Kruzifix-Urteil wird neu verhandelt:Das Kreuz soll sich wenden

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Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verhandelt erneut über Kruzifixe in Schulen. Die katholische Lobby rüstet auf, denn diesmal ist das Urteil endgültig.

Thomas Kirchner

Es gibt in der Öffentlichkeit kein Bild von Soile Lautsi. Darauf achtet die italienische Atheistin, schließlich hat sie sich mit ihrem Feldzug gegen Kruzifixe in Klassenzimmern eine Menge Feinde gemacht. Nicht nur in ihrem Wohnort Abano, sondern überall in Italien, ja in ganz Europa. Sie selbst wird deshalb nicht anwesend sein, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg an diesem Mittwoch abermals und letztinstanzlich über ihren Fall verhandelt - einen Fall, der das besondere, heikle Verhältnis von Staat und christlicher Kirche auf dem Kontinent revolutionieren könnte.

Ein evangelischer Kindergarten darf eine Betreuerin entlassen,  weil sie einer Sekte angehört. Das entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. (Foto: dpa)

Lautsi, eine geborene Finnin, mochte im Schuljahr 2001/2002 nicht hinnehmen, dass in den Klassenzimmern ihrer Söhne Kruzifixe an der Wand hingen. Nachdem sie mit ihrer Klage gegen den Staat vor allen italienischen Gerichten gescheitert war, erhielt sie im vergangenen November in Straßburg überraschend recht. Die Präsenz des christlichen Symbols in Italiens staatlichen Schulen sei nicht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar, so die Richter. Im Angesicht des Kreuzes müssten die Kinder denken, in einem Umfeld zur Schule zu gehen, das den Stempel einer bestimmten Religion trage, was "verstörend" auf Kinder mit anderem oder keinem Glauben wirken könne. Im Interesse einer "demokratischen Gesellschaft" müsse der Staat auf dem Feld der Erziehung konfessionell neutral bleiben, sonst verstoße er gegen die Religionsfreiheit und gegen das Recht der Eltern, ihre Kinder gemäß ihren Überzeugungen zu erziehen.

Das Urteil stieß auf erbitterte Kritik. Es sei "schockierend, falsch und kurzsichtig", hieß es aus dem Vatikan, Kurienkardinal Walter Kasper sprach von der "Manifestation eines aggressiven Säkularismus", die "uns Christen aus dem Schlaf reißen müsste". Ein "klassisches Fehlurteil", befand der CSU-Bundestagsabgeordnete Johannes Singhammer. In Italien reagierten Politiker aller Parteien mit Empörung, der italienische Staat legte im März Berufung ein, über die nun die Große Kammer entscheidet.

Mit seinem Urteil hat sich das Straßburger Gericht, ein Organ des Europarats, tatsächlich sehr weit vorgewagt, schließlich greift es tief ein in die nationalen Verhältnisse - in einer Frage, die vielleicht besser von Politik und Gesellschaft beantwortet werden sollte als von der Justiz. Möglicherweise fühlten sich die Richter herausgefordert durch die seltsamen Argumente, mit denen Lautsis Klage in Italien abgewiesen worden war. Nach Auffassung der italienischen Richter ist das Kruzifix nämlich vor allem ein Symbol für Italiens Geschichte und Kultur, ein Zeichen für die Werte des Landes, zu denen Toleranz und, ja, auch der Säkularismus gehörten. Darauf reagierten die Straßburger geradezu ärgerlich: Dass es sich beim Kruzifix um ein religiöses Symbol handle, sei für jeden Schüler "leicht zu erkennen".

Weil es um viel geht, erhält Italien zur mündlichen Verhandlung nun Verstärkung. Zehn katholisch geprägte europäische Länder treten als Drittparteien auf, so viele wie noch nie in Straßburg, hinzu kommen 33 überwiegend konservative Europa-Abgeordnete und das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken. Die Entscheidungen des Menschenrechtsgerichts sind für alle Staaten des Europarats bindend. Das Urteil kommt erst in einigen Monaten. Bleibt es beim Spruch vom November, wird die Kruzifix-Diskussion auch in Deutschland wieder losgehen.

© SZ vom 30.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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