Griechenland:"Sie werden für unseren Kollaps bezahlen müssen"

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Katastrophe mit Ansage: Ein griechischer Informant hatte die EU-Kommission frühzeitig gewarnt, dass Athen falsche Defizit-Zahlen meldet.

Christiane Schlötzer

Manche sagen, er sei ein Nestbeschmutzer, ja ein Querulant, weil er sein Recht sucht. Irgendwann fing das an, da wurde der Grieche Themis Kazantzidis so wütend, dass er Briefe schrieb. Briefe nach Brüssel. Genau vor einem Jahr war das.

Da informierte der Arzt Kazantzidis Mitarbeiter des damaligen EU- Wettbewerbskommissars Joaquín Almunia über "die Absicht" der griechischen Regierung, "die wahre Dimension der Schulden des Gesundheitssystems" in seinem Land vor den europäischen Behörden "zu verbergen". Kazantzidis hatte offenbar gute Quellen. Die Angelegenheit, schrieb er, sei "extrem wichtig".

Rasanter Schuldenanstieg

Die griechische Schuldenkrise aber war damals, im März 2009, noch kein Thema, und Kazantzidis hatte das Gefühl, dass man seine Warnungen in Brüssel nicht verstand. "Bitte beachten Sie, dass die erwähnten Schulden jeden Monat um weitere 200 Millionen Euro steigen", schrieb er daher Anfang April in immer dringlicheren E-Mails an die EU-Kommission.

Die Verbindlichkeiten der staatlichen Krankenhäuser allein aus den vergangenen zwei bis drei Jahren, so Kazantzidis weiter, dürften nun bereits sechs Milliarden Euro betragen, "nicht weniger als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts".

Athen aber gab gegenüber Eurostat, der Statistikbehörde der EU, weniger als die Hälfte dieser Summe an. Das kann man inzwischen in einem offiziellen EU-Dokument nachlesen. In dem "Bericht der EU-Kommission zu den Statistiken Griechenlands über das öffentliche Defizit" vom Januar 2010 heißt es: Das griechische Statistikamt (ESYE) habe Brüssel im April 2009 und noch am 2. Oktober Klinik-Verbindlichkeiten in Höhe von nur 2,3 Milliarden Euro mitgeteilt - eine "vorsätzliche Meldung falscher Zahlen", wie die EU nun feststellt.

Eurostat hätte schon früher misstrauisch werden können. Auch für 2002 bis 2004 waren Schulden "in beträchtlicher Höhe" nie erfasst worden, wie es in dem EU-Bericht heißt. Danach hatte die Regierung in Athen zugesagt, der Vorgang würde sich nicht wiederholen.

Die EU-Statistiker aber hätten auch Kazantzidis glauben können. Der hatte gut recherchiert, und als ihm sein wichtigstes Beweisstück in die Hände fiel, da ließ er dies Brüssel ebenfalls wissen. Da war es schon Juni. Ein Abgeordneter der linksgerichteten Pasok-Partei - damals noch in der Opposition - schickte ihm eine Antwort des Athener Gesundheitsministeriums auf eine Parlamentsanfrage.

Darin werden für Ende 2008 tatsächlich Schulden der Hospitäler von 5,2 Milliarden Euro aufgeführt. Das eigene Parlament wollte das Ministerium nicht mit falschen Zahlen beschummeln. Das Papier trägt das Datum 14. April 2009. Etwa zur gleichen Zeit gingen die falschen Zahlen nach Brüssel.

Auf das griechische Parlament wirft der Vorgang auch kein gutes Licht, denn der Pasok-Politiker gab die Antwort aus dem Ministerium erst einmal zu den Akten. Ein Kollege des Mannes sandte sie Wochen später dann an Kazantzidis.

Der sagt über seinen Kampf gegen staatliche Misswirtschaft: "Das ist für mich eine Frage der Ehre." Eigentlich aber geht es dem 49-jährigen Mediziner um die Kontrolle durch die EU. "Was nützt es, wenn Europa Gesetze macht, die nicht umgesetzt werden?", fragt er und wünscht sich "einen Mechanismus, der dafür sorgt, dass die Regeln eingehalten werden müssen".

"Atmosphäre des Terrors"

Kazantzidis kennt sich mit Krankenhäusern aus, weil er selbst in Griechenland Medizinprodukte produziert hat. Früher gehörte er der konservativen Partei Nea Dimokratia (ND) an. Nach deren Wahlsieg 2004 hatte er den Versprechungen geglaubt, nun sei Schluss mit Betrug und Selbstbetrug.

Der Mann war bald enttäuscht. Vor allem, als er merkte, wie die Kliniken einkauften - ohne die Vorgaben der EU zu beachten, die Gleichbehandlung und Transparenz bei öffentlichen Aufträgen fordern. Der Streit, den Kazantzidis deshalb führte, ging bis zum Europäischen Gerichtshof. Griechenland wurde 2007 und noch einmal 2009 verurteilt. Kazantzidis meint, seitdem habe sich nicht wirklich etwas geändert.

Finanzminister Giorgos Papakonstantinou lässt nun von einer neu eingerichteten Kommission in Athen das eigene Statistikamt durchleuchten. Ein Mitarbeiter der Behörde hat da schon berichtet, die Statistiker hätten ihre Anweisungen "von oben" erhalten. Ein anderer sprach von einer "Atmosphäre des Terrors" im Amt. Die Statistiker kannten schließlich die richtigen Zahlen - und mussten die falschen weitermelden. Das Komitee ließ auch eine Beamtin des Gesundheitsministeriums kommen, die ein Dokument mit falschen Ziffern unterzeichnet hatte. Das Papier war in Englisch. Die Frau, die unterschrieb, aber sagte, sie könne kein Englisch. Warum sie dann unterzeichnet habe, wollte die Kommission wissen. Sie habe einem Kollegen nur einen Gefallen getan, sagte die Beamtin.

Kazantzidis möchte, dass es in seinem Land künftig keine solchen Gefälligkeiten mehr gibt. Deshalb schreibt er immer noch Briefe. Der griechische Finanzminister steht auch auf seiner E-Mail-Liste. 4,8 Milliarden Euro will der nun in seinem Etat sparen, in etwa so viel wie die Schulden der Krankenhäuser. "Wenn Griechenland sich aber nicht an die Regeln hält, werden diese Sparmaßnahmen gleich wieder aufgefressen", sagt Kazantzidis.

Schon in seiner ersten Mail an Almunia hieß es - und es klingt wie eine Prophezeiung -: "Dieses Problem betrifft nicht nur die Bürger Griechenlands", vor denen das wahre Ausmaß der Staatsschulden verborgen werde, sondern auch die Verantwortlichen der EU, weil sie "in Zukunft gefragt werden, die Kosten für den ökonomischen Kollaps einiger Mitgliedstaaten zu übernehmen".

© SZ vom 24.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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