Medizin:Methadon - Wundermittel gegen Krebs?

Medizin: MRT-Aufnahmen eines Gehirns (Symbolbild)

MRT-Aufnahmen eines Gehirns (Symbolbild)

(Foto: DedMityay - Fotolia)
  • Eine Meldung macht die Runde, dass das Opioid Methadon Hirntumorpatienten helfen kann.
  • In Laborstudien hat eine Ulmer Chemikerin entsprechende Hinweise gefunden und diese öffentlich gemacht.
  • Unter Patienten herrscht große Aufregung, Onkologen hingegen warnen massiv vor falschen Hoffnungen.

Von Felix Hütten

Man stelle sich vor, Forscher entdeckten ein Wundermittel gegen Krebs; eines, das günstig ist, wirkungsvoll und weitestgehend sicher. Es wäre eine Sensation. Und genau eine solche Sensationsmeldung erzeugt im Internet derzeit mächtigen Wirbel. Anlass der Aufregung sind Forschungen der Chemikerin Claudia Friesen von der Uniklinik Ulm. Sie hat in Zell- und Tierversuchen Hinweise darauf gefunden, dass das Schmerzmittel Methadon die Wirkung einer Chemotherapie womöglich verstärkt.

Vereinfacht lautet Friesens These: Methadon hilft, die Chemotherapeutika in der Tumorzelle zu konzentrieren - und den Krebs damit effektiver zu zerstören. Hat Claudia Friesen also einen wirksamen und günstigen Ansatz gefunden, der den Kampf gegen Tumore um Lichtjahre nach vorne katapultiert? Methadon ist vielen Patienten bekannt, es kommt in der Schmerztherapie und im Heroinentzug häufig zum Einsatz. Im Unterschied zu den meisten Krebsmedikamenten ist es patentfrei und günstig.

"Stern TV" und das ARD-Magazin "Plusminus" haben deshalb mittlerweile Beiträge über Methadon gesendet. Darin kommt eine Patientin mit einem Hirntumor zu Wort, die während ihrer Chemotherapie Methadon eingenommen hat - allerdings nicht im Rahmen einer klinischen Studie. Die Frau berichtet jedoch, ihr Tumor sei nicht wieder gewachsen. Sie lebt. Was aber hat sie gerettet: das Methadon - oder die Chemotherapie allein? Eine Antwort darauf gibt es nicht. Dennoch debattieren in den sozialen Netzwerken nun Tausende Menschen und schreiben: "Schau mal, Mama, das könnte dir helfen."Führende Krebsmediziner warnen unterdessen ausdrücklich vor falschen, ja gefährlichen Hoffnungen, die das Methadon-Wunder in Tausenden Krebspatienten geweckt hat. Einige Fachgesellschaften, darunter die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie sowie die Deutsche Gesellschaft für Neurologie distanzieren sich ausdrücklich von der Idee, Methadon in der Krebstherapie zu verwenden.

Ein Nutzen von Methadon gegen Krebs ist nicht belegt. Fest steht aber, dass das Mittel töten kann

Der Grund für die vehemente Ablehnung durch die Experten: Bislang wurde Methadon gegen Krebs nur im Labor getestet, an Zellen und Mäusen. Es gibt den Verdacht eines Effekts, mehr nicht. Erst in klinischen Studien an Patienten können neue Therapien aber ihre Wirksamkeit beweisen - und vom Labor ist es ein weiter Weg bis zu solchen Untersuchungen. Das bedeutet: Ein Nutzen von Methadon in der Krebstherapie von Menschen ist wissenschaftlich derzeit nicht belegt. Zugleich bleibt Methadon ein hochpotentes Opioid, das falsch angewendet tödlich wirken kann.

Daraus folgt die Frage, wie man in der Forschung mit interessanten, aber klinisch nicht getesteten Ansätzen seriös umgeht. Viele Krebserkrankungen, insbesondere Hirntumore, sind auch deshalb grausam, weil sie den Körper oft langsam, über Wochen oder Monate hinweg zerstören; in vielen Fällen können Patienten trotz Operation, Chemotherapie und Bestrahlung nicht geheilt werden. Betroffene fürchten sich und verzweifeln, sie suchen alternative Therapien. Mitunter nutzen sie auch solche, die nicht zugelassen und gefährlich sind.

Genau deshalb vermeiden seriöse Wissenschaftler allzu großes Aufsehen um experimentelle Daten - bis klar ist, ob aus einer Idee ein Medikament entsteht. Der Vorwurf also, dem sich Claudia Friesen nun ausgesetzt sieht, lautet: Sie habe viel zu früh öffentlichkeitswirksam über ihre Forschung gesprochen - und damit falsche Hoffnungen geschürt. Die Datenbasis reiche bei Weitem nicht aus, um hier von einem hoffnungsvollen Ansatz sprechen zu können, sagt Wolfgang Wick, Chef der Neurologie an der Uniklinik Heidelberg und Sprecher im Vorstand der Neuroonkologischen Arbeitsgemeinschaft.

Die Geschichte der geldgierigen Pharmalobby

"Die Idee ist gut - so wie viele andere der jährlich hundert Ideen zu diesem Thema." Niemand in Heidelberg habe Friesens Idee jedoch interessant genug gefunden, um sich damit weiter zu beschäftigen. Die Uniklinik Ulm sah sich sogar veranlasst, klarzustellen, dass jene 80 Patienten, die Methadon bereits als zusätzliches Krebsmittel schlucken, nicht im eigenen Haus und "nicht im Rahmen von klinischen Studien behandelt wurden".

Und als wäre die Aufregung noch nicht groß genug, erzählte das ARD-Magazin "Plusminus" die Geschichte der geldgierigen Pharmalobby, die weitere Studien zu Methadon unterdrücke - aus Angst vor Umsatzeinbußen ihrer lukrativen neuen Krebsarzneien. Für diese Lesart gibt es bislang keinerlei Belege. Dennoch wird der Mediziner Wolfgang Wick diskreditiert, anstatt die fachlichen Bedenken des Mediziners ernst zu nehmen. Der ARD-Film stellt seine Kritik an der Methadon-Forschung infrage, weil er für die Pharmafirma Roche als Berater tätig war. In den sozialen Netzwerken wirkt das wie ein Brandbeschleuniger, obwohl Wick diese Tätigkeit, wie andere anerkannte Krebsforscher auch, vollständig transparent macht.

Doch längst stehen die Telefone von Onkologen und Forschern nicht mehr still. Viele Menschen sind verunsichert, aus Kliniken kommen Berichte, wonach Patienten eine Behandlung mit Methadon verlangen und laufende Behandlungen abbrechen wollen. Und die Chemikerin Claudia Friesen? Sie sagt, dass sie Methadon nie als Wundermittel bezeichnet und auch nie behauptet habe, damit Patienten heilen zu können. Letztlich, sagt Friesen, gehe es ihr um die Patienten. "Anstatt immer wieder neue Stellungnahmen zu veröffentlichen, wäre es schön, wenn Grundlagenforscher und Kliniker enger zusammenarbeiten würden."

Das soll nun geschehen. Das Team um Wolfgang Wick hat eine klinische Studie mit Hirntumor-Patienten veranlasst, in der eine Chemotherapie in Kombination mit Methadon geprüft wird. Die Studie habe auch einen gesellschaftlichen Auftrag, sagt Wick: Ziel sei, auf Grundlage von Fakten Patienten zu beruhigen und die Debatte endlich zu versachlichen. Der Abschlussbericht wird für das Jahr 2022 erwartet.

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