Ressourcen:Haus aus Strand

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Idyll in Gefahr: Jährlich werden mehrere Milliarden Tonnen Sand abgebaut. Weil Material aus der Wüste als Baustoff nicht geeignet ist, werden vor allem Strände abgetragen. (Foto: imago)

Der weltweite Bauboom sorgt für eine steigende Nachfrage nach Sand. Viel Material wird illegal abgebaut, mit verheerenden Auswirkungen für die Umwelt.

Von Joachim Göres

Ein großes Baustellenschild am Strand von Spiekeroog. Eine "Prospektion zur Erschließung einer Sandlagerstätte" kündigt darauf das "weltweit operierende Unternehmen" Trans Crystal aus Abu Dhabi an. Eine Firma aus den Vereinigten Arabischen Emiraten will eine Voruntersuchung für den Sandabbau durchführen - diese Nachricht verbreitete sich auf der kleinen Insel im vergangenen Jahr wie ein Lauffeuer. Auf der Homepage von Trans Crystal erfuhren aufgebrachte Inselbewohner und Urlauber, dass der wertvolle Rohstoff aus Ostfriesland - "Sand ist Gold" - zur Landgewinnung sowie zur Glas- und Betonherstellung genutzt werden solle.

Die einen hielten das für einen Witz, die anderen sahen das Ende der Insel kommen. Beide hatten unrecht: Der Strand von Spiekeroog wird nicht abgebaggert, es gibt gar keine Firma Trans Crystal, das Schild hat der Konzeptkünstler Marcus Große aus Potsdam aufgestellt. Für ihn ist die Aktion alles andere als ein Witz, sondern ein Hinweis darauf, dass tatsächlich Raubbau betrieben wird. In Marokko beispielsweise ist bereits die Hälfte der Strände durch Sandabbau abgetragen worden. Auch in anderen Ländern wie Indonesien, Jamaika und Indien werden Strände zu Felsenküsten, mit drastischen Folgen für Tourismus, Fischerei und Küstenschutz.

Vom häufig illegalen Sandabbau profitieren vor allem die Wachstumszentren in aller Welt, in denen ein Bauboom herrscht. Denn der dort verbaute Beton besteht aus Kies, Wasser, Zement - und Sand. 15 Milliarden Tonnen Sand werden jährlich verbraucht, Tendenz steigend. Die Hälfte davon wird laut UN-Angaben in Flussläufen abgetragen, Sand, der eigentlich für die Meere bestimmt ist.

Kaum ein Land importiert mehr Sand als Dubai

Wüstensand gibt es zwar in rauen Mengen, aber er ist nicht zum Bauen geeignet, weil er zu glatt ist. Das Wüstenemirat Dubai importiert daher als weltweit größter Abnehmer für seine Inselprojekte eine Milliarde Tonnen Sand. Größter Lieferant ist Australien, wo sich vor der Küste Schaufelbagger bis zu 100 Meter tief eingraben. Dadurch sinkt der Grundwasserspiegel stark ab, sodass geschützte Feuchtgebiete zu versalzen drohen.

In Deutschland wurden 2013 laut Umweltbundesamt 338 Millionen Tonnen Steine und Kiese sowie 125 Millionen Tonnen Bausande und andere natürliche Sande für die Nutzung als Baumineralien abgebaut, vor allem in Kiesgruben (Näheres unter www.umweltbundesamt.de/Ressourcenbericht2016) - im Vergleich zu 1994 ein Rückgang um fast 30 Prozent.

Als Gründe für den gesunkenen Verbrauch nennt der Bericht den immer effizienteren Einsatz von Rohstoffen und die Zunahme von recycelten Materialien. Bei den Mineralien - Gesamtabbau 596 Millionen Tonnen im Jahr 2013 - entfällt der größte Anteil auf Nordrhein-Westfalen (123 Millionen Tonnen), gefolgt von Bayern (102 Millionen) und Baden-Württemberg (86 Millionen). Der Import von Bausand spielt laut Experten wegen der hohen Transportkosten keine große Rolle.

"Es gibt keine Sandgewinnung in Flussbetten in Deutschland. Aber es kann zur Nutzungskonkurrenz gegenüber dem Naturschutz kommen", erklärte Hermann Keßler, Leiter des Fachgebietes Ressourcenschonung beim Umweltbundesamt bei einer Veranstaltung der Bundeszentrale für politische Bildung, auf der es unter anderem um Alternativen zum großflächigen Sandabbau ging. Für Keßler gehört dazu das Überdenken der eigenen Lebensweise - der zunehmende Betonverbrauch hat auch mit immer größeren Wohnungen zu tun. Lag die durchschnittliche Wohnfläche in Deutschland laut Keßler 1998 pro Person noch bei 39 Quadratmetern, betrug sie 2013 bereits 45 Quadratmeter.

