Handwerk:Hat das noch Zukunft?

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Mode wird heute in Asien produziert, Uhren sind zu kleinen Computern geworden. Doch trotz Globalisierung und Digitalisierung gibt es immer noch viele Handwerksberufe, die sich in Nischen behaupten können.

Von Larissa Holzki

Hutmacherin

Ein Hut ist für Christine Halbig mehr als ein Kleidungsstück. Deshalb hat die Hutmacherin keine Sorge, dass Maschinen sie bald ersetzen könnten. "Eine Maschine wird niemals künstlerischen Ausdruck erzeugen", sagt die Modistin, die handgefertigte Kopfbedeckungen in ihrem kleinen Geschäft in der Münchner Theatinerstraße verkauft. Während man bei einem maschinell gefertigten Hut immer Nähte sehen würde, wirke ein handgefertigter Hut wie geklebt. Jedes Jahr sucht sich Halbig einen neuen Lehrling aus - und muss dabei einige Bewerber ablehnen. Den Auszubildenden bringt sie bei, wie sie mit dem Material umgehen müssen, damit es in der Hand liegt wie Knete: "Wer Hutmacher werden möchte, sollte Kreativität in sich spüren, handwerkliches Geschick, Detailverliebtheit und Geduld mitbringen", sagt Christine Halbig.

Kürschnerin

Woher die Felle kommen, darf Kürschnern nicht egal sein. (Foto: Christian Endt)

Früher zeigten Menschen mit Vermögen gerne, was sie hatten: weite Pelzmäntel, breite Schultern. "Heute wollen die Leute nicht mehr so auffallen und fragen nach Teilen, die man auch im Alltag tragen kann", sagt Kürschnermeisterin Stephanie Metz aus Nürnberg. Der Pelzboom sei endgültig vorbei, viele Kürschner hätten deshalb aufgegeben. Durch moderne Technik droht den verbliebenen Betrieben jedoch keine Konkurrenz. Häufig müssen Kürschner aus mehreren Fellen von Lämmern, Nerzen oder Bisams erst mal eine Fläche gestalten: "Welches Fell gehört wohin, wo passen Muster zusammen, wo stimmt die Haarlänge und der Haarwinkel - das erkennt die Maschine nicht", sagt Metz. Auch, dass kein Haar eingeklemmt werde, könne nur in feinster Handarbeit sichergestellt werden. Wer als Kürschner arbeiten möchte, muss sich neben den Fingerfertigkeiten ein Wissen über Tierhaltung aneignen. "Wir müssen erklären können, woher die Felle stammen und warum und wie die Tiere getötet wurden", sagt Metz. In ihrem Betrieb würden Pelze aus vorwiegend skandinavischen Zuchtbetrieben eingesetzt sowie Felle von Rotfüchsen, Waschbären und Bisams, die von Jägern in Deutschland und den Nachbarländern ohnehin getötet würden. 2018 soll im Betrieb Kürschnermeister Raab und Metz wieder ein Lehrling eingearbeitet werden.

Uhrmacher

Eine moderne Smartwatch kann nicht nur die Uhrzeit und das Datum anzeigen. Sie ist ein kleiner Computer, den man am Handgelenk tragen kann. Den Uhrmachern, die herkömmliche Chronometer herstellen, bereitet das jedoch keine Sorgen: "Das Tragen eines hochwertigen mechanischen Zeitmessers ist heute umso mehr ein Statement", sagt Gitte Hammerström vom traditionsreichen Glashütter Uhrenbetrieb im sächsischen Erzgebirge. Die Nachfrage nach wertbeständigen, aufwendig handwerklich gefertigten Gegenständen sei in Zeiten zunehmender Digitalisierung und sich ständig ändernden Trends hoch wie nie. Und zumindest in Glashütte ist auch das Interesse an der Ausbildung in diesem Kunsthandwerk groß: Die Uhrmacherschule Alfred Helwig in Glashütte kann sich in einem Auswahlverfahren die besten Bewerber aussuchen. Ruhige Hände, gute Schulnoten, Liebe zum Detail und ein Sinn für Schönheit gehörten zu den wichtigsten Voraussetzungen, erklärt Gitte Hammerström. Denn ein Uhrmacher müsse heute sehr filigrane Montagearbeiten durchführen, Prototypen entwickeln und das Uhrmacherhandwerk international demonstrieren können. In der dreijährigen Ausbildung lernen die Lehrlinge, neue Technologien mit traditionellen Fertigungstechniken zu verknüpfen.

