Reden wir über Geld: Karin Beier:"Leben - auch ohne Karriere wertvoll"

Die Intendantin Karin Beier über Regisseure mit goldenen Nasen, Spardiktate der Politik und Garagen-Theater.

Caspar Dohmen

Politiker sparen in Zeiten klammer Kassen gerne an Theaterhäusern. Die Kölner Intendantin Karin Beier kämpft dagegen. Aber sie hat mehr drauf als das übliche Genörgel über das Kaputtsparen der Kultur. Theater kann man auch in einer Garage machen, sagt die 44-Jährige. Der Verlust ihres Jobs mache ihr keine Angst - und in Indien hat sie gelernt, dass Geld und Glück nicht zusammenhängen müssen.

REGISSEURIN KARIN BEIER

Die Kölner Intendantin Karin Beier hat keine Angst vor der Krise. Sie sieht ihre Arbeit gelassen.

(Foto: dpa)

SZ: Karin Beier, reden wir über Geld. Was ist Ihnen daran wichtig?

Beier: Steuergelder helfen bei dem Versuch, interessantes Theater zu produzieren, ohne eine Gewinnabsicht verfolgen zu müssen. Steuergelder helfen Künstlern dabei, kreativ zu sein und von ihrer Arbeit zu leben. Das ist zwar ein großer Luxus, aber für unsere Gesellschaft auch ein lebensnotwendiger Luxus. Wenn sich Theaterschaffende ihre Brötchen statt mit ihrer Kunst mit etwas anderem verdienen müssen, dann ist das eine Zeit lang vielleicht möglich, auf Dauer reicht das aber nicht, die kulturellen Impulse zu geben, die unsere Gesellschaft braucht.

SZ: Wenn Sie morgen ihren Job als Intendantin verlören ...

Beier: ... bekäme ich keine Angst. Dann würde ich mir entweder als Regisseurin an den großen Häusern eine goldene Nase verdienen oder in der freien Szene für wenig Geld Theater machen und mich darüber identifizieren.

SZ: Waren Sie immer so gelassen?

Beier: Als ich mit der Regiearbeit begann, wurde gerade das Schiller-Theater in Berlin geschlossen. Es gab Proteste, und große private Existenzängste gingen bei vielen Menschen in der Theaterwelt um. Ich persönlich konnte da aber nicht ernsthaft mitzittern. Damals haben einige Kollegen diese meine persönliche Lebenshaltung als berufliche Stellungnahme missverstanden und waren dann ziemlich verärgert darüber, dass ich ihre Ängste nicht teilen mochte. Aber ich sagte nur, wenn ich unbedingt Theater machen will, dann kriege ich das schon irgendwie hin - auch unter schlechten Bedingungen. Und auch heute will ich mein Lebensglück nicht davon abhängig machen, ob die gesamtwirtschaftliche Situation dem Theater nun gerade Sommervillen baut oder doch nur Wellblechhütten.

SZ: Glück hängt nicht vom Geld ab?

Beier: Ich habe einmal in einem Kinderheim in Indien gearbeitet. Vorher dachte ich, es könne doch gar nicht anders sein, als dass diese Kinder unglücklich sein müssten. Dann habe ich dort aber das Gegenteil erlebt. Die Kinder waren bitterarm und die medizinischen Verhältnisse katastrophal. Und trotzdem hatten sie den Willen und die Kraft genauso glücklich und lebendig wie Kinder hier in unserem luxuriösen Deutschland zu sein. Natürlich kann Geld dabei helfen, glücklich zu sein, aber der Überfluss, in dem wir leben, verführt dazu, einen zwingenden, ursächlichen Zusammenhang zwischen Geld und Glück zu sehen - damit laufen wir Gefahr, am Glück vorbeizulaufen.

SZ: Ist Ihnen etwas wichtig, was sie nicht mögen?

Beier: Ja - meine Prägung durch die achtziger Jahre ist mir wichtig, gerade weil ich gewisse Aspekte dieser Prägung nicht mag. Nach den etwas flauen siebziger Jahren avancierte damals eine extreme Leistungsorientierung zum entscheidenden Kriterium, das darüber zu bestimmen schien, wie wertvoll, wie liebenswert ein Mensch ist. Dadurch sind viele, die damals ihre Jugend durchlebten, auf geradezu wahnsinnige Art erfolgsabhängig geworden. Heute bin ich soweit, dass ich diese Abhängigkeit meinem eigenen Kind gerne ersparen würde. Wenn ich damals mit 20 Jahren gesagt hätte, ich will keine Karriere, keine Leistungsspitzen, dann wäre das schwierig gewesen. Es hätte in meinem Umfeld wenig gegolten.

