Einzelhandel:Der Charme der Filiale

Lesezeit: 4 min

Das Online-Geschäft wird immer wichtiger, und trotzdem investieren Händler stark in das stationäre Geschäft. Sie gehen in neue Standorte und modernisieren mit hohem Einsatz Filialen. Das funktioniert aber nicht überall.

Von Stefan Weber

Zum Beispiel Aachen: In den Kategorien der Immobilienbranche ist die alte Kaiserstadt im Dreiländereck zwischen Deutschland, Belgien und den Niederlanden eine B- bis C-Stadt. Das heißt, ihre Einwohnerzahl pendelt um die Marke von 250 000. Städte dieser Größe gehören nach Feststellung des aktuellen Gewerbe-Spiegels des Immobilienverbandes Deutschland (IVD) zu den derzeit besonders gefragten Einzelhandelsstandorten. Entsprechend sind dort die Mieten für große Geschäfte in Top-Lagen zuletzt sehr viel deutlicher gestiegen als in Großstädten mit mehr als 500 000 Einwohnern.

IVD-Präsident Jürgen Michael Schick begründet dies unter anderem mit "Ausweichbewegungen". Viele Einzelhändler prüften vermehrt eine Verlagerung ihrer Geschäfte in die Bestlagen von B- und C-Städten. "Nachdem die Mieten hier lange Zeit kaum dynamisch waren, ziehen sie jetzt wieder an", beobachtet Schick.

In mittelgroßen Städten ziehen die Mieten für Läden stark an

Wer sich in Aachen umschaut, sieht tatsächlich Anzeichen für eine solche Aufbruchstimmung, wenngleich es noch deutlich Luft nach oben gibt. Denn nach wie vor stehen viele Geschäfte im Zentrum leer. Und beim Blick auf den örtlichen Mietspiegel zeigt sich, dass die überwiegende Zahl der Läden zu Quadratmeterpreisen zwischen 10 und 50 Euro pro Monat vermietet wird. Mehr als 100 Euro können Vermieter nur an wenigen Top-Standorten verlangen. Aber es gibt auch neue Geschäfte, die sich mit eigenen Konzepten dem Markt stellen. Leuchtturmprojekt im Zentrum ist der Komplettumbau des Galeria-Kaufhof-Warenhauses an der Adalbertstraße. In mehreren Schritten erhält die in die Jahre gekommene Immobilie bis 2018 ein vollkommen neues Gesicht. Die Verkaufsfläche wird um 6000 Quadratmeter auf 21 000 Quadratmeter vergrößert. Wer eine Vorstellung haben möchte, wie das Warenhaus einmal aussehen wird, besucht am besten die Galeria-Kaufhof-Filiale an der Düsseldorfer Königsallee. Dort hatte der Handelskonzern im November seine Idee vom "Warenhaus der Zukunft" eröffnet - unter anderem mit einer deutlich erweiterten Schuh- und Wäscheabteilung, in der dreimal so viele Mitarbeiter beschäftigt sind als zuvor. Jetzt also Aachen. "Die Filiale hat eine große Strahlkraft. Sie zieht Menschen aus der Region sowie aus den Niederlanden und Belgien an", sagt Olivier Van den Bossche, der Vorsitzende der Geschäftsführung der Galeria Kaufhof GmbH.

Etwa eine Milliarde Euro will der seit Oktober 2015 zur kanadischen Hudson's Bay Company (HBC) gehörende Warenhauskonzern in den nächsten fünf bis sieben Jahren in Modernisierungen und Neugestaltungen von ausgesuchten Filialen investieren. Konkurrent Karstadt ist nicht ganz so offensiv. Aber immerhin haben die Essener in diesen Tagen in Berlin-Reinickendorf mit dem Neubau eines Warenhauses begonnen - mit einer schicken Glasfront und 10 000 Quadratmeter Verkaufsfläche auf vier Etagen. Es ist der erste Neubau seit drei Jahrzehnten.

Expansionspläne im stationären Handel gibt es auch anderswo: Die Supermarktketten Edeka und Rewe stecken in den nächsten Jahren Milliarden-Beträge in ihre Standorte. Die Kaufhaus-Kette Woolworth plant langfristig bis zu 200 weitere Filialen in Deutschland, und die Drogeriemarktkette Rossmann will allein in diesem Jahr bundesweit 110 neue Läden eröffnen. Auch andere Filialisten, vor allem aus den Bereichen Mode und Gastronomie, expandieren. Das sorgt für stabile bis leicht steigende Mieten in den Top-Lagen großer Städte und zieht nun auch die Preise für Läden in mittelgroßen Städten nach oben. Weniger gefragt sind allenfalls Standorte in Nebenlagen, insbesondere in Städten mit weniger als 100 000 Einwohnern.

