Schlaf:Mythos Dauermüdigkeit

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Raubt der moderne Lebensstil uns den Schlaf? (Foto: Florian Peljak)

Permanent wird den Menschen Angst gemacht, sie schlafen zu wenig. Sind wir wirklich chronisch übermüdet? Eine Dokumentation sucht Antworten.

Von Berit Uhlmann

Die Nachtruhe scheint heutzutage ein Quell ständiger Beunruhigung zu sein. Drei Viertel der Deutschen können im Bett nicht entspannen; Grund seien Geldsorgen, mahnt eine Bank, die diese Befragung in Auftrag gab. Jedem Deutschen gingen hunderte Stunden Schlaf pro Jahr verloren, weil er nachts so lange surft, warnt ein Vergleichsportal, das sich auf schnelle Internetverbindungen spezialisiert hat. Mit der Angst vor dem allgegenwärtigen Schlafmangel werden längst Geschäfte gemacht. So gesehen ist es erfreulich, dass eine Dokumentation auf 3sat einmal nachfragt, ob es denn wirklich so schlecht um unseren Schlaf steht. Ob die Lasten des modernen Lebens uns tatsächlich permanent die Ruhe rauben.

"Der Mythos vom gesunden Schlaf" heißt der 45-Minuten-Film. Es kommen Forscher zu Wort wie der US-Psychiater Jerry Siegel, der erläutert, dass die angeblich so übermüdeten modernen Menschen mindestens genauso viel Schlaf bekommen wie Naturvölker. Siegel hat Menschen beobachtet, die in Kenia, Bolivien und Tansania fernab der Zivilisation leben. Im Sommer schlafen sie durchschnittlich sechs, im Winter sieben Stunden - und sind damit vollauf zufrieden. Der Mensch der Industrienationen käme mit solch kurzer Schlafdauer aus dem Klagen und Bangen gar nicht mehr heraus. Ihm wird ja auch dauernd erzählt, dass es wider die Natur sei, weniger als sieben Stunden zu schlafen.

Dabei ist diese Empfehlung nicht nur fraglich, sie ist auch viel zu pauschal. "Es gibt Menschen, die mit fünf Stunden wunderbar auskommen, und es gibt Menschen, die unbedingt zehn Stunden brauchen", sagt der Berliner Schlafmediziner Dieter Kunz in der Dokumentation. Es klingt, als wird endlich einmal Gelassenheit im Umgang mit dem Schlaf propagiert.

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Leider kippt die Dokumentation dann doch immer wieder ins Alarmistische. "Wenn wir endlich schlafen wollen, können wir nicht mehr", verkündet der Sprecher zu Bildern, in denen die ganze Neonbeleuchtete Kälte des modernen Lebens gerinnt. "Viele Menschen", so heißt es schwer, litten heute an Schlafstörungen. Deren Repräsentantin ist dann ausgerechnet eine Patientin mit einer sehr seltenen Erkrankung. Sie lebt ihre Träume körperlich aus und hat sich dabei in der Vergangenheit schwere Verletzungen zugezogen. Störung des REM-Schlafes lautet die Diagnose, die in aller Bedrohlichkeit beschrieben wird.

Eine solche Pathologisierung des Schlafes ist ärgerlich. Denn wie in der Doku auch thematisiert wird, ist die Furcht vor Schlafmangel weit verbreitet und beileibe nicht trivial. Sie kann Menschen dazu verleiten, Schlaftabletten zu missbrauchen. In dem Fall drohen Abhängigkeit, Stürze und Unfälle durch den Hangover.

Natürlich leiden Menschen immer mal wieder unter einem Schlafdefizit. Nur hat dies - und das wird leider nicht thematisiert - nicht immer etwas mit den äußeren Bedingungen des Lebens zu tun, sondern auch mit der inneren Einstellung. Das lange produktive Wachsein, die demonstrative Müdigkeit sind bisweilen auch die Banner der Leistungsbereiten, eine Art kleiner Burnout, mit dem sie ihre Aufopferung beweisen wollen.

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Und selbst die, die tatsächlich manchmal nicht zur Ruhe kommen, sind nicht so ausgeliefert, wie der Film es bisweilen suggeriert. Dem Großteil von ihnen können bereits recht einfache Lösungen helfen: viel Tageslicht, abends Ruhe und möglichst wenig künstliche Beleuchtung, sowie bei unregelmäßigen Arbeitszeiten zwischendurch ein Nickerchen. Vor allem aber: nicht dubiose Warnungen, sondern das eigene Schlafbedürfnis zur Norm zu machen.

"Der Mythos vom gesunden Schlaf", Donnerstag, 20.15 Uhr, 3sat

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