Der Berliner Architekt Daniel Fuhrhop veröffentlichte vor zwei Jahren das Buch "Verbietet das Bauen!" - ein provokativer Titel in Zeiten, in denen überall der raschere Neubau von Wohnungen verlangt wird. Fuhrhop fordert darin zum Schutz vergänglicher Ressourcen die bessere Nutzung bestehender Bauten. Ein positives Beispiel ist für ihn das Staatstheater Karlsruhe, dessen Foyer tagsüber als Uni-Bibliothek genutzt wird.

Ein anderer Ansatz ist der verstärkte Einsatz von Recyclingbeton aus aufbereitetem Bauschutt. In Ludwigshafen wurde 2010 das erste in Deutschland mit recyceltem Beton gebaute Einfamilienhaus errichtet (siehe www.rc-beton.de).

Experten hoffen, dass in Zukunft mehr recyceltes Material zum Einsatz kommt

Mittlerweile wird der sogenannte RC-Beton auch in Berlin und in Baden-Württemberg eingesetzt. "Er ist nicht teurer und hat dieselben Eigenschaften wie herkömmlicher Beton", sagt Florian Knappe, Teamleiter beim Ifeu-Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg und als solcher unter anderem für mineralische Bauabfälle zuständig. Er fügt hinzu: "Die Schweiz ist bei diesem Thema Vorreiter, dort liegt der Anteil von RC-Beton am gesamten verbauten Beton bei zwölf Prozent. In Deutschland wird viel weniger herkömmlicher Beton durch RC-Beton ersetzt." Knappe ist überzeugt, dass dieser Anteil künftig steigen wird - nicht zuletzt, weil neue beziehungsweise größere Kiesgruben und Steinbrüche wegen des dadurch entstehenden Lärms und der Staubemissionen auf immer stärkeren Widerstand der Bevölkerung treffen.

Bisher kann durch den recycelten Bauschutt nur neuer Kies und Naturstein eingespart werden. Der Einsatz von recyceltem Sand - er macht etwa 25 Prozent des Bauschutts aus - für Beton im konstruktiven Bereich ist in Deutschland nicht erlaubt. Das könnte sich ändern - so die Hoffnung von Wolfgang Breit. Der Professor für Werkstoffe im Bauwesen an der TU Kaiserslautern ist Initiator eines vom Bundesforschungsministerium geförderten Projektes, in dem auch die Verwendung von recyceltem Sand für die Produktion von Zement und Beton untersucht wird (im Internet: www.r-beton.de). "Recycelter Sand könnte künftig neuen Sand bei der Herstellung von Beton im Bauwesen ersetzen beziehungsweise ergänzen. Nach unseren bisherigen Erkenntnissen wird das wahrscheinlich klappen. Ende dieses Jahres werden wir die Ergebnisse des Projektes vorlegen", kündigt Breit an.

Für David Tudiwer, Mitarbeiter am Institut für Hochbau und Technologie der TU Wien, hängt der sinnvolle Einsatz von RC-Beton davon ab, wie groß der Transportaufwand für den Bauschutt ist. Auch er betont die Bedeutung des Einsparens von Beton: Für die Schaffung vergleichbarer Wohnflächen würden beim Bau von Mehrfamilienhäusern deutlich weniger Ressourcen verbraucht als bei Einfamilienhäusern. Zudem könne der Betonanteil durch regionale Materialien wie Holz, Kork, Flachs, Hanf, Stroh oder Lehmputz reduziert werden. Gleichzeitig unterstreicht er: "Nach dem heutigen Stand der Technik ist ein vollständiger Verzicht auf Sand im Bauwesen nicht möglich."

Umso wichtiger sei es, den Sandabbau weltweit stärker zu kontrollieren. Bisher gibt es international nur ein Abkommen, das sich direkt auf Böden bezieht - das UN-Übereinkommen zur Bekämpfung der Wüstenbildung. Keßler: "Wir brauchen internationale Verträge zum Schutz von Sand und anderen nicht nachwachsenden Ressourcen."

© SZ vom 17.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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