Siedlungspolitik:Neues Leben in alten Siedlungen

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Der Traum vom eigenen Haus, im Münsterland umgesetzt. Auch heute noch werden in ländlichen Gegenden viele Wohnhäuser gebaut - zu viele, meinen Experten. (Foto: inceniofilm/Regionale 2016)

Viele Einfamilienhausgebiete kommen in die Jahre. Das Münsterland steuert dagegen.

Von Rainer Müller

Der Traum vom Eigenheim im Grünen wird hier wirklich gelebt: Im Münsterland. Hier wird auch sichtbar, warum es immer "der" Traum heißt. Als hätten alle Menschen die gleichen Wohnwünsche. Aber genau so war es früher zwischen Münster und Bocholt im westlichen Münsterland, wo Einfamilienhäuser die vorherrschende Wohnform sind. In Borken etwa liegt ihr Anteil bei 70 Prozent. In Dülmen sieht es ähnlich aus.

Astrid Wiechers, Leiterin der Dülmener Stadtentwicklung, führt während einer Fachtagung im Mai eine Gruppe von Kollegen aus anderen Städten durch eines dieser Wohngebiete. "Am Butterkamp" liegt am Rand der Innenstadt mit ihrem historischen Kern, das Gebiet wurde in den 1960er- und 1970er-Jahren errichtet. "Viele Bewohner sind in und mit ihren Häusern alt geworden", erklärt Wiechers. Die Grundstücke sind oft 900 Quadratmeter groß. Früher war das ideal für die Kinder zum Spielen, und Platz für einen Gemüsegarten gab es auch noch. "Im Alter werden dann aber Haus und Garten zu groß," sagt Wiechers. Die oft über 80-jährigen Bewohner nutzen manche Zimmer nicht mehr und vermeiden möglichst das Treppensteigen, ein barrierefreier Umbau ist aber zu teuer.

Kompletten Leerstand hingegen gibt es in Dülmen trotz leicht rückläufiger Bevölkerungsentwicklung noch nicht. Die 45 000-Einwohner-Stadt liegt günstig auf halber Strecke zwischen Münster und Recklinghausen, die Anbindung per Bahn und über die Autobahn ist sehr gut. In Münster kosten ältere Einfamilienhäuser durchschnittlich 450 000 Euro, in Dülmen gut die Hälfte. Da überlegt sich manch einer, herzuziehen und zu pendeln.

Viele Gemeinden locken Familien in Neubaugebiete. Die Kosten für die Infrastruktur blenden sie aus

Die Teilnehmer des Rundgangs kennen diese Situation. Sie kommen alle aus dem westlichen Münsterland, aus den Bauverwaltungen ähnlicher Mittelstädte, aus Bocholt, Borken oder Billerbeck. Ihre Kommunen nehmen am Projekt "HausAufgaben" teil, das von der Regionale 2016 angestoßen wurde, einem Strukturförderprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen. "Mit HausAufgaben wollen wir die Einfamilienhausgebiete der 1950er bis 1970er fit machen für die Zukunft", sagt Uta Schneider, Geschäftsführerin der Regionale-Agentur, auf der Tagung in Dülmen, bei der eine Zwischenbilanz des Projekts gezogen wurde. "Von außen betrachtet, heißt es oft, in der Region gibt es kein Problem," sagt Schneider. Der Leerstand ist überall gering, die Bevölkerungsprognosen sind stabil - gerade im Vergleich zum nahen Ruhrgebiet oder zu anderen ländlichen Regionen wie dem Sauerland. "Aber hier ist der Anteil an Einfamilienhausgebieten besonders groß, und viele der Gebiete sind in die Jahre gekommen. Wir haben gesehen: Da kommt was auf uns zu," sagt Schneider. In ein paar Jahren werden sehr viele Häuser vererbt werden oder auf den Markt kommen, Häuser, die weder heutigen Energiestandards genügen noch den jetzigen Ansprüchen an Haustechnik und Grundrissen genügen. Das Förderprogramm Regionale, das von 2010 bis 2017 läuft, reagiert auf heraufziehende Umbrüche und wirbt bei den beteiligten Gemeinden und Bürgern für einen Bewusstseinswandel.

