Außenansicht: Bildungskrise:Planen statt jammern

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Immer rufen die Hochschulen nach Autonomie - nun sollten sie die Ausbildung der Studenten endlich ernsthaft organisieren. Kreativität ist gefragt, Handlungsspielraum gibt es.

Wolfgang A. Herrmann

Die protestierenden Studenten konnten sich in den vergangenen Wochen der Sympathie einer breiten Öffentlichkeit sicher sein. Die Kritik an den herrschenden Studienbedingungen waren pointiert und im Kern zutreffend vorgetragen. Das Wichtigste hat man übersehen: Der Bachelor als politisch gewollter Regelabschluss geht am Bedarf einer Innovationsgesellschaft vorbei! Das Besondere, das Wesentliche eines akademischen Studiums lautet: breite fachliche Grundlage plus nachfolgende Spezialisierung.

Die Studentenproteste in Deutschland stoßen auf die Sympathie der Öffentlichkeit. (Foto: Foto: ddp)

Das goldrichtige Bologna-Modell zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulwesens setzt auf die Zweistufigkeit des Studiums, nicht aber auf seine Zwangsverkürzung, und auf dessen Qualitätssicherung. Die Bologna-Empfehlungen der europäischen Bildungsminister kennen keine starren Studienzeitvorgaben. Zu allem Unglück hat die deutsche Kultusministerkonferenz das Mandat der Qualitätssicherung auf sogenannte "Akkreditierungsagenturen" übertragen, die für jeden einzelnen Studiengang gewisse Mindeststandards festlegen. Zeit- und Geldverschwendung!

Angemessen wäre es gewesen, jede Hochschule auf ein ganz eigenes Qualitätsmanagement zu verpflichten und damit einen Wettbewerb in Gang zu setzen. Und schließlich hat man Äpfel mit Birnen verwechselt, indem dem vernünftigen neuen Studienformat bewährte Abschlusstitel versagt wurden: Dass nämlich der "Diplom-Ingenieur" international ein deutsches Markenzeichen ist, haben jene vergessen, deren Einigkeit am grünen Tisch bestehende Realitäten ausblendet.

Zur Rolle der Hochschulen: Sie rufen ständig nach Autonomie, bringen sich aber in deren Ausgestaltung oft nur zögerlich ein. Sie entgehen nicht der Kritik, dass sie Mut und Strategiefähigkeit bisher wenig gezeigt haben, von Führungsdefiziten vieler Hochschulspitzen abgesehen. Sie sollten aufhören, über die teilweise Steuerung durch die Politik zu jammern und statt dessen ihre Agenda selbst- und verantwortungsbewusst in die Hand nehmen. Die meisten Ministerien wären froh, wenn die Hochschulen endlich eigene Ziele definierten und Verfahrensweisen zu deren Erreichung festlegten.

Universitas semper reformanda, heißt das Motto, die Hochschule bedarf der Erneuerung. Kreativität ist gefragt, die Handlungsräume gibt es. Die Technische Universität München (TUM) baut ein hochschulweites Qualitätsmanagement auf, das die Studiengänge ebenso umfasst wie die zielgerichtete Verwendung der Studienbeiträge - selbstverständlich unter Beteiligung der Studierenden. Partizipation bedeutet die Einbeziehung der Betroffenen sowie jener, die zur Sache etwas zu sagen haben, egal ob sie in den Gremien vertreten sind oder nicht.

Auf dem Kühlergrill unseres Zweistufen-Modells führen wir den "Diplom-Ingenieur (TUM)", egal ob es ihn in irgendeinem Gesetz gibt oder nicht. Er gehört zu unserem Markensortiment. Wir führen auch achtsemestrige Bachelor-Studiengänge wie in der Architektur, mit einem integrierten Auslandsjahr. "Mindeststandards" interessieren uns wenig; unser Anspruch orientiert sich an den besten Standards unserer internationalen Wettbewerber.

