Finanzwirtschaft:Nach der Tat ist vor der Tat

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Demokratiealarm: Die Finanzwirtschaft macht nach dem Börsencrash weiter, als ob nichts gewesen wäre. Und der demokratische Staat wehrt sich nicht dagegen.

Heribert Prantl

Die Wiedergutmachung eines Schadens gehört zu den allgemeinen Rechtsprinzipien. Wer einen Schaden anrichtet, von dem erwartet man, dass er sich um die Beseitigung des Schadens bemüht.

Nach dem Crash zurück zur Tagesordnung: Händler an der New Yorker Börse. (Foto: Foto: dpa)

Im Strafrecht nennt man diese Erwartung "Verhalten nach der Tat". Wenn sich ein Täter nach der Tat um sein Opfer bemüht, wenn er versucht, Leid, Schmerz und Schaden zu lindern - dann wird das, so steht es auch im Gesetz, strafmildernd berücksichtigt.

Das Furchtbarste, was ein Straftäter nach der Tat machen kann, ist , wenn er einfach so weitermacht, ohne Einsicht, ohne Reue, ohne Innehalten. Diese Defizite gibt es offenbar auch in der Finanzkrise: Nicht wenige Banken und Investmentfirmen machen einfach so weiter wie zuvor, sie zahlen maßlose Boni wie zuvor, sie spekulieren wie zuvor, sie riskieren Geld wie zuvor - nur ist es diesmal auch das Geld des Staates, das Geld des Steuerzahlers also. Nicht wenige der Groß-Finanzmanager sind renitent und intransigent - also stur, unbelehrbar und unverschämt.

Kapitaldelikte, nur noch viel schlimmer

Üblicherweise denkt man beim Wort "Kapitaldelikte" ja an Verbrechen gegen Leib und Leben. Nach den Erfahrungen, die man seit dem 15. September 2008, seit dem Zusammenbruch der Investment-Bank Lehman Brothers gemacht hat, kann man beim Wort Kapitalverbrechen auch an die Verbrechen denken, die mit Kapital angerichtet werden. In dem Strafrechtsparagraphen, der von Mord handelt, ist von "Habgier", von "niedrigen Beweggründen" und "gemeingefährlichen Mitteln" die Rede. Das sind Merkmale, die sich einem auch bei den neuen Kapitaldelikten aufdrängen - auch wenn diese strafrechtlich anscheinend kaum zu fassen sind.

Vom gewöhnlichen Straftäter sagt die Kriminalistik, dass er an den Tatort zurückkehrt. Das gilt so ähnlich auch bei den neuen Kapitaldelikten - da ist es diesbezüglich aber noch viel schlimmer: Da kehren die Täter von gestern nicht an den Tatort zurück, sondern sie sind einfach dort geblieben, haben eine Zeitlang Einsicht und Reue geheuchelt - und machen nun einfach so weiter wie zuvor.

Die Investmentbanker gehen wieder exakt den Geschäften nach, mit denen sie vor einiger Zeit die Welt fast an den Abgrund getrieben haben. Schlimmer noch: Sie machen ihre Geschäfte jetzt mit dem Milliarden-Geld, das sie dem Staat als Nothilfe abgeluchst haben. In der Welt des Strafrechts hätte ein so uneinsichtiges, freches, ja dreistes Verhalten massive Folgen - spätestens jetzt wäre wegen Wiederholungsgefahr Untersuchungshaft fällig. Die Finanzwelt meint dagegen, es seien noch viele weitere staatliche Milliarden fällig. Ihr Motto lautet: Genug kann nicht genügen.

Der Staat war von Teilen der moribunden Finanzwirtschaft offenbar nur als nützlicher Idiot gefragt: Der Staat sollte die angeschlagenen Flaggschiffe der Finanzwirtschaft in seine Docks schleppen und dort mit ungeheuer viel Geld reparieren, sie aber dann wieder in den kapitalistischen Ozean auslaufen lassen. Es scheint so zu funktionieren: Die kleinen Steuerzahler bezahlen die Reparatur, auf dass die alte Besatzung und die alten Passagiere wieder auf den alten Kurs gehen können. Wenn das wirklich so ist, erleben wir gerade den größten Betrug der Weltgeschichte.

Die Banken seien "systemrelevant", sagte der Staat, als er die Banken gerettet hat. Womöglich arbeiten einige nicht systemrelevant, sondern systemzerstörend. Die Finanzwirtschaft zerstört das Vertrauen in die Demokratie - und der demokratische Staat hilft dabei mit, weil er sich nicht ausreichend wehrt. Es ist Zeit für einen Demokratiealarm.

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