Kolumne "Was ich am Job hasse":Der Weg ist zu viel

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Ich beschließe, der Bahn mal wieder eine Chance zu geben. Sie weiß sie nicht zu nutzen. (Foto: Illustration: Jessy Asmus/SZ.de)

Auf der Fahrt zur Arbeit ist es erdrückend eng - auf der Straße und in der Bahn. Können die anderen nicht zuhause bleiben?

Kolumne von Katja Schnitzler

Es ist wunderbar, zu arbeiten, wenn alle anderen Ferien haben. Kaum ein Telefon klingelt, Fensterplätze in der Kantine sind frei und der leckerste Nachtisch reicht endlich für alle. Das allein kann zwar nicht wettmachen, dass die anderen in den Bergen oder am Meer oder zuhause Zeit für ihre Familie haben. Aber: Der Arbeitsweg ist so schön.

Die Straßen sind leer, sodass mich eine grüne Welle ins Büro trägt. Ich fahre später los und komme früher an. Und wenn ich die Bahn nehme, kann ich mich nicht nur setzen, sondern sogar die Ellenbogen bewegen und die Beine ausstrecken, ohne jemanden zu treten. Ein Genuss, leider ein zu kurzer. Bald sind wieder alle unterwegs, wieder alle zur selben Zeit: meiner.

"Dann fahr doch früher! Oder später!", denken jetzt diejenigen, die nicht in ein Zeitkorsett aus Schulbeginn und Morgenkonferenz gezwängt sind. Alle anderen wissen, wovon die Rede ist: Sobald die Kinder Richtung Schule losschlendern, hasten auch sie zum Auto, durchs Viertel hallt Türenknallen, jede Sekunde zählt. Würde man die Stadt in diesem Moment von oben filmen, wäre zu sehen, wie die Autos aus kleinsten Seitenstraßen auf größere Nebenstraßen rasen, in den Kurven quietschen die Reifen, das Heck schleudert beim Einbiegen auf die Ringstraße ums Stadtzentrum.

Vollbremsung. Der Stau war schneller, mal wieder.

Hinter den Windschutzscheiben nur leere Gesichter

Mein innerer Motor dreht fast durch, der Automotor tuckert im Leerlauf. Zehn Minuten später, ich habe zwei Kilometer geschafft. Nur noch zehn Kilometer bis zum Büro. Ich versuche, nicht auszurechnen, wie lange der restliche Weg in dieser Geschwindigkeit noch dauert. Ich rechne doch. Dann spiele ich mit dem Gedanken, mein Auto auf der Mittelspur stehen zu lassen und die Strecke zu Fuß zu gehen.

Da tut sich eine Lücke links von mir auf. Kommt man da schneller voran, soll ich wechseln? Bleiben? Die Gelegenheit ist vorbei, ein Auto schließt langsam die Lücke. Und rollt weiter, und rollt und rollt und rollt in den Wagen davor, dessen Kofferraum sich wie in Zeitlupe öffnet. Er wird sich nicht mehr schließen lassen. Wieder ein Automatik-Fahrer am Steuer eingenickt.

Ringsum hinter den Windschutzscheiben nur leere Gesichter, die in die unerreichbare, von Autos verbarrikadierte Ferne starren und dort den Sand ihrer Lebenszeituhr verrinnen sehen. "Und", wird am Eingang zum Himmelsreich dereinst streng gefragt werden, "was hast du wochentags zwischen sieben und neun Uhr in deinem Leben erreicht?" "Mit etwas Glück die nächste Ampel."

Ich beschließe, der Bahn mal wieder eine Chance zu geben. Sie weiß sie nicht zu nutzen.

Stoßverkehr, wörtlich genommen

Eigentlich hatte ich mich darauf gefreut, auf dem Weg zur Arbeit ganz legal Zeitung lesen zu können, statt wie sonst heimlich unter dem Lenkrad im Stau. Doch im Waggon wird es enger als gedacht, nicht nur weil alle Sitzplätze besetzt sind. Ich stehe vor einer Wand aus Menschen, die sich - einer unausrottbaren Unsitte folgend - vor den Türen drängen. "Im Gang stehen ist nicht verboten", rufe ich erzürnt und mache mich damit allseits bekannt aber nicht beliebt. Niemand schiebt sich einen Meter weiter.

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Die eine schläft bis zur Ankunft im Büro, für den anderen beginnt die Arbeit schon unterwegs. Millionen Pendler bevölkern täglich Züge und Straßen. Wen man auf dem Weg zur Arbeit auf jeden Fall trifft.

In diesem Stau aus Leibern komme ich fremden Körpern näher als gewünscht. Der Herr neben mir hält sich an der Stange über seinem Kopf fest, was mir freien olfaktorischen Zugang zu seiner Achselhöhle verschafft. Er gehört nicht zu den Morgenduschern.

Ich halte die Luft an und wende meine Kopf nach links. Mein Körper kann nicht folgen, er steckt zwischen einem kompakten Mittdreißiger und einer weniger kompakten Endzwanzigerin, die ihre Körperfülle dafür mit einem Trekkingrucksack verdoppelt. Sie scheint auf Besuch in der Stadt zu sein, denn neugierig lugt sie bei jeder Station aus den offenen Türen, um sich dann mitsamt Rucksack wieder ins Abteil zu drücken. Also auf mich.

Später, wenn der Waggon in der Stadtmitte die Hälfte der Menschen ausgespien hat, wird sie diesen Rucksack auf den letzten freien Sitz neben sich stellen. Dass er nicht zu schmutzig wird auf ihrer Reise um die Welt.

Wenigstens die Rückfahrt am Abend lässt sich entspannter an. Ich habe lange genug gearbeitet, um dem Stoßverkehr zu entgehen, der wörtlich zu nehmen ist. Die Mitmenschen halten Wohlfühlabstand, jeder will seine Ruhe. Die schönen Make-up-Masken vom Morgen bröckeln schon seit Mittag und offenbaren nun Augenringe und fahlen Teint. Ich sitze, ich lese sogar. Das versöhnt mit dem Bahnfahren, fast bin ich feierabendheiter gestimmt. Bis sich hinter mir zwei Passagiere erst provozieren, dann duellieren, leider völlig ohne weißen Fehdehandschuh, dafür mit geballten Fäusten.

Inzwischen bin ich, wenn keine Ferien sind, gut zu Fuß unterwegs, sehr gut sogar, seitdem mir mein Fahrrad im Morgenverkehr zu Schrott gefahren wurde. Am frühen Meeting nehme ich mobil teil, per Telefonschalte. Nur manchmal beschweren sich die Kollegen. Der Verkehrslärm und mein lautes Schnaufen störten die Konferenz.

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