Keine Ausbildung für den Elfenbeinturm

Dass bei einer großflächigen Studienreform ständiger Optimierungsbedarf besteht, liegt allein schon am Wandel der Wissenschaften sowie an den sich laufend ändernden (internationalen) Berufsmärkten. Nicht für den Elfenbeinturm bilden wir aus, sondern für ein Berufsleben in Wissenschaft und Wirtschaft, Schule und Verwaltung. Mit diesen Zielen im Blick kann Hochschulausbildung nicht überall nach demselben Muster ablaufen. Philosophie ist nicht Elektrotechnik, ein Mediziner tickt anders als ein Lehrer.

Eine Generalkritik am Bologna-Prozess ist nicht gerechtfertigt. Früher war auch nicht alles besser, im Gegenteil: Die alten Vordiplome zum Beispiel erwiesen sich als vollkommen wertlos, mit meinem Chemie-Vordiplom hätte ich nicht einmal einen Chemotechniker hergegeben. Wer sich einmal für das falsche Fach entschieden hatte, musste jahrelang durchhalten, wollte er das Studium nicht ganz abbrechen.

Der Bachelor bietet eine unbekannte Chancenvielfalt

Die zweistufige Organisation hingegen eröffnet mit dem ersten (Bachelor-)Abschluss eine bisher unbekannte Chancenvielfalt: Fortsetzung des Studiums im gleichen Fach, Vertiefung in einem verwandten oder andersartigen Fach, Wechsel ins Ausland, Zugang aus dem Ausland. Noch nie vorher kamen so viele Studenten für die zweite Studienphase von anderswo zu uns, auch aus dem Ausland.

Auch erste Berufsfelder beginnen sich für Bachelor-Absolventen zu erschließen, wenngleich angesichts traditioneller Berufsbilder schlagartige Veränderungen nicht zu erwarten waren. Wie im richtigen Leben, so ist auch hier der Weg das Ziel. Das neue zweistufige Format nimmt die Interessen und Begabungen der jungen Talente so flexibel auf wie nie zuvor. So werden die Bildungschancen durch den vereinfachten Übergang zwischen Fachhochschulen und Unis ebenso erhöht wie zum Beispiel durch gemeinsame Master-Studiengänge.

Studienbeiträge sind richtig

Was das Thema "Verschulung des Studiums" betrifft: Hier sei an die Forderung vieler Studentengenerationen erinnert! Richtig aber ist, dass das Grundstudium breiter anzulegen ist, damit die nachfolgende Spezialisierung genutzt werden kann. Es gibt heute zu viele Einzelprüfungen, eine Zusammenfassung auf Kontextwissen ist angeraten. Eine Entrümpelung der Lehrangebote ist eine immerwährende Herausforderung.

So gerechtfertigt viele Kritikpunkte sind, so wenig halte ich von der Grundsatzkritik an den Studienbeiträgen. Sie sind richtig! Ein Hochschulstudium schafft viele Karrierevorteile im Vergleich zu handwerklichen Berufen. Was aber nichts kostet, ist nichts wert. Mein Chemiestudium begann 1967 mit einem "Hörgeld" von 172 Mark, obwohl mein Vater nicht üppig verdiente. Heute gibt es extrem günstige Studiendarlehen, die aber nur marginal abgerufen werden. Und noch nie hatten die Studierenden so viel Mitspracherecht bei der Studiengestaltung wie heute. Die 500 Euro pro Semester erweisen sich als kräftiger verlängerter Hebel zur Einflussnahme.

Es fehlen Milliarden

Bleibt noch ein Zuruf an die Politik: Die Betreuungsdichten für anspruchsvolle akademische Studiengänge sind im internationalen Vergleich deutlich zu gering. Das kann sich der Kulturstaat Deutschland nicht leisten. Es fehlen Milliarden, jährlich.

© SZ vom 24.11.2009/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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