Gutachten des Wissenschaftsrats:Wie der akademische Betrieb entschleunigt werden soll

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Höher, schneller, weiter - der Leistungsdruck steigt auch in der Wissenschaft. Die Mitarbeiter an den Unis klagen über immer mehr Verwaltungsaufwand. Der Wissenschaftsrat hat nun Empfehlungen verabschiedet, wie die Situation im akademischen Betrieb verbessert werden könnte.

Tanjev Schultz

Höher, schneller, weiter - nicht nur im Spitzensport, auch in der Wissenschaft ist der Leistungsdruck in den vergangenen Jahren gestiegen. An den Universitäten stöhnen viele Mitarbeiter über das immer hektischer und aufwendiger werdende Antrags- und Gutachterwesen. Ständig müssen Forschungsgelder beantragt, Projekte evaluiert und Erfolge dokumentiert werden. Der Bamberger Soziologe Richard Münch spricht von einem "akademischen Kapitalismus", der die Universitäten in Unternehmen verwandle. In der neuen Ausgabe von Forschung & Lehre, der Zeitschrift des Deutschen Hochschulverbands, wird die Universität als "autistische Leistungsmaschine" beschrieben, die Professoren in den Burn-out treibe.

Höher, schneller, weiter: An den Universitäten stöhnen viele Mitarbeiter über das immer hektischer und aufwendiger werdende Antrags- und Gutachterwesen. (Foto: vlaminck / photocase.com)

Auf solche Klagen reagiert nun der Wissenschaftsrat, der Bund und Länder in der Hochschulpolitik berät und dessen Gutachten großes Gewicht haben. Am Freitag verabschiedete er Empfehlungen, die zu einer "Entschleunigung" des akademischen Betriebs beitragen sollen. Statt auf Quantität solle wieder stärker auf die Qualität der Forschung geachtet werden, mahnt der Wissenschaftsrat. Vermieden werden müsse eine "Tonnenideologie". Es sei problematisch, wenn beispielsweise bei Publikationen vor allem die Masse zähle.

Wie viele Aufsätze sie schreiben, wie viele Doktoranden sie betreuen, wie viele Drittmittel (Forschungsgelder) sie einwerben: Für Hochschullehrer zählt zurzeit oft die schiere Zahl. Das ist nicht nur eine Frage der Reputation. Entsprechende Kennziffern werden von den Ministerien und den Unileitungen genutzt, um über Berufungen, Ausstattung der Institute und über Gehaltszulagen zu entscheiden. Es gibt ein kompliziertes System der "leistungsorientierten Mittelvergabe", dessen Effekte der Wissenschaftsrat ungewöhnlich kritisch beschreibt - ungewöhnlich deshalb, weil er bisher eher zu den Antreibern bei den Hochschulreformen gehörte und maßgeblich am Exzellenz-Rennen beteiligt ist.

Die jetzt beschlossenen Empfehlungen sollen offenbar das Abdriften in eine unbändige Raserei verhindern. Dem Wissenschaftsrat gehören nicht nur Professoren an, sondern auch die Wissenschaftsminister der Länder sowie Vertreter der Bundesministerien. Seine Gutachten werden allerdings weitgehend von Professoren vorbereitet. Das um Konsens und Ausgleich bemühte Gremium stellt zwar die Reformen der vergangenen Jahre nicht im Grundsatz in Frage. Es betont die Notwendigkeit, Forschungsleistungen transparent zu machen und darüber Rechenschaft abzulegen. Doch ein Unbehagen am gegenwärtigen Zustand und an der "Evaluitis" ist deutlich zu spüren. Wissenschaftler sollen wieder mehr "Autonomie" bekommen, heißt es in den Empfehlungen. Außerdem warnt der Rat davor, den Wettbewerb um Forschungsprojekte zu übertreiben: "Ein Mehr an Drittmitteln bedeutet nicht zwangsläufig ein Mehr an Forschungsqualität."

Das Karussell mit Anträgen, Gutachten und Evaluationen soll sich langsamer drehen und die Forscher weniger belasten. Zudem müssten die Etats der Unis so steigen, dass Drittmittel tatsächlich als Ergänzung empfunden würden - und nicht, wie derzeit, als Voraussetzung, um überhaupt forschen zu können.

© SZ vom 12.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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