Laktose und Gluten:Der Feind in meiner Nahrung

Milchreis

Viele Menschen misstrauen allen Milchprodukten.

(Foto: Christian Jung - Fotolia)

Gluten und Laktose gelten als krankmachende Bösewichte in unseren Lebensmitteln. Und immer mehr Menschen bilden sich ein, Diätnahrung täte ihnen oder ihren Kindern gut. Doch über Lebensmittelunverträglichkeiten kursieren jede Menge falsche Gerüchte und Annahmen.

Kathrin Burger

Der Berliner Starkoch Tim Raue hat alle Register gezogen. Er verwendet in seinem neuen Restaurant nur noch Milchprodukte ohne den Milchzucker Laktose. Auch Gluten hat er aus seiner Küche verbannt - jenes Eiweiß, das in Weizen, Gerste und Roggen steckt. Er habe sich gegen Laktose und Gluten entschieden, weil fast jeder zweite Gast das so wünsche und es zu seinem leichten, asiatischen Kochstil passe, sagte Raue der taz.

Die Menschen wünschen dies nicht von ungefähr. Waren es vormals Zucker und Fett, gelten nun Gluten und Laktose als die krankmachenden Bösewichte in unseren Lebensmitteln. Auf dem Ratgeber-Markt finden sich neuerdings unzählige Bücher, die vorführen, wie ein Leben ohne gewöhnliches Brot oder normale Milch aussehen kann. Diese sollen nämlich für allerlei Beschwerden im Darm verantwortlich sein, aber auch für andere diffuse Symptome wie Müdigkeit oder Kopfschmerzen. Gluten wird sogar als Dickmacher gehandelt.

Der sich immer weiter verbreitende Glaube an die Feinde in Milch und Brot wirkt sich bereits auf das Wohlbefinden von Gesunden aus. "In unserer Praxis erscheinen immer häufiger Menschen, die fälschlicherweise glauben, Laktose oder Gluten nicht zu vertragen", sagt Doris Steinkamp, Präsidentin des Verbands der Diätassistenten. Mehr als jeder zweite Bundesbürger glaubt inzwischen, an einer Laktoseunverträglichkeit zu leiden, wie eine Befragung der Landesvereinigung Milch in Nordrhein-Westfalen im August ergab.

Ohne dass die Unverträglichkeit zuverlässig diagnostiziert worden wäre, greifen Menschen vermehrt zu Diätnahrung: So wächst das Unternehmen Schär, Deutschlands größter Hersteller für glutenfreie Lebensmittel, jährlich um zehn bis 15 Prozent. In den USA sollen im Jahr 2009 sogar 75 Prozent mehr solcher Diätprodukte verkauft worden sein als noch vier Jahre zuvor.

Auch die Aufschrift "laktosefrei" taugt als Verkaufsschlager: Laut dem Verband der Milchindustrie wächst der Markt jedes Jahr um 20 Prozent. Laktosefreie Milchprodukte findet man nicht mehr nur im hintersten Winkel des Reformhauses, sondern an prominenter Stelle im Supermarkt.

Tatsächlich ist laktose- oder glutenfreie Ernährung in manchen Fällen nötig. Etwa zehn Prozent der Bevölkerung leiden laut der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten unter Laktoseintoleranz. Andere Schätzungen gehen von 15 bis 20 Prozent Betroffenen aus. Sie können den Milchzucker wegen einer genetischen Besonderheit nicht gut verdauen; schon nach einem Glas Kakao leiden sie unter Übelkeit, Schmerzen, Durchfall oder Blähungen.

In jedem Fall aber breitet sich das Phänomen der echten Laktoseunverträglichkeit nicht aus. Denn es handelt sich nicht um eine Allergie, sondern um eine genetische Eigenschaft, die rezessiv weitervererbt wird. Die Symptome treten bei einer Person also nur auf, wenn ihre beiden Eltern eine Anlage zur Laktoseintoleranz besitzen. Nur in Ausnahmefällen, etwa nach einer Krebstherapie, erwerben Menschen noch als Erwachsene die Laktoseintoleranz.

Bei den Betroffenen arbeitet das Enzym Laktase, das im Dünndarm den Milchzucker spaltet, nicht richtig. Laktose gelangt so unverdaut in den Dickdarm, wo Bakterien sie unter der Bildung von Gasen abbauen, was zu Beschwerden führt. In den laktosefreien Milchprodukten hat künstlich zugesetzte, meist gentechnisch hergestellte Laktase den Abbau des Milchzuckers bereits vorgenommen.

Dadurch schmeckt die Milch erheblich süßer, weil ein Molekül Milchzucker in zwei andere Zucker mit ähnlicher Süßkraft aufgespalten wird. "Selbst die Betroffenen aber müssen nicht komplett auf Milchprodukte verzichten oder zwingend auf laktosefreie Lebensmittel zurückgreifen", betont Silke Restemeyer von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). "Sie können meist eine gewisse Menge an Laktose vertragen." Ohnehin stecke in gereiftem Käse oder in Joghurt kaum mehr Milchzucker.

Für Gesunde sind laktosefreie Produkte völlig unnötig: "Wenn ein Mensch keine Laktoseunverträglichkeit hat, ergibt es keinen Sinn, Milchzucker zu meiden", sagt Andreas Stallmach, Gastroenterologe an der Universität Jena. Dennoch kaufen rund 40 Prozent der Deutschen bereits regelmäßig laktosefreie Lebensmittel, wie die Befragung der Landesvereinigung Milch ergab.

