Lehramtsstudium:Berufswunsch Lehrer - reines Sicherheitsdenken?

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"Wie alt sind Sie eigentlich, Frau Lehrerin?" Seit die G8-Jahrgänge an die Unis drängen, beträgt der Altersunterschied zwischen Schülern und Lehrern manchmal nur wenige Jahre.

(Foto: Michael Weber/Imago)

Warum wollen Menschen, die gerade noch selbst Schüler waren, die Seite wechseln?

Von Anne-Ev Ustorf

Auf einmal kommt sie, die Frage, vor der Hanna Blöcher sich gefürchtet hat. "Entschuldigung, Frau Blöcher, aber wie alt sind Sie eigentlich?", fragt eine Zehntklässlerin neugierig. Seit fünf Semestern studiert Hanna Blöcher Deutsch und Englisch auf Gymnasiallehramt an der Freien Universität Berlin und absolviert gerade ihr integriertes Schulpraktikum an einem Gymnasium im Süden Berlins. Thema aktuell: Das Charakterisieren einer literarischen Figur aus Schillers "Die Räuber". Gleich ist die Unterrichtsstunde vorbei, die Hanna Blöcher an der Seite einer erfahrenen Lehrerin meisterte. "20", sagt sie kurz und knapp. "Wie meine Schwester", ruft die Schülerin.

Für Lehramtsstudierende können die ersten Praxiserfahrungen hart sein. Aufgrund des achtjährigen Gymnasiums, G8, sind viele Studienanfänger bei Studienbeginn noch nicht mal volljährig. Doch die Lehramtsstudiengänge sind inzwischen stark auf die Praxis ausgerichtet: Bereits im Bachelor gibt es in den meisten Studiengängen eine Reihe von schulischen Praktika mit unterschiedlichen Zielen und Aufgaben. Nicht selten finden sich künftige Lehrer dann vor Schülern wieder, die nur wenige Jahre jünger als sie sind, insbesondere im Gymnasialbereich. Das stellt Studierende immer wieder vor ungeahnte Herausforderungen.

Auch Hanna Blöcher wird - wie viele ihrer Kommilitoninnen - eine sehr junge Lehrerin sein. Bereits mit 17 hatte sie ihr Abi in der Tasche, mit zwanzig wird sie ihren Bachelor beenden, der Master könnte dann schon mit 22 folgen und das abgeschlossene Referendariat mit 24 Jahren. Doch für die Studierende ist jetzt schon klar, dass das so nicht laufen wird. "Ich lasse mir Zeit", sagt Hanna Blöcher, "Das Praktikum hat mir gezeigt, dass ich zwar einigermaßen klarkomme, aber noch überhaupt keine Lust habe, den ganzen Tag in der Schule zu stehen. Nach dem Bachelor gehe ich hoffentlich zum Studium nach England." Das habe ihr auch eine Dozentin an der Universität empfohlen, die dem gesamten Seminar nahelegte, die Zeit an der Uni als Entwicklungsphase zu nutzen, mit Auslandserfahrung und genug Zeit, sich selbst kennenzulernen.

Kosten-Nutzen-Rechnung

Doch warum entscheiden sich junge Menschen überhaupt für das Lehramtsstudium - angesichts des Umstands, dass sie selbst gerade der Schule entflohen sind? Eine solche Entscheidung sei meist eine Art Kosten-Nutzen-Rechnung, erklärt der Bildungsforscher Professor Martin Neugebauer von der Freien Universität Berlin, der zu den Ursachen der Studienwahl bei Lehrern forscht. Heute schauten viele junge Menschen genau, wie ihre intrinsischen - also aus eigenem Interesse erfolgenden - Motive mit extrinsisch motivierten Erwägungen wie etwa guten Berufsaussichten zusammenpassten.

