Hongkong:Ohne Aussicht

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Unterkunft in Hongkong. Abseits der glitzernden Finanzwelt leben Hunderttausende in Armut. (Foto: Tyrone Siu/Reuters)

Share-Economy ganz anders: Zehntausende leben in fensterlosen Mini-Räumen, zu horrenden Preisen.

Ob es Tag ist oder Nacht, verrät der Raum nicht. Es gibt kein Fenster, nur eine Tür. Esther Hung öffnet sie, bittet ihre Besucher hinein. Es sind 30 Grad draußen - und drinnen. Esther schaltet den Ventilator an; träge bewegt er die warme Luft hin und her. Esther holt Klappstühle hervor, die an der Wand lehnen. Sie selbst setzt sich aufs Bett. Mehr Platz ist nicht. Esthers Wohnung - das sind zehn Quadratmeter.

"Subdivided Housing" ist der offizielle Begriff für die Wohnung, in der Esther mit ihrem Sohn Joe lebt. Manche sagen auch "Shoebox Flat", eine Wohnung so groß wie ein Schuhkarton. Weil in Hongkong Wohnraum knapp ist, schaffen die Hausbesitzer Platz, indem sie aus einem Apartment zwei oder drei machen. Übrig bleiben Winzigunterkünfte. Selbst kleinste Ecken im Parterre, die andernorts Besenkammern wären, werden zu Apartments erklärt. In einem solchen lebt Esther. Die monatliche Miete, die das Sozialamt übernimmt, beträgt umgerechnet rund 400 Euro. Macht 40 Euro pro Quadratmeter, mehr als doppelt so viel wie der Quadratmeterpreis in Deutschlands teuerster Stadt München.

An einer Wand steht ein Stockbett, unten schläft Joe, oben seine Mutter. Sie schlafen, sitzen, essen im Bett. Auch seine Hausarbeiten macht Joe dort. "Das ist bequemer als auf dem Stuhl", sagt der leicht dickliche Junge mit der hellblauen Hose und dem weißen Hemd, seiner Schuluniform. Außerdem will er den Tisch nicht aufklappen. "Dann geht die Wohnungstür nicht mehr auf, und auch der Kühlschrank lässt sich nicht öffnen." Also bleibt der kleine Holztisch die meiste Zeit zugeklappt. Joe soll sagen, wie es in der Schule war. Er sieht erst an die Decke, dann seine Mutter an. Joe ist elf, er will nicht reden.

Esther ist arbeitslos. Schon lange. Seit zwei Jahren steht sie auf der Warteliste für eine Sozialwohnung. Warten, das ist alles, was die 40-Jährige tun kann. Auf ihrem Etagenbett im künstlichen Licht einer Lampe. Nur manchmal, erzählt sie, gehe sie hinaus zum Schaufensterbummeln. "Was soll ich schon kaufen? Es ist sowieso kein Platz", sagt sie und zeigt auf Bett, Kühlschrank, Kommode, Plastikkisten mit Kleidung, das Regal über dem Bett mit Büchern, die Spüle und die elektrische Herdplatte. "Immerhin habe ich hier ein eigenes Bad." Das Bad ist Toilette und Dusche in einem; der Duschkopf hängt an der Wand über dem Klo. Wo sie vorher wohnte, musste sie das Bad mit anderen teilen. "Es gab viele alleinstehende Männer. Die Toilette sah eklig aus."

Bis eine Sozialwohnung frei wird, dauert es etwa vier Jahre

In Hongkong mit seinen sieben Millionen Einwohnern lebt fast jeder Dritte in einer Sozialwohnung. Etwa 285 000 Menschen stehen auf der Warteliste. Vier Jahre dauert es, ehe eine Wohnung frei wird. Bis dahin müssen sich die Menschen auf dem freien Wohnungsmarkt ein Apartment suchen. Und dort herrschen astronomische Preise. Nirgends sonst auf der Welt ist Wohnraum so unerschwinglich wie in Hongkong. Der Grund: 40 Prozent des Gebiets stehen unter Naturschutz, die bebaubare Fläche ist also begrenzt, und das, was genutzt werden darf, gehört zu großen Teilen einigen wenigen Immobiliengiganten. Die wollen möglichst viel Geld mit ihren Grundstücken verdienen und bauen dann Luxushochhäuser, in denen ein 20 Quadratmeter großes Apartment umgerechnet 900 000 Euro kostet.

Für Menschen wie Esther bleibt nur das, was die Hongkonger Regierung "inadequate housing" nennt: unangemessene Unterkünfte. 200 000 Menschen harren aus in Schuhkartons, auf Hausbooten, Hochhausdächern oder im schlimmsten Fall Drahtgestellen, den "cages" - Käfigen, die so groß sind, dass gerade eine Matratze hineinpasst. Zwar entstehen jedes Jahr neue Sozialwohnungen, aber eben nicht genug, um den stetig steigenden Bedarf zu decken.

Was sich Esther für die Zukunft wünscht? "Ein Fenster wäre schön", sagt sie und verabschiedet ihre Besucher. Auf der Fußmatte vor ihrer Wohnungstür steht: "Hello Kitty verleiht deinem Herzen ein Lächeln".

© SZ vom 08.07.2016 / KNA - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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