Finanzminister Schäuble und der Rettungsschirm-Hebel:Meister der Andeutung

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Keine Bestätigung, kein klares Nein, keine Fakten: Bei der Frage nach einem Hebel für den Euro-Rettungsschirm bleibt Finanzminister Schäuble unkonkret. Einige ärgern sich mächtig über diese Andeutungspolitik.

Stefan Braun und Claus Hulverscheidt

Die Spitze der Unionsfraktion ist gekommen, um endlich mehr zu erfahren. Sie will Details im Kampf gegen die Euro-Krise. Also sitzt der Vorstand der Fraktion am Dienstagmittag mit Wolfgang Schäuble zusammen. Wie ist die Lage? Was hat es mit den Hebel-Ideen zur größeren Wirkung des Euro-Rettungsschirms auf sich? Überhaupt: Was muss man von den Leitlinien für den Rettungsschirm erwarten, die diese Woche von der EU-Kommission vorgelegt werden?

Kein Ja, aber auch kein Nein, dafür reichlich Spielraum für Spekulationen: In der Debatte um einen Rettungsschirm-Hebel laviert Wolfgang Schäuble bislang nur herum. (Foto: Reuters)

Fragen sind das, die im Parlament und in der schwarz-gelben Koalition alle brennend interessieren. Und was macht der Finanzminister? Er erklärt allgemein, dass alle Banken "hebeln" würden, um Gewinne zu machen. So gesehen sei das Hebeln etwas ganz Normales. Dann erläutert er, dass die Pläne, mit zusätzlichem Geld der EZB zu hebeln, vom Tisch seien. Schließlich deutet er noch an, dass es aber natürlich Modelle gebe, die man zum Hebeln anwenden könnte. Auf Fragen von Abgeordneten, welche das sein könnten, hüllt sich Schäuble in Schweigen. Der Minister, wie er leibt und lebt. Er redet leise über mögliche Varianten. Aber er nennt keine Fakten - und bleibt so unkonkret, dass niemand behaupten könnte, er wisse, was kommt und was Schäuble genau vorhat.

Warum er das macht? Das ist gerade jetzt wieder die große Frage. Und jene, die es gut meinen mit dem Erfahrensten im Kabinett von Angela Merkel, nennen vor allem ein Motiv, das dem zugrunde liegen würde: Schäuble wolle absolut alles vermeiden, was den Bundestag, die Partner in Europa oder die Finanzmärkte verunsichern, verärgern, aufputschen könnte. Also verwendet er selbst in den inneren Zirkeln der Regierung nur Worte, die ungefährlich bleiben. Sollte von Schäubles Worten dennoch eines nach außen dringen, dürfe das weder im Bundestag noch bei den Partnern oder an den Finanzmärkten heftige Reaktionen auslösen. Schäubles Leben ist ein Leben im Glashaus. Deshalb mag er nicht einen einzigen Stein in die Hand nehmen.

Das ist die Interpretation der Wohlgesonnenen, die Schäubles verzwickte Lage als Erklärung heranziehen. Kritiker sehen das anders; Kritiker, die auch in der CSU oder der FDP sitzen, also der eigenen Koalition angehören. Sie ärgern sich über Schäubles besondere Spezialität - seine Andeutungspolitik. Sie halten das für intransparent und gefährlich. Und sie fühlen sich ausgeschlossen - was sie am meisten ärgert. So ist in der zentralen Aufgabe der Regierung eine Vertrauenskrise entstanden. Und das auch noch, ohne dass Schäubles Kampf gegen Spekulationen wirklich erfolgreich wäre. Denn obwohl (oder weil) er auch am Dienstag nur Andeutungen macht, entstehen im Strudel der Interpretationsmöglichkeiten wilde Spekulationen.

So meldet eine Zeitung prompt, Schäuble habe einer Hebelung des Rettungsschirms bis zu einer Höhe von einer Billion Euro das Wort geredet. Eine Meldung, die von der Unionsfraktion sofort dementiert wird. Die Zahl aber ist in der Welt, die Fraktionsführung fragt bei allen Abgeordneten nach, ob Schäuble so etwas in einem Zwiegespräch am Rande gesagt haben könnte - und in der Öffentlichkeit wird spekuliert, für welche Notfälle (Italien, gar Frankreich?) hinter den Kulissen ein Schirm gebastelt werde. Schäubles Vorsicht ist so verständlich wie gefährlich: Schon der kleinste Fehler, die kleinste Andeutung zum falschen Zeitpunkt kann dramatische Folgen haben. Gleichzeitig könnten klare Sätze manchmal mehr Sicherheit geben. Schäuble hat's schwer in diesen Zeiten. Und Schäuble ist schwer zu verstehen für seine eigenen Leute.

Das aktuellste Problem in diesem Zusammenhang - die Spekulationen um eine Hebelung des Euro-Rettungsschirms - hat seinen Anfang in der US-Hauptstadt Washington genommen. Am Nachmittag des 24. Septembers, einem Samstag, sitzt Wolfgang Schäuble in einem Saal des Internationalen Währungsfonds und müht sich, mit möglichst vielen Worten möglichst wenig zu sagen. Neben ihm hat Jens Weidmann Platz genommen, jener jugendlich wirkende Top-Beamte, der noch vor kurzem Angela Merkel als Wirtschaftsberater diente, nun aber als Bundesbankpräsident gleichberechtigt auf Fragen der Journalisten antwortet. Schäuble macht das zu schaffen - vor allem auch deshalb, weil Weidmann im Gegensatz zu ihm Klartext redet: Jede Form der Hebelung, bei der die Europäische Zentralbank oder nationale Notenbanken die Zeche zahlen müssten, sei mit ihm nicht zu machen.

Die Klarheit provoziert Nachfragen an den deutschen Minister. Alle wollen wissen, warum er nicht eingestehen wolle, dass über eine Hebelung zumindest diskutiert werde - wo doch Weidmann, EU-Währungskommissar Olli Rehn, US-Finanzminister Timothy Geithner und dessen französischer Kollege François Baroin längst drüber reden würden? Schäuble windet sich, will schweigen und verschlossen bleiben. Schließlich sagt er auf die Frage, ob er eine Ausweitung des Rettungsfonds EFSF auf Kosten der EZB für denkbar halte: "Es gibt andere Formen der Hebelung."

Eigentlich ist das ein typischer Schäuble. Keine Bestätigung, kein klares Nein, aber ein Spielraum für Spekulationen. Und damit löst er aus, was er vermeiden wollte: dass unmittelbar vor dem 29. September, dem Tag, an dem der Bundestag über die Erweiterung des Rettungsschirms abstimmt, eine heftige Debatte losbricht, ob der Rettungsschirm nicht schon längst wieder zu klein ist.

Immerhin ist es diese Debatte, die Schäuble wenigstens einmal zwingt, konkret zu werden. Als er vor der Abstimmung im Plenum redet, sagt er über den deutschen Garantierahmen von 211 Milliarden Euro, dieser werde "nicht erhöht" und stehe "nicht zur Debatte".

Sehr klar klingt das - und gilt dann doch nur einige Minuten. Denn wenige Sätze später sagt Schäuble den Satz der Sätze: "Niemand weiß, was die Zukunft bringt; das ist immer so gewesen." Es ist der Satz, der ihm alles wieder öffnet.

© SZ vom 20.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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