Mütter von Schreibabys:"Ich war entsetzt über meine Gedanken"

Eltern von Schreibabys brauchen schnelle Hilfe, keine Durchhalteparolen. Eine Mutter erzählt, wie sie mit ihrer zweiten Tochter an ihre Grenzen geriet - und weit darüber hinaus. Noch zwei Jahre später bekommt sie Panik, wenn Sophie weint und betrachtet wehmütig Mütter, deren Säuglinge friedlich schlummern. Ein Protokoll.

Von Sarina Pfauth

Wenn ich heute sehe, wie fröhlich Sophie ist und wie sie mit ihrer Schwester Spaß hat, dann denke ich: Gott sei Dank, wir haben es wirklich überstanden! Das ist mein Trost. Aber ihr gesamtes erstes Lebensjahr war purer Stress. Ich hatte das Gefühl, dass sie einfach immer quengelt und weint. Mein Mann und ich dachten schon bald, dass irgendetwas nicht stimmt mit unserer Tochter, weil sie nicht mal im Schlaf richtig friedlich war, ihr Körper war immer angespannt. Auch das Stillen war anstrengend, es war nie schön, bis zum Schluss: Sophie hat sich jedes Mal gebogen und geweint. Ich hatte schreckliche Angst, dass sie Schmerzen hat und wir es nicht bemerken.

Sophie, unser zweites Kind, hatte leider keinen guten Start. Sie kam drei Wochen zu früh per Kaiserschnitt zu Welt, hatte dann Probleme mit dem Zuckerhaushalt und kam sofort auf die Neugeborenenstation, wenig später musste sie noch zwei Mal ins Krankenhaus, erst wegen einer Gelbsucht, dann wegen einer Lungenentzündung. Es gab also schon ganz am Anfang viel, was ein kleines Kind stressen kann.

In der vierten oder fünften Woche wurde sie dann motorisch extrem unruhig, zappelte viel und die Nächte wurden schlechter. In den Monaten danach schlief unser Baby meist zwei, drei Stunden am Stück, danach wurde es stündlich wach und konnte nicht mehr allein einschlafen, wir mussten Sophie immer dabei helfen.

Tagsüber war es noch schlimmer, da hat sie vielleicht zweimal ein Nickerchen von 20 Minuten gemacht. Wenn Sophie wach war, war sie nie zufrieden, weil sie natürlich todmüde war. Wenn ich sie abgelegt habe, hat sie furchtbar geschrien. Also hatte ich sie fast den ganzen Tag im Tragetuch. Dagegen hat sie sich aber auch gewehrt, hat sich gegen mich gestemmt. Es waren so unruhige, verkrampfte Tage in dieser Zeit. Ich dachte: "Die heult nur!"

War viel Action geboten, war sie zunächst gefesselt. Dann wiederum war das Problem, dass sie nicht wegschauen konnte. Andere Babys wenden den Blick ab, wenn ihnen die Reize zu viel werden, aber das konnte Sophie halt nicht. Sie hat so lange hingesehen, bis sie komplett überfordert war und nur noch geschrien hat.

"Wir kamen an unsere Grenzen"

Wir kamen oft an unsere Grenzen. Mein Mann und ich hatten ständig Muskelschmerzen, weil wir so angespannt waren. Und wir waren so übermüdet! Dankbar bin ich für das Verständnis, das uns von der Firma meines Mannes in der Schreibaby-Zeit entgegengebracht wurde. Er hat in diesem Jahr so oft gefehlt, dass er bei einer anderen Firma ganz bestimmt seinen Job verloren hätte.

Und dass unsere Große, Teresa, das Ganze so gut mitgemacht hat, ist auch ein Wunder für mich. Aber ich glaube, Teresa hat gespürt, dass sie uns nicht auch noch Kraft kosten darf. Das hätten wir tatsächlich nicht geschafft.

Im Radio habe ich mal von einer Mutter gehört, die ihr Kind geschüttelt hat. Ich dachte: Die arme Frau, ich verstehe sie! Und ich war entsetzt darüber, dass ich sie verstehen konnte.

Wir waren auf Rat unserer Kinderärztin und meiner Schwester, die Hebamme ist, beim Physiotherapeuten, weil Sophie so verspannt war. Nach acht oder zehn Sitzungen ging es ihr besser, aber noch lange nicht gut. Nach sieben Monaten haben wir uns schließlich bei einer Sprechstunde für Schreibabys angemeldet. Das hat uns gerettet.

