisationsforschung" - für 946 Prüflinge, die in diesem Semester ihr Examen in Erziehungswissenschaften ablegen mussten.

Schlechte Betreuung: Lehramtsstudenten fühlen sich als Studenten zweiter Klasse. (Foto: dpa)

Und bei anderen prüfungsrelevanten Werken sieht es nicht besser aus. Rund 50 Euro kostet jedes der Bücher; auf ein paar hat Julia verzichtet, ein paar andere hat sie sich gekauft. Der Büchermangel ist aber bei weitem nicht der einzige Engpass, der ihr und vielen anderen das Studium erschwert. Julia Brinkmann studiert Lehramt fürs Gymnasium - und Lehramtsstudenten, meint die 29-jährige Fachschaftsvertreterin, sind "Studenten zweiter Klasse", nicht nur an der Ludwig-Maximilians-Universität.

Wenn die angehenden Lehrer ihre Pflichtvorlesungen besuchen, dann reicht oft nicht einmal das Audimax der LMU mit 1000 Plätzen aus, dann wird der Vortrag des Professors per Video in den zweitgrößten Hörsaal übertragen - und auch dort sitzen noch Studenten auf den Treppen, den Notizblock auf den Knien.

In manchen Hauptseminaren drängen sich statt 20 bis zu 50 Studierende, es werden nur noch Referate vorgetragen, für Diskussionen ist keine Zeit. Julia Brinkmann kann froh sein, das Studium bald hinter sich zu haben. Doch damit es ihren Kommilitonen in Zukunft ein bisschen besser geht, engagiert sie sich nun als Studierendenvertreterin an ihrer Fakultät.

Die LMU ist eine Exzellenz-Uni, doch in manchen Studiengängen ist von exzellenten Bedingungen eben nichts zu spüren. Im Gegenteil. Dass die Forschungsarbeiten der erziehungswissenschaftlichen Professoren in Rankings oft gut abschneiden und häufig zitiert werden, hilft den Studenten im Alltag wenig.

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Weil das Lehramtsstudium an der LMU so beliebt ist, zieht es jedes Jahr mehr Erstsemester an. Schon im vergangenen Winter hatten sich 2100 Anfänger eingeschrieben, ein Drittel mehr als im Jahr zuvor. Und für das kommende Wintersemester erwartet Joachim Kahlert, der Dekan der Fakultät für Psychologie und Pädagogik, wegen des doppelten Abiturjahrgangs einen noch größeren Zuwachs.

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12.000 Studierende oder mehr müssen dann - egal ob sie später an Gymnasien, Real-, Grund-, Haupt-, Beruf- oder Sonderschulen unterrichten werden - die zentralen erziehungswissenschaftlichen Fächer an seiner Fakultät durchlaufen. Und für sie alle gibt es nur einen einzigen Professor für Schulpädagogik.

Aufgrund des Andrangs musste schon im Winter kurzfristig die Studienordnung der Schulpädagogik geändert werden, weil man verpflichtende Veranstaltungen nicht mehr für alle garantieren konnte. Einzelne Examensvorbereitungskurse sind zu 400 Prozent überbucht. Die Fakultät hat daher beim Wissenschaftsministerium einen Numerus clausus auf Erziehungswissenschaften beantragt - "bisher haben wir aber kein positives Signal bekommen", sagt Kahlert.

Und beim Ausbauprogramm, mit dem der Freistaat im Vorfeld des Doppeljahrgangs landesweit 3000 neue Stellen an den Hochschulen geschaffen hat, gingen die Erziehungswissenschaften leer aus. Mehr als die Hälfte dieser Stellen, so das erklärte Ziel des Ministeriums, sollte in die sogenannten Mint-Fächer (Mathematik, Naturwissenschaften, Technik) gehen. Nun gibt es zwar noch eine kleine Hoffnung, denn nach dem Ende der Wehrpflicht und dem zusätzlichen Bedarf an Studienplätzen bekommt die LMU nach Auskunft des Ministeriums noch einmal weitere 15 Stellen bewilligt. Ob die Erziehungswissenschaften dabei berücksichtigt werden, ist allerdings noch offen.

