Führungsspitzen:Gesucht: Fiesling für die Chefetage

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Wer will schon einen guten Chef, wenn er einen schlechten haben kann? Auch wenn es nicht so scheint - ein mieser Chef bringt zahlreiche Vorteile mit sich. Eine Auswahl.

Alexandra Borchardt

Mit Vorgesetzten verhält es sich im Berufsalltag wie einst mit dem Einkaufen in der DDR: Man muss die nehmen, die gerade im Angebot sind. Nun ist die DDR lange abgewickelt, und beim Einkaufen gibt es dank des Internets kaum noch spezielle Wünsche, die sich nicht erfüllen ließen. Mit etwas Klick-Geschick kann man eine Tempel-Safari mit Wellness-Zwischenstopps buchen, einen Lebenspartner finden, der Meerschweinchen und das Eismeer mag oder sich ein Häuschen mit barocken Türmchen und Glasfronten entwerfen, ohne dass ein Verkäufer mit "Haben wir nicht"-Attitüde die Sache blockiert. Vermutlich ist es also nur noch eine Frage der Zeit, bis sich auch der Vorgesetzte custom made bestellen lässt.

Guter Chef  oder böser Chef? Mildes Lächeln der Kanzlerin oder diabolisches Grinsen von Finanzminister Schäuble? Auch die schlechten Chefs haben ihre Vorteile. (Foto: dpa)

Gäbe es heute schon eine entsprechende Website, wäre dort vermutlich ein Chef des Typs Simon Halsey Top-Seller. Der mit Grammys und dem Bundesverdienstkreuz dekorierte Chefdirigent des Rundfunkchors Berlin singt einmal im Jahr mit Führungskräften verschiedenster Branchen, die dabei zwischen Pianissimo und Forte auch lernen, wie Motivation funktioniert. Ziemlich oft sagt er "Bravo. Aber ...", und dann wissen alle, das war nichts, sie müssen im 37. Takt noch klarer werden. Er hört immer zu, verlangt viel und korrigiert charmant, bis aus "bravo" "exzellent" oder gar "fantastisch" wird. Auch nach vielen Stunden Probe hält Halsey die Sänger mit Anekdoten wach, gerne lacht er dabei über sich selber. Mitarbeiter, die täglich mit ihm arbeiten, sagen, er sei immer so.

Beschäftigte, die eher Chefs wie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble kennen, der kürzlich vor den Augen der Kameras diabolisch lächelnd seinen Pressesprecher vertrieb, mögen da neidisch werden. Aber es gibt Trost: Ein schlechter Chef hat viele Vorteile.

Zunächst einmal taugt er wunderbar als gemeinsamer Feind. Das schweißt Teams zusammen. Abteilungen sind schon auseinandergefallen, weil der Tyrann abtrat und das verbindende Thema ("Und für den Irrsinn kriegt der eine halbe Million!") in der Kaffeepause fehlte.

Ein schlechter Chef zeichnet sich zudem oft dadurch aus, dass er nie da ist. Das eröffnet seinen Mitarbeitern gewaltige Freiräume, die sie wahlweise im Sinne der Firma oder - er wird's nicht kontrollieren - im Sinne des Fußballvereins, der Elternvertretung oder der Nebenfrau gestalten können.

Ein schlechter Chef redet entweder nie (Vorteil: siehe Freiräume), oder er hört nur sich gerne reden. Das erspart seinen Mitarbeitern die lästige Vorbereitung; schließlich reicht es aus, Stichwortgeber zu sein. Und weil er nie zuhört, kann man auch ruhig mal Blödsinn erzählen. Erfolge wird so ein Typ allein sich selbst zuschreiben, was den Beschäftigten ermöglicht zu verbreiten, dass in Wahrheit sie die ganze Arbeit gemacht und alle Ideen gehabt haben. Das wird ihnen jeder glauben, denn in guten Firmen weiß jeder, wer die schlechten Chefs sind. Umgekehrt wird er alle Fehler den Mitarbeitern zuschreiben, aber der Flurfunk funktioniert: Natürlich war der Boss schuld.

Schlechte Chefs sind großartige Vorbilder: Die Mitarbeiter sehen täglich, wie sie es ganz sicher nicht machen dürften, kämen sie denn einmal in eine Führungsposition. Und das werden sie mit einem miesen Vorgesetzten leichter schaffen. Denn einem Simon Halsey nachzueifern, erscheint aussichtslos. Aber besser zu sein als der schlechte Chef, das kann allemal gelingen.

© SZ vom 15.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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