Sophie wurde dort eingehend untersucht, und organisch war glücklicherweise alles in Ordnung. Ein Psychologe diagnostizierte bei ihr eine Regulationsstörung, das heißt, dass sie nicht gut mit Reizen umgehen konnte und dass sie nicht wusste, dass Schlaf ihr gut tut. Das musste sie lernen.

Der Psychologe hat mir zum Beispiel erklärt, dass es für Sophie schon irritierend sein konnte, dass mein Gesicht hell ist und meine Haare dunkel sind. Das hat sie beim Stillen abgelenkt. Also habe ich versucht, im Dunkeln zu Stillen. Verrückt, wirklich.

Die Wende kam durch die Schlafintervention - einem ganz genauen Plan, nach dem wir Sophie auf Anweisung des Psychologen das Schlafen beigebracht haben. Ich habe eine Haushaltshilfe von der Krankenkasse bekommen, die sich um Teresa kümmern konnte, an fünf Vormittagen pro Woche. Ich konnte mich derweil ganz darauf konzentrieren, wann Sophie müde wird und sich die Augen reibt. Dann bin ich mit ihr ins Schlafzimmer und habe versucht, alle Reize wegzunehmen: Licht aus, leise sein, Jalousien runter, Kind zwingen zu liegen.

"Das Jahr wirkt immer noch nach"

Es hat anfangs eine Stunde gedauert, bis Sophie eingeschlafen ist. Das ging mehrere Wochen so. Nach drei Wochen dachte ich, ich hör auf. Aber wir standen ja mit dem Rücken zur Wand. Ich wusste, ich muss da durch oder in eine Klinik. Aber dann kam die Wende, sie hat kapiert, dass es ihr gut tut, zu schlafen. Und heute schläft Sophie gerne.

In dem Moment, in dem es dem Kind besser ging, ging es mir noch schlechter. Der Psychologe meinte bei einem unserer letzten Treffen, dass die Sache mit Sophie super läuft - aber dass er bei mir eine Depression vermutet und mir eine Therapie empfiehlt. Das Gute war, dass die Schreiambulanz uns als ganze Familie im Blick hatte. Wir haben uns so verstanden gefühlt!

Ob die anstrengende Zeit mit Sophie der Auslöser für die Depression war, wussten die Experten auch nicht. Aber ich denke schon, dass zumindest einer der Gründe meine Erschöpfung war. Es war ein Jahr, an dem wir an unsere Grenzen gegangen sind - und mein Mann sagt, auch darüber hinaus. Das Jahr wirkt immer noch nach, obwohl Sophie jetzt schon drei ist.

Wenn ich heute Babys sehe, die friedlich schlafen oder auf einer Decke liegen und spielen, denke ich immer noch unwillkürlich: Das hatten wir nie! Wir haben uns das ganze erste Lebensjahr nur um sie gedreht, und trotzdem war sie nie zufrieden. Ich bin gespannt, wann diese Wehmut aufhört. Und ich merke, dass ich immer noch panisch werde, wenn Sophie weint, weil sie Schmerzen hat oder unglücklich ist. Das ist bei ihrer Schwester nicht so. Wenn Teresa weint, dann schau ich halt: Was hat sie, wie kann ich helfen?

Anderen Eltern würde ich unbedingt raten, sich Hilfe zu holen, bevor sie fix und fertig sind. Man denkt viel zu lang: Das schaffen wir schon alleine. Und gerade, wenn ein Kind nie glücklich ist, sollte man gleich zu Experten wie die in einer Schreiambulanz gehen, das ist besser, als zehn Physiotherapeuten und Heilpraktiker auszuprobieren.

Manchmal denke ich: Was hatte Sophie für ein schlimmes erstes Jahr! Was soll ich ihr später erzählen? Wie Medizin ist dann für mich, wenn ich an ihr Bett gehe und sehe, wie sie heute ruhig und friedlich schläft. Und auch für mich denke ich dann: Du hast das irgendwie gepackt, es ist vorbei.

Anmerkung der Redakion: Alle Namen sind geändert.

Mehr über den Umgang mit dem Baby erfahren Sie in unserem Ratgeber.

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