Praxisgebühr für Arztbesuche:Grandios gescheitert

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Die Praxisgebühr hat in den vergangenen sieben Jahren viel verändert - aber leider nichts zum Guten. Nun will sich die Regierung an die Reform machen. Sie sollte einsehen: Das Zehn-Euro-Experiment ist komplett fehlgeschlagen und gehört schnellstens abgeschafft.

Guido Bohsem

Es geht ums Geld. Sind die übrigen Auswirkungen der Praxisgebühr auch umstritten, eins ist sicher: Die zehn Euro Eintrittsgeld ins deutsche Gesundheitssystem bringen den Krankenkassen zusätzliche Einnahmen von etwa 2,5 Milliarden Euro im Jahr. Geld, mit dem sie einen Teil der ärztlichen Leistungen bezahlen. Geld, das von den Nutzern des Systems gezahlt wird, damit die Beiträge für die Nicht- oder Geringnutzer etwas niedriger bleiben. Auftrag erfüllt, alles gut?

Die Praxisgebühr ist ein fehlgeschlagenes Experiment: Menschen sollten nicht aus monetären Gründen von einem Arztbesuch abgehalten werden. (Foto: dpa)

Mitnichten. Als die Praxisgebühr 2004 eingeführt wurde, ging es um mehr als das Stopfen von Finanzlöchern. Ziel war auch, das Verhalten der Patienten zu ändern. Wenn der Besuch der Sprechstunde etwas koste, so lautete eine Überlegung, sinke der Anreiz, wegen jeder Kleinigkeit zum Arzt zu gehen. Mit der Praxisgebühr sollte dem Versicherten klargemacht werden, dass die medizinische Dienstleistung ihren Preis hat. Das Entrichten eines Monatsbeitrages dürfe nicht mehr zum notorischen Buffet-Verhalten führen, wo jeder versucht, so viel wie möglich für sein Geld zu ergattern.

Theoretisch leuchtet dieser Ansatz unmittelbar ein, in vielen Wirtschaftsfeldern hat er sich als wahr erwiesen. In der deutschen Arztpraxis ist er grandios gescheitert. Zwar gab es in den ersten Quartalen nach der Einführung der Gebühr tatsächlich einen Rückgang der Arztbesuche. Nach etwa einem Jahr war davon nichts mehr zu sehen. Inzwischen geht man davon aus, dass dieser Effekt vor allem entstand, weil die Menschen die Gebühr für schlimmer hielten, als sie war. Als Beleg hierfür mag auch der Umstand herhalten, dass sogar privat Versicherte kurzfristig seltener zum Arzt gingen als zuvor - und das, obwohl sie die Gebühr bis heute nicht zahlen müssen.

Natürlich gibt es auch Anhaltspunkte, dass die Praxisgebühr tatsächlich etwas verändert hat - nur leider nicht zum Guten. Untersuchungen zeigen, dass es allenfalls arme Menschen sind, die wegen der Gebühr ihren Arztbesuch aufschieben oder gänzlich darauf verzichten. Dies geschieht, obwohl es Regeln zum Ausgleich sozialer Härten gibt. Bedenkt man, dass die Mitglieder der unteren sozialen Schichten deutlich häufiger und schwerer krank sind als die Besserverdiener, zeigt sich der Widersinn. Die Praxisgebühr verhindert keine überflüssigen Arztbesuche, sondern - wenn überhaupt - nur die von armen Leuten.

Denkt also die Koalition nun über eine Reform der Praxisgebühr nach, ist das erst einmal gutzuheißen. Doch gehen erste Überlegungen dahin, jeden Arztbesuch mit einer Gebühr von beispielsweise fünf Euro zu versehen. Um das einzig Positive des Vorschlags gleich vorwegzunehmen: Die Krankenkassen kämen weiter an ihr Geld. Ansonsten darf man annehmen, dass auch dieser Ansatz seinen Zweck nicht erfüllt und sich sogar schlimmere Nebeneffekte einstellen als bei der derzeitigen Gebühr.

Bürokratieabbau ist nicht das Wichtigste

Was im normalen Wirtschaftsleben gilt, ist nur begrenzt auf das Gesundheitssystem zu übertragen. Ob jemand häufiger zum Arzt geht, hängt eben nicht vor allem von materiellen Erwägungen ab. Es hat auch mit Ungewissheit zu tun, damit, dass viele Menschen schon bei einem Husten nicht einschätzen können, ob sie nur erkältet sind oder eine chronische Bronchitis entwickeln.

Auf keinen Fall dürfen Menschen, die sich um ihre Gesundheit sorgen, aus monetären Gründen von ihrem Arzt ferngehalten werden. Um das zu verhindern, wäre ein ausgefeiltes System des sozialen Ausgleichs notwendig. Mit dem Ziel, Bürokratie abzubauen, ist es jedenfalls nicht ohne weiteres zu vereinbaren.

Das sollte die Koalition bedenken, wenn sie sich an die Reform macht. Und vielleicht noch das: Wenn es nur darum geht, weiterhin genügend Geld für die Kassen ranzukarren, gibt es effizientere Möglichkeiten als die Praxisgebühr. Sie ist ein fehlgeschlagenes Experiment und gehört abgeschafft.

© SZ vom 12.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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