SZ: Und heute ist dies anders?

Beier: Ich glaube, der Wert, den man der beruflichen Karriere zumisst, ändert sich langsam. Vielleicht liegt dies auch daran, dass ich viele erfolgreiche Frauen um mich herum kenne, die mit Ende 30 oder Anfang 40 Kinder bekommen. Für uns werden unsere Kinder zum Zentrum - natürlich versuchen wir trotzdem noch, auch unseren Job vernünftig hinzubekommen, aber wir erkennen automatisch, dass es auch Wichtigeres auf der Welt gibt. Ich glaube, es könnte für uns alle von Gewinn sein einzusehen, dass auch ein Leben ohne Karriere wertvoll sein kann, dass es nicht gleichbedeutend mit Sozialschmarotzertum ist.

"Streichungen gehen immer zu Lasten der Kunst"

SZ: Mancher hat den Eindruck, die Finanzkrise wäre ein thematischer Jungbrunnen für das Theater.

Beier: Das Theater hat sich mehr politisiert und wird durch die Wirtschaftskrise befeuert. Wir haben am Kölner Schauspielhaus gemeinsam mit dem Thalia Theater die Kontrakte des Kaufmanns von Elfriede Jelinek uraufgeführt. Ich glaube, es wird noch einige spannende Arbeiten zur Finanzkrise auf den Bühnen geben, zumal wir noch nicht im Tal der Tränen angekommen sind, es wird noch enger. Davon gehe ich jedenfalls aus.

SZ: Kann man sich Stadttheater in Deutschland im bisherigen Umfang noch leisten?

Beier: Die Summen, über die wir hier reden, sind relativ gesehen zum Gesamtbudget der öffentlichen Haushalte eher gering. In einer reichen Gesellschaft wie der unseren ist das also keine Frage des Könnens, es ist eine Frage des Wollens. Und es gibt wirklich gute Gründe, sich das Stadttheater leisten zu wollen: Das Stadttheater-Modell in Deutschland ist einzigartig in der Welt. Es gibt nirgends solche Freiheiten und Möglichkeiten für Theatermacher. Das gilt auch für das Musiktheater - in der ganzen übrigen Welt gibt es zusammengenommen weniger Opernhäuser als in Deutschland.

SZ: Kann man auch in einer Garage gutes Theater machen?

Beier: Sicher, ich war ja selbst lange in der freien Szene tätig. Für bestimmte Theaterformen brauchen Sie aber einen Apparat. Das deutsche Stadttheater ist ein produzierender Repertoire-Betrieb, der beispielsweise auch die Inszenierungen eines Bob Wilson stemmen kann. Ohne die personellen, materiellen und finanziellen Ressourcen einer großen Bühne gäbe es diese Theaterformen gar nicht.

SZ: Kann man als Intendantin die Einnahmen durch die Stückauswahl gestalten?

Beier: Ich sehe uns als ein Institut, welches den Zuschauern etwas abverlangen darf. Hebbel, Grillparzer oder Jelinek sind anstrengend - aber ich finde es ist wichtig, dass das Publikum sich damit auseinandersetzt. Viele Zuschauer mögen es, dass man nicht in vorauseilendem Gehorsam das Niveau senkt.

SZ: Sie kämen nicht auf die Idee wie andere Intendanten freiwillig auf Subventionen zu verzichten und das Theater mit Musicals zu füllen?

Beier: Ich will Musical oder Komödie nicht abtun, aber da gibt es in einer Stadt wie Köln andere, die dieses Feld abdecken. Dann würde ich lieber zurück in die freie Szene gehen.

SZ: Welchen Anteil machen Schauspieler und Regisseure an den Gesamtkosten des Theaters aus?

Beier: Der Apparat mit seinen 750 Mitarbeitern für Oper und Schauspiel verursacht 80 Prozent fixe Personal- und Sachkosten. Nur 20 Prozent sind frei bewegliche Gelder für Kunst wie Regisseure, Ensemble oder Dramaturgen. Im Ensemble sind gerade einmal 20 Schauspieler. Bei Kürzungen schreit man auf, weil man an den Apparat nur langfristig ran kann. Streichungen gehen immer erst einmal zu Lasten der Kunst.

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