Proteste in Spanien:"Keine Wohnung. Keine Arbeit. Keine Rente"

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"Keine Wohnung. Keine Arbeit. Keine Rente": Spaniens Studenten leiden unter den Folgen der Wirtschaftskrise. Erstmals wollen sie jetzt gegen die Arbeitslosigkeit in ihrem Land protestieren.

Javier Cáceres, Madrid

So richtig mag Fabio Cortese selber nicht daran glauben, dass es an diesem Donnerstagabend im Zentrum von Madrid zu einem Massenauflauf kommt. Es soll eine Demonstration gegen Sozialabbau und Sparmaßnahmen werden. Drei-, viertausend Teilnehmer, das wäre schon ein Erfolg, findet Cortese, einer der Organisatoren. Aber andererseits: "Wer weiß?"

Warten auf das Arbeitslosengeld: Spanien reagiert auf die Wirtschaftskrise mit drastischen Sparmaßnahmen. Die Arbeitslosigkeit hat auch deshalb ein Rekordniveau erreicht. In der Bevölkerung wächst der Frust. (Foto: AP)

Der 19-jährige Jura-Student hockt auf einer Treppe der Complutense-Universität und sagt, mehr als 2000 Menschen hätten in den letzten Tagen den Aufruf zur Demonstration unterzeichnet: Rocker, Professoren, linke Schriftsteller, Künstler. Und Studenten, viele Studenten, die sich in dem Protest-Motto wiederfinden: "Keine Wohnung. Keine Arbeit. Keine Rente. Keine Angst." Die Resonanz, sagt Cortese, deute darauf hin, "dass sehr viele nur auf das Zünden eines Funken gewartet haben, um zu zeigen, dass es sehr wohl Opposition gibt gegen das, was in diesem Land passiert."

In kaum einem Land hat die Wirtschafts- und Finanzkrise so heftig zugeschlagen wie in Spanien, wo sie mit dem jähen Ende des Immobilienbooms zusammenfiel. Die Arbeitslosigkeit hat längst die 20-Prozent-Marke überschritten; die Ökonomen streiten über die Frage, ob die Fünf-Millionen-Marke noch in diesem Jahr erreicht wird. Unter jungen Erwachsenen liegt die Erwerbslosigkeit noch höher, bei den Unter-25jährigen sogar bei 40 Prozent - europäischer Rekord.

Die Medien haben dafür einen eigenen Begriff geprägt: "Generación Ni-ni", die "Weder-noch-Generation". Es sind Menschen, die weder studieren noch arbeiten. Aber bislang haben sie kaum protestiert. Massendemonstrationen wie in Frankreich, England, Italien oder zuletzt Portugal, wo Zehntausende Jugendliche mit den größten Protestmärschen seit dem Ende der Salazar-Diktatur überraschten, hat es hier nicht gegeben.

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Wieder sind in ganz Italien Tausende Studenten auf die Straße gegangen, um gegen die Sparpläne der Regierung Berlusconi im Bildungssektor zu protestieren. Einen Teilerfolg konnten sie erringen.

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Cortese gesteht, dass sie voller Neid auf diese Länder blicken: "Es hat bei uns wirklich viel Apathie gegeben, das müssen wir selbstkritisch sagen." Gegen die Bologna-Studienreform wurde auch in Spanien kräftig protestiert, aber nicht mit der gleichen Kraft wie etwa in Frankreich, zudem haben sich viele Jugendliche, zum Teil gezwungenermaßen, in der "Ni-ni"-Nische eingerichtet.

Dass 30-, sogar 40-Jährige bei ihren Eltern wohnen, weil sie sich in den Ballungsräumen Spaniens wegen explodierender Mietpreise und schlecht bezahlter Jobs keine Wohnung leisten können, ist in Spanien keine Seltenheit. Und es wird wohl auch keine Seltenheit bleiben, zumindest "solange die Wohnungen der Generation der Eltern von den Banken nicht gepfändet sind", wie der linke Philosophieprofessor Carlos Fernández Liria, bekennend marxistischer Sympathisant der Protestler, voll beißender Ironie sagt. "Dann geht das hier alles in die Luft." Seit Beginn der Krise sind in Spanien mehr als 500.000 Wohnungen zwangsgeräumt worden, wie es in dem Manifest der "Jugend ohne Zukunft" heißt.

Zwei Wochen haben sie in Gesprächszirkeln und Kommissionen um ihren Text gerungen: 40, vielleicht 50 Studenten aus diversen Verbänden, die nun fast täglich in der Eingangshalle der Philosophischen Fakultät im Kreis hocken und diskutieren, Plakate malen, die Notwendigkeit neuer Kommissionen prüfen. Die Strategien und Instrumente der Mobilisierung haben sie sich bei ihren arabischen Altersgenossen abgeschaut: Facebook, Twitter oder eine Homepage, die mit einem Youtube-Video verlinkt ist, auf dem zwei Dutzend junger Männer und Frauen die Fensterfront einer Filiale der Santander-Bank mit Aufklebern vollpappen.

Die Santander-Bank ist kein Zufall: Ihr Chef, Emilio Botín, hat sich soeben nach einem Nettogewinn von 35 Milliarden Euro in vier Jahren als "klarer Sieger der jüngsten Wirtschaftskrise" gefeiert - und den sozialistischen Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero für die Strukturreformen gelobt, die Cortese und seinen Freunden so sauer aufstoßen: "Für mich heißen die Reformen, dass das Studium immer teurer wird, dass ich danach keine Arbeit habe und schließlich keine würdige Rente. Und dann sagen sie, es geschehe alles in meinem Namen."

© SZ vom 07.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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