"Gerade beim Lehramtsstudium ist das gut möglich, weil das Berufsbild den jungen Leuten aus der Schule bekannt ist. Wer Lehrer werden will, hat meist ein ausgeprägtes Interesse daran, mit Menschen zusammenzuarbeiten. Und vermutlich auch ein höheres Bedürfnis nach Sicherheit." Während sich in den 1980er-Jahren, als ein Lehrerüberschuss herrschte, kaum ein Studierender aus Sicherheitsgründen für den Beruf entschieden habe, sei dieses Motiv heute, in Zeiten wahrgenommener Unsicherheit, wieder größer.

"Ich hatte keine Lust, den ganzen Tag im Büro zu sitzen"

Doch das heißt nicht, dass angehende Lehrer weniger motiviert oder kompetent sind als andere Studierende: Im Hinblick auf Abiturleistungen und fachliche Motivation sind Gymnasiallehramtskandidaten nicht von anderen Universitätsstudierenden zu unterscheiden, berichtet Neugebauer. Nur diejenigen Lehramtsstudienanfänger, die nicht das Gymnasiallehramt anstrebten, hätten bisweilen schlechtere Abiturleistungen und geringere fachliche sowie wissenschaftliche Studienwahlmotivationen. Wer aber "Karriere" machen wolle, studiere eher BWL als Lehramt.

Für Rebecca Möller spielt die Sicherheit eine untergeordnete Rolle. Die 19-jährige möchte den Lehrerberuf in erster Linie aus gesellschaftlichem Engagement und fachlichem Interesse ergreifen. Sie studiert Lehramt für Gymnasium an der Universität Hamburg im zweiten Semester mit den Fächern Deutsch und Physik und ist bis jetzt sehr zufrieden mit ihrer Wahl. "Ich hatte keine Lust, den ganzen Tag im Büro zu sitzen und Sachen auszurechnen", erzählt sie, "ich arbeite lieber mit Menschen als mit Maschinen."

Worauf sie sich einlässt, weiß die 19-Jährige ziemlich genau: Sie hat eine Jugendleiterausbildung und betreut seit fünf Jahren Jugendgruppen in ihrer Kirchengemeinde, seit mehreren Monaten gibt sie außerdem Förderunterricht an ihrem alten Gymnasium und freut sich, mit ihrer Berufswahl der Gesellschaft etwas zurückgeben zu können. Die junge Frau ist optimistisch, dass die Praxisphasen ihres Studiums ihr keine Schockmomente bereiten werden. "Ich werde nicht vor der Gruppe stehen und zittern", sagt sie. "Aber ich bin auch realistisch. Ich weiß schon jetzt, dass Unterricht oft stressig und unruhig ist. Und dass man nicht jeden Schüler gleich gut erreichen kann".

Tatsächlich sind die meisten jungen Lehrer nach Abschluss ihrer Ausbildung zufrieden mit ihren Jobs, trotz des einen oder anderen Praxisschocks im Laufe des Studiums. Die Studie "Lehrer in Zeiten der Bildungspanik" (2012) der Vodafone-Stiftung belegt, dass nur jeder zehnte Junglehrer ernsthaft daran denkt, seinen Beruf aufzugeben. Womöglich liegt das auch an den vielfältigen Praxiserfahrungen, die Studium und Lehrerausbildung heute bereithalten und weniger geeigneten Kandidaten früher Möglichkeiten zum vorzeitigen Ausstieg aufzeigen.

Wer aber erst mal im Klassenraum angekommen ist, der liebt seinen Job häufig: Laut einer im Februar veröffentlichten Forsa-Umfrage zur Berufszufriedenheit unter bayerischen Lehrerinnen und Lehrern gehen 95 Prozent der Befragten gern oder sehr gern zur Arbeit - allen Belastungen zum Trotz. Lehrerforscher Martin Neugebauer kann sich das gut vorstellen. "Lehrer ist ein toller Beruf", findet der Bildungswissenschaftler. "Man ist viel mit Menschen zusammen, bildet die zukünftigen Generationen aus, hat in den meisten Fällen sogar berufliche Sicherheit. Wenn ein junger Mensch also das Gefühl hat, das passt zu mir und meinen fachlichen Interessen, würde ich den Beruf auf jeden Fall empfehlen."

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