Zahnmedizin:EU-Parlamentarier wollen Amalgam weitgehend verbieten

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Viele Europäer tragen Amalgam im Mund. Das Europaparlament sorgt sich über dessen Auswirkungen. (Foto: Hans Wiedl/dpa)

Dabei konnte nie nachgewiesen werden, dass Zahnfüllungen aus dem silberfarbenen Material die Gesundheit schädigen.

Von Thomas Kirchner

Wie schädlich ist Amalgam? Die jahrzehntealte Debatte schien sich beruhigt zu haben. Kaum ein Material ist häufiger untersucht worden, und obwohl im Internet natürlich auch das Gegenteil steht, hat sich eine Gesundheitsgefahr durch das in den Zahnfüllungen enthaltene Quecksilber niemals nachweisen lassen. Entsprechend empfehlen offizielle Stellen, Amalgam zwar sicherheitshalber nicht bei Schwangeren, Kindern mit Milchzähnen und schwer Nierenkranken zu verwenden. Ansonsten aber, so die Bundeszahnärztekammer, sei es ein "bewährter Werkstoff", zuverlässig, praktisch, haltbar. Und weil es auch günstig ist, sehen es die Krankenkassen bei den vom Kauen belasteten Seitenzähnen weiterhin als Standardversorgung an. Wer etwas anderes will, muss zuzahlen.

Das könnte sich ändern, wenn es nach dem EU-Parlament geht. Dessen Umweltausschuss fordert, Amalgam de facto zu verbieten. Von 2023 an wäre es nur noch ausnahmsweise erlaubt, etwa bei Allergien gegen Gold oder Kunststoff. "Wir wollen die bisherige Praxis umdrehen", sagt Martin Häusling (Grüne): "Es soll gelten: Erst alle anderen Materialien verwenden, dann vielleicht noch Amalgam." Die Abgeordneten nutzen die Tatsache, dass die EU noch Lücken bei der Umsetzung der Übereinkunft von Minamata schließen muss. Darin hatten die Staaten 2013 vereinbart, die Emissionen von Quecksilber einzudämmen. In flüssiger Form kann das Schwermetall Hirn, Lunge, Leber oder Nervensystem stark schädigen.

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Bei Karies eine Füllung in den Zahn und dann jahrelang keine Probleme mehr? Die Realität sieht oft anders aus. Viele Patienten müssen oft schon wenige Jahre nach der Behandlung erneut zum Arzt.

Dass der Einsatz in der Industrie stärker begrenzt werden sollte, ist unumstritten. Aber auch in Zahnlöchern? Die EU-Kommission schlägt lediglich vor, Amalgam nur noch in "verkapselter" Form zu verwenden, um die Belastung für das medizinische Personal zu senken, und die umweltgerechte Entsorgung in den Praxen durch Abscheider zu sichern (was in Deutschland schon geschieht). Den Abgeordneten ist das zu wenig. "Man weiß eben nicht genau, wie schädlich Amalgam ist", sagt Stefan Eck (parteilos). "Dann gilt für mich das Vorsorgeprinzip."

Auch zum Schutz der Umwelt sei das Verbot geboten. Etwa 1000 Tonnen Quecksilber lagern in den Zähnen der Europäer, 75 Tonnen kommen jährlich hinzu, die meisten in Frankreich (17,5 Tonnen) und Polen (10). "Da sich mehr Menschen verbrennen lassen, verschmutzt das Metall auch zunehmend die Luft", so Eck. Deutsche Zahnärzte verwendeten Amalgam 2013 noch in sieben Prozent der Füllungen. Die Tendenz ist sinkend. Wegen besserer Prävention kommt es seltener zu Karies; die Löcher sind kleiner und deshalb leichter mit Kunststoff zu behandeln; außerdem bevorzugen Patienten die zahnähnliche Farbe anderer Werkstoffe.

Dennoch möchten auch die deutschen Ärzte nicht auf Amalgam verzichten. "Wir haben noch keine gute Alternative mit demselben Einsatzspektrum", sagt Dietmar Oesterreich von der Bundeszahnärztekammer. "Zudem bergen andere Materialien ebenfalls Risiken, siehe die Diskussion über Bisphenol A oder Nanopartikel." Die EU-Kommission warnt vor "hohen Kosten" durch ein Verbot. Das sei kein Argument, sagt Eck. "Die Gesundheit der Bürger muss uns das wert sein." Darüber werden nun Parlament und EU-Staaten verhandeln.

© SZ vom 19.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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