Herz-Kreislauf-Erkrankungen:Stehpulte in die Büros

Ein bisschen Sport löst das Problem nicht: Der moderne Mensch sitzt zu viel und gefährdet damit seine Herzgesundheit.

Von Werner Bartens

Gesundheit kann anstrengend sein. Zwar redet alle Welt davon, wie wichtig Entschleunigung, ausreichend Ruhephasen und die richtige Balance zwischen Arbeit und dem restlichem Leben sind. Aber zu viel Entspannung darf es auch wieder nicht sein, zumindest nicht im Sitzen. Neuerdings ist Sitzen nämlich böse. Sitzen ist das neue Rauchen und kann ziemlich gefährlich werden.

Australische Ärzte schlagen im European Heart Journal (online) in die gleiche Kerbe und scheuchen das gesundheitsbewusste Volk auf: Wer steht, anstatt zu sitzen, verringert demnach sein Risiko für Herzkreislaufleiden, und das zeigt sich schon früh am Bauchumfang und an etlichen Blutwerten. "Bringen wir die Leute dazu, mehr Zeit stehend oder gehend zu verbringen, nützt das Herz und Kreislauf", sagt Genevieve Healy, die Leiterin der Studie. "Steht auf für eure Herzgesundheit, bewegt euch für eure Taille."

Die Forscher hatten 782 Erwachsene untersucht und mit Bewegungsmessern erfasst, wie lange sie standen, gingen, saßen oder lagen. Wer zwei Stunden täglich mehr stand, anstatt zu sitzen, hatte einen um zwei Prozent niedrigeren Blutzuckerwert. Noch deutlicher war der Effekt auf die Blutfette. Die Triglyzerid-Konzentration lag bei jenen Teilnehmern, die viel standen, um elf Prozent unter den Werten der sesshafteren Probanden. Zudem erhöhte sich die Konzentration des "guten" HDL-Cholesterins durch vermehrtes Stehen.

"Viele Tätigkeiten, die wir im Sitzen ausführen, lassen sich auch im Stehen erledigen", sagt Healy. "Im Sinne der öffentlichen Gesundheitsvorsorge sollte der Arbeitsplatz verändert und beispielsweise mit Stehpulten ausgestattet werden." Zwar sei Sitzen nicht grundsätzlich schädlich, aber wenn es eine Alternative gibt, wäre die zu bevorzugen.

Sport ist zwar wichtig und hilfreich, aber offenbar reichen entsprechende Appelle nicht. "Der Kampf gegen Trägheit und sitzendes Verhalten kann nicht allein dadurch gewonnen werden, dass wir zu mehr Bewegung aufrufen", schreibt Francisco Lopez-Jimenez von der Mayo Clinic in einem Kommentar. Zwar sei Sport weiterhin zu empfehlen, aber genügend Aktivität im Alltag sei ebenso wichtig. "Wenn jemand während der Arbeit zwei Stunden geht, vier Stunden steht und dann Hausarbeit erledigt, verbrennt er mehr Kalorien als bei einem 60-Minuten-Lauf."

Abgesehen vom Sport ist es allerdings ein weiter Weg, bis Bewegung als lohnend angesehen wird. Sitzende Tätigkeiten gelten als Zeichen für Fortschritt oder finanzielle Macht. So nehmen weniger wohlhabende Leute eher das Fahrrad oder gehen zu Fuß, sie kaufen im Fußballstadion - und sofern es die noch gibt auch in Oper oder Theater - Tickets für Stehplätze, die durchweg billiger sind. "Dies sind die unbeabsichtigten Konsequenzen des modernen Lebens - Sitzen ist auch in der Freizeit mit höherem Ansehen verbunden", sagt Lopez-Jimenez. "Aber das kann man umkehren. Gesundheitsexperten, Politiker, wir alle müssen dafür aufstehen. Im buchstäblichen Sinne."

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