Sport- und Wanderkleidung:Ist Gift im Schuh?

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Wanderschuhe müssen vieles aushalten - und das schon, bevor sie an die Füße kommen. (Foto: dpa)

Verbraucherschützer warnen: Viele Outdoor-Produkte enthalten Schadstoffe. Vor allem Schuhe sind belastet. Worauf Wanderer und Freizeitsportler achten sollten.

Von Thomas Becker

Kurz vor dem Dorf mit dem schönen Namen Orient geht es links hoch, rein in Olivenhaine, vorbei an Pinien, Feigen- und Johannisbrotbäumen, rauf zum Pass Es Pouet und immer weiter Richtung Castell d'Alaró. Oben wartet die Belohnung: freie Sicht über die Hügel Mallorcas bis zum Mittelmeer. Wandern ist doch was Wunderbares. Und so gesund! Wenn da nicht all die ungesunden Dinge wären, die man dazu braucht. Zum Beispiel Schuhe.

Peter Waeber sagt: "Komplett giftfreie Bergschuhe gibt es nicht. Wenn man Schuhe oder Bekleidung mit pharmazeutisch reinen Chemikalien herstellen würde, dann wären die Schuhe nur zu Medikamentenpreisen erhältlich. Dann würde ein T-Shirt 1000 Euro kosten."

Waeber ist CEO der Firma Bluesign Technologies in St. Gallen und war mehrere Jahre Jurymitglied beim Ispo Eco Responsibility Award. Seit Jahren zertifiziert die Schweizer Firma ökologisch verantwortungsvolle Textilproduktion.

Zu den Tests, die regelmäßig Aufsehen erregen, weil zum Beispiel in Bergschuhen krebserregende Stoffe gefunden werden, sagt Waeber: "Man muss das kritisch betrachten, aber nicht in Hysterie verfallen. Krebserregende oder toxische Stoffe gehören nicht in ein Konsumentenprodukt. Aber das sind Verunreinigungen, die schwer zu eliminieren sind. Man kann sie auf ein gutes Maß reduzieren, aber schadstofffrei kann man Schuhe nicht produzieren, sondern nur schadstoffarm."

Dank neuer Analysemethoden ließen sich heute viel niedrigere Belastungswerte messen als früher, eine Gefahr für den Konsumenten seien diese Werte aber nicht immer. Waeber weiß jedoch auch, dass die Probleme viel früher auftreten: in der Produktion, vor allem beim Gerben von Leder.

Viele Schuhe werden in Fabriken in Fernost hergestellt, in denen nur ein unzureichendes Chemikalien- und Umweltmanagement herrscht. Wissentlich oder nicht wird dort mit Giftstoffen hantiert, die häufig ungefiltert ins Abwasser gelangen. Eine entsprechend strenge Umwelt- und Chemikaliengesetzgebung wie in Europa existiert vielerorts nicht oder wird nicht umgesetzt - ein Riesenproblem zum Beispiel in Bangladesch, Kambodscha und Pakistan. Und eine Aufgabe, der sich die westlichen Firmen stellen müssten, findet sogar der Bundesverband der Deutschen Sportartikel-Industrie (BSI) in Bonn.

Grundsätzlich werden Lederschuhe mit Chromsalzen gegerbt. Dabei kann das an sich ungiftige Chrom III dem BSI zufolge unter ungünstigen Bedingungen, zum Beispiel durch den Einsatz billiger Fette oder durch Lagerung in zu großer Hitze, zu Chrom VI oxidieren. Chrom VI ist toxisch und in Deutschland in Lederprodukten verboten. Wanderschuhe werden hierzulande stichprobenartig auf ihren Gehalt an Chrom VI überprüft. Immer wieder wird Gift im Schuh gefunden.

Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit warnt regelmäßig auch vor anderen schädlichen Substanzen in Schuhen. Zum Beispiel vor Perfluoroctansäure (PFOA). Diese Säure wird zum Teil als Hilfsstoff bei der Herstellung atmungsaktiver Membranen eingesetzt, aber auch, wenn Schuhe industriell gegen Wasser und Schmutz imprägniert werden.

PFOA vereint viele unangenehme Eigenschaften auf sich: Die Säure lässt sich in der Umwelt nicht abbauen, reichert sich im Körper an, verteilt sich großflächig in Gewässern, greift in den Hormonhaushalt von Mensch und Tier ein und ist in hohen Mengen auch giftig. PFOA soll deswegen vom kommenden Jahr an in Europa verboten werden. Die Fachgruppe Outdoor des BSI hat schon im September 2012 erklärt, umgehend aus der PFOA-Nutzung aussteigen zu wollen; derzeit werden die Produktionsprozesse bei den meisten deutschen Sportartikel-Herstellern umgestellt.

Billige Kleber aus Fernost

Ein weiteres Problem sind polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, kurz PAK. Mehr als hundert Substanzen gehören zu dieser Stoffgruppe, viele davon sind ebenfalls krebserregend und können die Fortpflanzungsfähigkeit schädigen. PAK befindet sich als Reststoff in Schwarzgummisohlen von Wanderstiefeln. Zwar nimmt der Träger die Stoffe nicht aus den Sohlen in seinen Körper auf; dennoch will die EU in diesem Jahr PAK in Produkten verbieten, die mit der Haut in Kontakt kommen.