Oft unnötig, teuer und weniger schmackhaft

Die DGE-Ernährungswissenschaftlerin Restemeyer kann diesen Trend nicht verstehen: "Gluten- und laktosefreie Lebensmittel sind ja auch noch teurer und oft nicht so schmackhaft wie normale Produkte." Wer glaube, laktoseintolerant zu sein, könne dies leicht untersuchen: Ein einfacher Atemtest, den die Krankenkasse bezahlt, offenbart, wenn es nach dem Verzehr von Milch im Darm gärt.

Beim Thema Gluten sind die Dinge komplizierter. Nicht nur weil die Diagnose aufwendig ist: Hier muss der Arzt einen Bluttest und eine Dünndarmbiopsie veranlassen. Zudem war bislang lediglich das Erscheinungsbild der Zöliakie als Glutenunverträglichkeit bekannt. Bei dieser Stoffwechselkrankheit wird die Darminnenwand durch Entzündungsprozesse angegriffen.

Zöliakie-Patienten werden schwer krank, wenn sie Gluten zu sich nehmen; sie leiden unter chronischem Durchfall, Bauchschmerzen, Nährstoffmangel und verlieren oft Gewicht. Ein Leben lang müssen sie Weizen & Co. meiden, weil sie sonst Osteoporose oder Darmkrebs riskieren. Die Zöliakie kommt aber nur bei 0,3 Prozent der Deutschen vor, wie Studien des Forschungsverbundes Coeliac EU Cluster zeigen. Weltweit nehmen die Erkrankungszahlen allerdings anders als bei der Laktoseintoleranz zu. Weshalb, weiß niemand so genau.

Womöglich gibt es zudem noch eine Glutenempfindlichkeit, die nicht zur Zöliakie führt und von der weitaus mehr Menschen betroffen sein könnten. Alessio Fasano, Gastroenterologe an der University of Maryland, schätzt, dass sechs bis sieben Prozent der US-Amerikaner darunter leiden. Allerdings ist das Phänomen der Glutenempfindlichkeit in Fachkreisen alles andere als etabliert. Das Krankheitsbild lässt sich bisher nämlich nicht nachweisen.

Die Betroffenen klagen zwar über zumeist unspezifische Symptome nach dem Verzehr glutenhaltigen Getreides; zugleich aber schlägt die Zöliakie-Diagnose fehl. So kam es zu der umstrittenen Definition der Glutenempfindlichkeit. Wer daran zu leiden glaubt, bei dem bessern sich die Symptome meist, wenn er auf Weißbrot und andere glutenhaltige Lebensmittel verzichtet. Das könnte aber auch einfach ein Placeboeffekt sein, meint der Jenaer Gastroenterologe Stallmach: "Eine glutenfreie Diät ist eine einschneidende Maßnahme. Das trägt dazu bei, dass viele Menschen danach sagen: Es geht mir besser."

In jedem Fall komme die Glutenempfindlichkeit nicht so häufig vor, wie manche Ernährungsratgeber behaupten, betont auch Alessio Fasano: "Es gibt viele ,Experten' da draußen, die 30 bis 50 Prozent der US-Bürger eine Glutenempfindlichkeit andichten wollen." Damit haben sie offenbar Erfolg: Zunehmend verzehren auch Gesunde glutenfreie Lebensmittel und sehen sie sogar als Lifestyle-Produkte an.

In den USA essen 60 Millionen Menschen glutenfreie Produkte; aus gesundheitlichen Gründen müssten dies aber allenfalls 18 Millionen Menschen tun. Viele Promis schwören mittlerweile auf eine glutenfreie Diät, weil sie angeblich entgiftet und schlank macht. Fasano warnt jedoch: "Glutenfreie Produkte sind nicht per se gesünder, nur weil sie als Diätlebensmittel erdacht wurden. Sie enthalten oft viel Zucker und Fett."

Diese Ingredienzien mischen Industrieköche schon deshalb in die Produkte, weil Backwaren ohne Weizen nicht gut zusammenhalten - schließlich fehlt ihnen das "Klebereiweiß", wie Gluten auch genannt wird. Als Schlankmacher sind sie also auf keinen Fall geeignet.

Auch vor dem Kinderzimmer macht die Gluten- und Laktosephobie nicht halt. Junge Eltern hören immer wieder den Rat, dem Säugling im ersten Lebensjahr keinen Weizen- oder Haferbrei zu füttern und Kuhmilch gar nicht zu geben. Das schütze vor Allergien. Allerdings scheint das Gegenteil der Fall zu sein.

Die neuesten Empfehlungen der Bundesregierung und der medizinischen Fachgesellschaften zur Säuglingsernährung legen nahe, dem Baby bereits mit dem vierten, spätestens aber mit dem sechsten Lebensmonat glutenhaltige Lebensmittel zu geben, um sein Immunsystem daran zu gewöhnen. Auch gegen Kuhmilch im ersten Lebensjahr haben die Fachleute nichts einzuwenden.

"Nur auf einen Verdacht hin sollte man eine gluten- und laktosefreie Diät deshalb auch bei Kindern nicht einsetzen", betont Berthold Koletzko, Ernährungsexperte am Hauner'schen Kinderspital der Universität München. Laktose kann Säuglingen und Kleinkindern ohnehin nichts anhaben, denn ihre Laktase funktioniert selbst in Asien, wo Laktoseintoleranz weitverbreitet ist, einwandfrei: Schließlich sind auch in der Muttermilch große Mengen Milchzucker enthalten.

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