Gerber

Schon vor mehreren tausend Jahren haben Menschen Häute und Felle von Tieren verarbeitet und sich bemüht, diese haltbar zu machen. Wann genau die Gerbtechnik erfunden wurde, bei der mit natürlichen oder künstlich hergestellten chemischen Substanzen aus roher Tierhaut Leder hergestellt wird, kann heute niemand mehr sagen. Modern ist sie jedoch immer noch: Ob bei der Schutzkleidung des Motorradfahrers, den Sitzbezügen im Auto oder auf dem Sofa: "Die Nachfrage nach edlem Leder ist ungebrochen", sagt Frank Fiedler, Geschäftsführer der Gerberei Heller-Leder in Hehlen an der Weser. Imitate hätten ihre Vor- und Nachteile, könnten den Wunsch nach einem natürlichen Unikat aber niemals erfüllen. Solange nur Häute verarbeitet werden, die ohnehin durch die Nahrungsmittelversorgung anfallen, sei Leder ein nachhaltiges und langlebiges Produkt. Für die zwei bis drei Ausbildungsstellen, die das Familienunternehmen pro Jahr anbietet, seien bislang immer genügend Bewerber gefunden worden. Denn: "Einem guten Gerber steht sozusagen die Welt offen und für die heimatverbundenen gibt es in den kommenden Jahren sehr gute Aufstiegsmöglichkeiten in deutschen Betrieben", sagt Fiedler. In der Ausbildung zur Fachkraft für Lederherstellung und Gerbereitechnik werden die Lehrlinge heute auch in Maschinentechnologie und Chemie unterrichtet.

Buchbinderin

Fast 1500 Jahre alt ist das Handwerk des Buchbinders. Nicht nur die maschinelle Produktion, die heute in der Ausbildung zum Medientechnologen erlernt werden kann, hat das Buchbindehandwerk verdrängt. Sondern auch die Digitalisierung und das E-Book als Nachfolger des gebundenen Buches. Dennoch übersteigt die Zahl der Ausbildungsstellen in Drucktechnik und Buchbinderei deutlich die Zahl der Bewerber: Im Ausbildungsjahr 2015/2016 wurden 1705 Lehrstellen gemeldet, auf die sich nur 648 Interessenten bewarben. Buchbinder sind heute vor allem dann gefragt, wenn Doktorarbeiten oder Kondolenzbücher gebunden werden sollen. Sie fertigen kleine Stückzahlen und erfüllen individuelle Wünsche. Häufig arbeiten Buchbinder aber auch noch in Bibliotheken, um alte Bücher instandzuhalten oder Magazine für das Archiv zusammenzubinden.

Drechsler

Drechseln lernen kann man an der VHS im Dezember, dann soll das Programm wieder normal laufen, so lautet derzeit der Plan. (Foto: Johannes Simon)

Drechsler verarbeiten Holz zu Treppenstäben, Rougepinselgriffen, Müslischalen oder großen Holzkugeln - wie beispielsweise in der Werkstatt von Wolfgang Miller in Maßbach in Unterfranken. Moderne Drehmaschinen können geometrische Modelle einlesen und - einmal programmiert - Massenware produzieren. Ganz von allein gehe dabei jedoch nichts, sagt Drechslermeister Miller: "Nur wer gut mit Röhre und Meißel umgehen kann, versteht es, diese Maschinen auch vernünftig zu bedienen." Alles, was die Maschine leistet, müsse vorausgedacht werden. An der Berufsschule in Bad Kissingen unterrichtet Wolfgang Miller die Drechslerklasse - und würde sich über mehr Lehrlinge freuen. Auszubildende sollten Tüftler und Bastler sein, eine gute Beobachtungsgabe und feinmotorische Fähigkeiten mitbringen.

Schneiderin

Internationale Modeketten können ihre Ware heute günstiger im Ausland produzieren. Doch Arbeit für Maßschneider gibt es weiterhin: Sie fertigen passgenaue Anzüge, reparieren den Riss im Abendkleid, nähen Kostüme und ändern jede Hose so, dass sie perfekt sitzt. Aussterben wird der Beruf so schnell also nicht, obwohl die Zahl der Auszubildenden in den vergangenen Jahren drastisch zurückgegangen ist. Begannen im Jahr 2006 noch 864 Lehrlinge eine Maßschneiderlehre, waren es 2015 nur noch etwas mehr als 300. Für sie gibt es Jobs in Maßschneidereien, in Kostümabteilungen von Theatern, bei Filmstudios, Fernsehanstalten oder in Bekleidungshäusern mit Änderungsdienst. Manchmal schaffen sie es auch in die Ateliers von Modedesignern. Früher begannen Karrieren in der Modebranche häufig mit einer Schneiderlehre.

Posamentenmacher

Fransen, Quasten, Kordeln, Borten: ein Posamentenmacher stellt alle möglichen Verzierungen für Polstermöbel, Gardinen und Lampenschirme her. Doch es hat sich beinahe ausgefranst mit dem Handwerk in Deutschland. "Die meisten Posamente werden inzwischen maschinell hergestellt oder kommen aus Asien zu uns", sagt Christiane Reuter vom Bundesinstitut für Berufsbildung (Bibb) in Bonn. Wer Dekorationen aus Garn und Faden von Hand herstellen möchte, muss vielseitig sein: Sämtliche textilen Handwerksfertigkeiten wie Weben, Sticken, Handstricken und Filzen seien heute in der Ausbildung zum Textilgestalter zusammengefasst, sagt Reuter. Die industrielle Fertigung speziell von Troddeln und Schnüren lernen Lehrlinge des Ausbildungsgangs Produktionsmechaniker Textil.

Schuhmacher

Wenn ein teures Paar Schuhe abgelaufen ist oder ein Kunde eine Maßanfertigung wünscht, sind Schuhmacher nach wie vor gefragt. In der dreijährigen Ausbildung erlernen sie heute nicht nur den Umgang mit Werkzeug und Material, sondern auch, wie sie Fußfehlstellungen oder Gehfehler mit einem Spezialschuh verbessern können. Das kann die Massenproduktion nicht leisten. Der traditionelle Handwerker setzt aber auch zunehmend hochmoderne Technik ein: 3D-Fußscanner können Füße computergesteuert in wenigen Sekunden rundum vermessen. Auf Problemfüße spezialisiert sich der Örthopädie-Schumacher, dessen Ausbildung dreieinhalb Jahre und damit ein halbes Jahr länger dauert als die des normalen Schumachers. Auf die industrielle Fertigung bereitet dagegen die Ausbildung als Schuhfertiger vor.

Pinselmacherin

Ohne Bürsten- und Pinselmacher könnten Künstler, Kunsthandwerker, Restauratoren, aber auch Kosmetiker längst nicht so gute Arbeit machen. Denn für Aquarell, Öl und Acryl werden ebenso unterschiedliche Pinsel benötigt wie für Haut, Zähne und Nägel. Auch zum Vergolden und Restaurieren braucht es Spezialpinsel. Die trainierten Hände eines Pinselmachers seien der Maschinentechnik dabei überlegen, sagt Sebastian Müller von der Künstlerpinselfabrik Defet in Nürnberg: "Sie sind ausgebildet, das Haarbündel in gewünschter Form auszuarbeiten und die wertvollen Spitzen der Haare zu erhalten." Deshalb biete das Handwerk auch heute noch gute Berufsaussichten. Aktuell hat die Künstlerfabrik zwei Lehrlinge. Die deutschlandweit einzige Berufsschule für angehende Bürsten- und Pinselmacher befindet sich in Dinkelsbühl in Mittelfranken.

© SZ vom 05.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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