"Nicht nur im Münsterland sind neue Baugebiete ja immer noch eine politische Währung", sagt Hanna Hinrichs, Projektmanagerin bei StadtBauKultur NRW am Rande der Tagung. "Vielen Politikern und Planern gelten Neubaugebiete als der einfachste Weg, Familien anzulocken. Dabei übersehen sie die enormen Nachteile dieser Siedlungsform: Die Kosten, um die nötige Infrastruktur herzustellen und zu erhalten, die weiten Wege für die Pendler, die Zersiedelung - und natürlich schafft man sich selbst Konkurrenz für die alten Häuser im Zentrum." Einer gerade veröffentlichten Studie von StadtBauKultur NRW zufolge weisen 80 Prozent aller Gemeinden in Deutschland dennoch weiterhin Einfamilienhausgebiete aus. In Klein- und Mittelstädten werden die Zentren "so weiter geschwächt" und gleichzeitig die "Problemgebiete von morgen" geschaffen.

Der Ansatz der Regionale 2016 ist es daher, die älteren Wohngebiete nahe der Zentren zu stärken. Eine der beteiligten Gemeinden, Nordkirchen, 25 Kilometer nördlich von Dortmund, hat entsprechende Pläne auf den Weg gebracht. "Wohnzukunft" nennt Nordkirchen die Planungen für einen Ortsteil, der tatsächlich Südkirchen heißt - Nordkirchen-Südkirchen also. Der Ortsteil hat sich von einem Dorf zu einer Schlafstadt für Auspendler entwickelt. Infrastruktur gibt es kaum noch, ein neuer Supermarkt am Ortsrand hat die Einzelhändler im alten Dorfzentrum weitgehend ersetzt. Dort ist heute schon vereinzelter Leerstand zu sehen.

Auf großen Grundstücken wird "Hinterlandbebauung" erlaubt, ein zweites Haus hinter dem Haus

Nur ein paar Schritte weiter in den Wohnstraßen aber sind alle Häuser bewohnt und tadellos gepflegt. Die Nachfrage nach Wohnraum hält an. Ein neues Wohngebiet am Ortsrand wird gerade fertig gestellt. "Weitere Neubaugebiete werden wir aber nicht mehr ausweisen", sagt Bauamtsleiter Josef Klaas. "Stattdessen setzen wir zukünftig auf Innenentwicklung." Möglich ist dies etwa in der Eichendorffstraße, einer typischen Wohnstraße mit kleinen Siedlungshäuschen aus den 1950ern auf relativ großen Grundstücken. Ein neuer Bebauungsplan erlaubt dort jetzt auch "Hinterlandbebauung", also die Errichtung eines Bungalows in zweiter Reihe auf dem eigenen Grundstück.

Aber auch in Südkirchen werden nicht mehr nur Eigenheime nachgefragt. "Wir wollen hier auch anderes Wohnen ermöglichen", sagt Klaas. "Die bezahlbare Wohnung für den Azubi oder für die alte Dame, der das eigene Häuschen zu groß geworden ist, die im gewohnten Umfeld bleiben möchte." Auf dem 4000 Quadratmeter großen Garten einer früheren Arztpraxis soll ein Wohnprojekt mit 34 Wohnungen entstehen, "günstig, barrierefrei und mit einem Gemeinschaftsraum". Nebenan, in einem ebenfalls aufgegebenen früheren Lebensmittelladen, saß vorübergehend eine Quartiersmanagerin, die gezielt Hausbesitzer angesprochen und nach deren Wünschen befragt hat. Ergebnis: Die Menschen machen sich Gedanken über den Mangel an sozialen Treffpunkten, altersgerechten Wohnformen und Einrichtungen.

Die Förderung für das Quartiersmanagement ist ausgelaufen. Aber vor wenigen Wochen ist eine von der Caritas betriebene Tagespflege in die ehemalige Arztpraxis eingezogen. "Das soll der Start für weitere altengerechte Angebote werden", so Klaas. Für den Hauptort Nordkirchen gibt es noch weitergehende Überlegungen für ein Wohngemeinschafts-Projekt speziell für ältere Bürger. In Dülmen soll jetzt für das Wohngebiet "Am Butterkamp" ein neuer Bebauungsplan erstellt werden, der die Siedlung "zukunftsfähig und klimagerecht" weiterentwickelt. In den anderen Projektstädten werden Möglichkeiten des Umzugsmanagements, der Nachbarschaftshilfe oder der Umnutzung verwaister Kinderspielplätze als Gemeinschaftsgärten diskutiert und ausprobiert. Das Münsterland macht seine Hausaufgaben.

© SZ vom 23.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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