Außerhalb Europas aber schert sich niemand um solche Vorschriften. Wegen des internationalen Preisdrucks begnügt sich so mancher Hersteller mit billigen Klebern und Kunststoffen aus Fernost. Riecht es im Schuhgeschäft also nach Teer und Lösungsmittel, sollte man auf dem Absatz kehrtmachen. Oder mal nachschauen, wo der Schuh herkommt. Es gibt nämlich auch Ausnahmen von der giftigen Regel.

Eine davon ist auf Mallorca daheim, nur ein paar Kilometer entfernt vom malerischen Castell d'Alaró, im Städtchen Lloseta, seit 1940 Heimat des Bergschuhfabrikanten Bestard. Ein 40-köpfiges Familienunternehmen, das im Jahr rund hunderttausend Paar Schuhe "Made in Spain" produziert - bei den Marktführern der Branche sind es etwa zehn Mal so viele. Für eine Gruppe interessierter Do-it-yourself-Schuhmacher hat Bestard vor Kurzem seine Tore geöffnet. Eine gute Gelegenheit also, mal zu schauen, was in einem Bergschuh so alles drinsteckt.

Während draußen kein Wölkchen den Himmel trübt, lernen die Hobby-Schuhmacher in einem fensterlosen Raum bei Neonlicht erst mal Theorie. Drei Stunden lang geht es um Kevlar, Carbon, Laminate und die Haut deutscher und Südtiroler Kühe, die dicker und damit besser ist als die billige von asiatischen Rindviechern.

Danach dürfen sich die Besucher an Nähmaschinen versuchen, mit Teppichmesser und Kleber hantieren, Presse und Stanzmaschine betätigen sowie noch ein paar andere einschüchternde Gerätschaften mit der Aufschrift "Atención a las manos!" (Achten Sie auf Ihre Hände!). Von Stunde zu Stunde nimmt der Schuh Form an, bis der Hobbybastler die Schnürsenkel einzieht, das knallrote Endprodukt in den Schuhkarton packt und sich auf die Test-Wanderung freut. Bleibt die Frage: Wie giftig sind nun die selbst hergestellten Schuhe?

Michael Knauer vom renommierten Prüf- und Forschungsinstitut der Schuhstadt Pirmasens sagt: "Natürlich sollten die Schadstoffe so gering wie möglich gehalten werden, doch irgendwie muss ich die Eigenschaften des Leders gewährleisten, sonst kann ich mir gleich eine unbehandelte Tierhaut anziehen."

Und was sagt man beim spanischen Outdoor-Schuhhersteller Bestard zu den Produktionsprozessen? Mats Lindholm, der Sales Manager, räumt ein, dass es komplett ohne Schadstoffe nicht geht, vor allem beim Gerben. Jedoch arbeite man seit vielen Jahren mit der nordrhein-westfälischen Lederfabrik Heinen zusammen, die für ihre umweltbewusste Produktion ausgezeichnet wurde. Der erhöhte Aufwand schlägt sich im Preis nieder - die Produkte von Bestard sind eher im oberen Preissegment zu finden, während es bei Discountern Lederschuhe schon für 9,90 Euro gibt.

Dieser Preisunterschied entsteht durch eine Produktion, bei der nur ein Bruchteil eines EU-üblichen Lohnes bezahlt und die Umwelt belastet wird. Doch diese desaströse Vorgeschichte sieht der Wanderfreund dem günstigen Bergstiefel im Schuhgeschäft nicht direkt an. Es sei denn, er schaut mal genauer hin.

Worauf können Verbraucher beim Kauf von Outdoor-Kleidung also achten? Es empfiehlt sich, gezielt nach schadstoffarmen Produkten zu fragen. Viele Hersteller haben mittlerweile alternative Produkte ohne Giftstoffe im Angebot. Oft ist es allerdings schwer, vom Personal Informationen dazu zu bekommen.

Hier hilft der Einkaufsführer "Fair Fashion", der als iPhone-App erhältlich ist. Ein guter Indikator ist auch das Bluesign-Gütesiegel. Der internationale Qualitätsstandard nimmt nicht nur das Endprodukt, sondern die gesamte Produktions- und Vertriebskette von Textilien und Schuhen unter die Lupe. Außerdem gibt es in der Textilbranche ein weiteres Qualitätslabel, den Oeko-Tex Standard 100. In diesem Prüfverfahren werden Textilien samt Füllmaterialien, Knöpfen oder Reißverschlüssen auf Schadstoffe untersucht.

Kleinere Hersteller wie zum Beispiel Zimtstern oder Klättermusen haben sich auf ökologisch korrekte Produkte spezialisiert. Die Firmen bieten Jacken an, die mit Bienenwachs beschichtet oder mit Naturkautschuk abgedichtet sind. Bei den größeren Firmen gelten die Marken Patagonia, Mammut und Vaude als Vorreiter in Sachen nachhaltiger und schadstoffarmer Produktion.

Eine weitere Möglichkeit wäre der Teil-Verzicht: Wer den Mount Everest besteigen oder Grönland durchqueren will, braucht vielleicht eine extrem wetterfeste Jacke mit einer Wassersäule von 30 Metern - wer nur mit dem Hund Gassi geht, wahrscheinlich eher nicht.

© SZ vom 11.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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