Legionellen-Ausbruch in Warstein:Gefahr aus der Kühlanlage

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"Einer der größten Ausbrüche in Deutschland, möglicherweise sogar in Europa": Die Stadt Warstein leidet schwer unter gehäuften Legionellen-Infektionen. Auch wenn die Quelle gefunden zu sein scheint, ist es für eine Entwarnung noch zu früh.

Von Katrin Blawat, Anne-Nikolin Hagemann und Mareike Nieberding

Man kann sie einatmen, so winzig sind sie. Dann befallen sie die Lunge. Die Infektion beginnt mit Husten, Durchfall, Fieber. Später kann es zu schweren Lungenentzündungen kommen. Die Rede ist von Legionellen. Sie haben die Stadt Warstein im Sauerland in den Ausnahmezustand versetzt: Über 150 Menschen sind bislang erkrankt, zwei von ihnen starben. Die Kreisverwaltung warnte im August sogar davor, die Stadt zu besuchen; chronisch kranken, schwachen und älteren Bürger wurde geraten, ihr Haus nicht zu verlassen.

Seit die Kühlanlage eines Industriebetriebs, über die sich die Legionellen wohl verbreitet hatten, abgeschaltet worden ist, geht die Zahl der Neuinfektionen zurück. Aber die Angst bleibt: Der Umweltminister von Nordrhein-Westfalen, Johannes Remmel (Grüne), forderte am Donnerstag im Interview mit dem Radiosender WDR5 neue Vorschriften für Kühl- und Klimaanlagen. Solche Anlagen verstäubten Wasser so fein, dass sie Legionellen verbreiten könnten, wenn sie nicht regelmäßig gewartet würden, sagte Remmel.

"Einen der größten in Deutschland, möglicherweise in Europa" nannte Martin Exner, Leiter des Instituts für Hygiene der Universität Bonn, den Legionellen-Ausbruch von Warstein. Vom 10. August an hatten mehr und mehr Menschen über Beschwerden geklagt, Experten suchten fieberhaft nach der Quelle des Übels.

Inzwischen vermutet man, dass die Legionellen aus einer Kläranlage in den Fluss Wäster und von dort in die Kühlanlage gelangten. Das dort verdunstete Wasser verteilte sie dann in der Luft.

Für eine Entwarnung sei es jedoch in jedem Fall noch zu früh, teilte die Verwaltung des Landkreises nun mit. Denn ob die angenommene Kausalkette stimmt, bleibt offen. Die Legionellen, die in der Kühlanlage gefunden wurden, sind genetisch identisch mit denen, die die Erkrankungen ausgelöst hatten. Ob das auch für die Bakterien in der Kläranlage gilt, wird noch untersucht. Dabei sei eine kommunale Kläranlage in vergleichbaren Fällen bislang nie eigenständige Infektionsquelle gewesen, so Hygieneforscher Exner.

Die stäbchenförmigen Bakterien, von denen vier Dutzend verschiedene Arten bekannt sind, leben in Böden und Gewässern und in sehr geringer Konzentration vermutlich auch im Grundwasser.

Legionellen unter dem Elektronenmikroskop. Die Bakterien lösen die Legionärskrankheit aus. (Foto: Photographer: Janice Haney Carr)

Dass die Keime medizinisch bedeutsam sein können, wurde erstmals 1976 nach einem Treffen der US-Veteranenorganisation "American Legion" klar. Mehr als 4000 Veteranen waren in Philadelphia zusammengekommen - 182 von ihnen erkrankten daraufhin an einer schweren Lungenentzündung, 29 starben. Ursache für die Infektionen waren Legionellen, die sich über die Klimaanlage des Hotels verbreitet hatten.

Seither sprechen Ärzte von der Legionärskrankheit, wenn die Keime die Lunge befallen. Daneben können Legionellen auch zum Pontiac-Fieber führen, einer milder verlaufenden Infektion mit Symptomen, die der Grippe ähneln.

In den meisten Fällen lassen sich Legionellen-bedingte Infektionen mit Antibiotika behandeln; von den ernstlich erkrankten Patienten sterben etwa sieben Prozent. Zudem gelten Legionellen als harmlos für gesunde Menschen, wenn sie beim Trinken aufgenommen werden und in den Magen-Darm-Trakt gelangen.

Die Bakterien können nach derzeitigem Wissen nicht von Mensch zu Mensch übertragen werden. Vielmehr lassen sich die Erkrankungen häufig auf keimbelastete Klimaanlagen oder Duscharmaturen zurückführen. In Deutschland registriert das Robert-Koch-Institut jährlich zwischen 400 und 650 Legionellosen. In diesem Jahr wurden bislang etwa 430 Infektionen gemeldet.

Für die Stadt Warstein hat der Legionellen-Ausbruch jenseits der Erkrankungen auch wirtschaftliche Folgen. Das größte Ballonfahrer-Treffen Deutschlands, die "Montgolfiade", zu der man bis zu 200.000 Besucher erwartet hatte, wurde Ende August abgesagt. Zudem würden viele Touristen die Stadt meiden, klagen Gastronomen und Geschäftsleute. Auch die Brauerei Warsteiner befürchtet Umsatzeinbußen - obwohl es keinen Zusammenhang zwischen Kläranlage und Bierproduktion gebe, wie ein Sprecher gegenüber der SZ betonte: "Wir sind von der Medienberichterstattung betroffen, nicht von den Legionellen".

Der Warsteiner Bürgermeister Manfred Gödde nannte den Legionellen-Ausbruch am Donnerstag "einen gewaltigen Schlag ins Gesicht der Stadt". Im Gespräch mit der SZ zeigte er sich jedoch optimistisch: "Wir sind Westfalen, wir stecken den Kopf nicht in den Sand."

© SZ vom 06.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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