Für Julia Brinkmann und ihren Kommilitonen Tobias Dreier haben diese Zustände auch eine gesellschaftspolitische Dimension. Dreier hat daher eine Veranstaltungsreihe an seiner Universität organisiert, um eine Debatte über das Berufsbild des Lehrers anzustoßen. "Man hat den Eindruck, dass an der Uni nur noch die Forschung zählt, da werden Cluster in Physik und Medizin geschaffen und die Publikationen gezählt. Aber für die Lehrerbildung gibt es kein Cluster - wir sind ja nur 10.000 junge Menschen hier, die später einmal Kinder und Jugendliche unterrichten sollen. Warum soll man in uns investieren?", fragt Brinkmann mit einer Portion Sarkasmus.

Diese Einschätzung trifft sogar im Kultusministerium auf Verständnis. "Die Lehrerbildung ist aus dem Blickfeld geraten. Dabei wäre doch auch hier ein Exzellenz-Cluster durchaus denkbar", sagte Ministerialdirigent Alfred Glasl vor kurzem bei der von den Fachschaftsvertretern angestoßenen Debatte in der LMU.

Es sind ja nicht nur die Enge, die mangelnde Ausstattung an der Fakultät und die Tatsache, dass die Betreuer kaum noch Zeit für Gespräche haben. Viele Lehramtsstudenten vermissen den Praxisbezug in ihrer Ausbildung. "Supervision ist ein Fremdwort", meint Tobias Dreier, der Lehramt Hauptschule studiert. Die Lerninhalte an den Schulen und die Lebensinhalte der Schüler entwickelten sich immer weiter auseinander.

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Immerhin gibt es an der LMU das Münchner Zentrum für Lehrerbildung, eine Art selbstgebildetes Cluster, in dem sich Professoren und Mitarbeiter zusammengeschlossen haben, um aus ihren bescheidenen Ressourcen das Beste zu machen. So können nun 600 Studierende am Modellversuch "Uni-Klasse" teilnehmen.

Ein Jahr lang begleiten sie jeweils einen Tag in der Woche den Unterricht an ihrer Praktikums-Grundschule - und werden dabei von ihren Kommilitonen per Video im Nebenraum beobachtet. Die können dann unmittelbar über Unterrichtsmethoden oder Konfliktfälle diskutieren - eine höchst effiziente Methode zur Selbstreflexion, die Schule machen sollte. Doch dafür bräuchte es mehr Personal. Die meisten künftigen Lehrer haben vor ihrem Einsatz als Referendare keine Unterrichtserfahrung.

Deshalb ist der Wechsel vom Studium in den Beruf für manche Lehrer ein Schock. Ewald Kiel, Lehrstuhlinhaber für Schulpädagogik, hat durch Untersuchungen belegt, dass viele angehende Lehrer nicht wissen, was auf sie zukommt. Sie haben keine Teamarbeit im Kollegium kennengelernt, keine Konflikte in der Klasse gelöst, keine Elterngespräche geführt. Kiel bemüht sich deshalb nach Kräften, seinen Studenten in einem fallbasierten Seminar die Grundlagen sozialer Interaktion an der Schule zu vermitteln. Er bietet aktuell auch Sommerkurse "Lehrer werden? Motivationen und Anforderungen" an. Bei 10.000 zu betreuenden Studenten ist das aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

"Wir sind doch diejenigen, die junge Menschen auf ihrem Weg in die Gesellschaft begleiten sollen. Wir haben eine Riesenverantwortung. Aber dieser Verantwortung steht die Bedeutung, die unserer Hochschulausbildung zugemessen wird, diametral entgegen", sagt Dreier.

An diesem Dienstag um 18 Uhr diskutieren die Studenten in München mit dem Pädagogikprofessor Hartmut Ditton und je einem Vertreter aus Schule und Kultusministerium über "Soziale Ungleichheit im Bildungssystem" (LMU, Raum M018).

© SZ vom 21.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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