Somit sind Handelsimmobilien nach wie vor auch ein gefragtes Investment. Nach Zahlen des Immobilienberatungsunternehmens CBRE wechselten 2016 Objekte im Wert von insgesamt 12,8 Milliarden Euro den Eigentümer. Das war zwar ein Drittel weniger als im Jahr zuvor, aber immer noch deutlich mehr als im langjährigen Durchschnitt umgesetzt wurde. Nur noch 19 Prozent der Investments entfielen auf die Top-7-Standorte (Hamburg, München, Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Köln, Stuttgart). "Aufgrund der deutlich limitierten Produktverfügbarkeit in den Top-Städten sowie des attraktiven Renditeniveaus weichen die Investoren verstärkt auf andere Standorte aus", stellt CBRE fest.

Selbst reine Online-Händler wie Zalando suchen inzwischen den direkten Kundenkontakt

Woher kommt die Begeisterung von Händlern und Investoren für das stationäre Geschäft? Klagen nicht viele Ladenbetreiber über rückläufige Passantenfrequenzen und die immer stärkere Konkurrenz aus dem Internet, die ihnen Geschäft wegnimmt? Dennoch investieren viele Händler in neue Standorte und modernisieren mit hohem Einsatz vorhandene Filialen. "Dahinter steht die feste Überzeugung, dass der stationäre Handel in vielen Branchen auch künftig eine wichtige Rolle spielen wird", heißt es in der Studie "Trends im Handel 2025", die der HDE Handelsverband Deutschland zusammen mit dem Handelsforschungsinstitut EHI, dem Beratungsunternehmen KPMG und den Marktforschern von Kantar TNS erstellt hat. Drei Viertel der von den Autoren befragten Bundesbürger erklärten, auch in Zukunft große Teile ihrer Einkäufe im stationären Handel abwickeln zu wollen. Dazu passt, dass sich das Wachstum im Onlinehandel seit 2013 etwas verlangsamt hat. Die Befragungsergebnisse lassen vermuten, dass die Konsumenten zwar immer öfter im Internet einkaufen, das Wachstum ist aber nicht mehr so groß, wie dies noch vor fünf Jahren der Fall war.

Im Handel geht es jedoch längst nicht mehr um die Frage online oder stationär, sondern um die Verknüpfung der beiden Vertriebswege. Multichannel. Denn der Kunde will Vielfalt: den Einkaufsbummel in der Stadt und die schnelle Beschaffung vom heimischen Wohnzimmer aus. Immer beliebter wird auch ein Mix der Kanäle. Also, die Ware im Internet bestellen und im Geschäft abholen. Der direkte Kundenkontakt ist auch der Grund, warum reine Onlinehändler wie Zalando stationäre Geschäfte eröffnen. Die Zusammenführung von online und offline spiegelt sich auch in den Anforderungen an eine Handelsimmobilie. So beobachtet Jörg Krechky, Experte für Handelsimmobilien bei Savills, dass Investoren immer stärker darauf achten, wie zukunftsfähig ein Standort und ein Objekt ist und ob er für eine Verknüpfung der Vertriebskanäle geeignet ist.

Das veränderte Einkaufsverhalten und die weiter zunehmende Bedeutung des Onlinekanals treiben die Ladenbetreiber zu verstärkten Investitionen an. Denn die Kunden benötigen zusätzliche Anreize, um Geschäfte zu betreten. So zieht immer mehr Technik in die Läden ein, und die Verkaufsflächen werden deutlich aufgewertet. Das EHI erwartet, dass die Händler ihre Läden zudem in immer kürzeren Abständen renovieren: "Darüber hinaus werden vergleichsweise feste Erneuerungsrhythmen zunehmend durchbrochen, indem parallel immer früher Teilrenovierungen vorgenommen werden."

Diese Trends werden dafür sorgen, dass attraktive Ladenlokale in guten Lagen weiter gefragt sein werden - in Metropolen sowieso, aber auch in kleineren Städten wie Aachen, die mehr zu bieten haben als nur Shopping und die zudem ein großes Einzugsgebiet haben. Schwer wird es dagegen für Standorte in Nebenlagen von Städten mit 50 000 bis 100 000 Einwohnern. Dort sind die Mieten nach Zahlen des IVD im vergangenen Jahr um durchschnittlich knapp drei Prozent zurückgegangen.

© SZ vom 03.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: