Die künftige Bundesbank-Vize im Gespräch:"Immer schön höflich bleiben"

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Wo sind die wunden Punkte der Bankenaufsicht? Die künftige Bundesbank-Vizepräsidentin Sabine Lautenschläger warnt vor Gefahren durch sogenannte Schattenbanken. Doch die 46-Jährige hält auch viel von Diskretion.

Helga Einecke und Markus Zydra

Sabine Lautenschläger ist gut gelaunt und räumt gern ein, dass dies auch noch die positiven Nachwehen ihres überraschenden Jobwechsels sind. Die 46-jährige Juristin geht als erste Frau in den Vorstand der Bundesbank und soll Stellvertreterin des neuen Präsidenten, Jens Weidmann, werden. Derzeit leitet sie die Bankenaufsicht bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin). Ihre Berufung ist ein Politikum; die Juristin, die als Pressesprecherin der Bafin angefangen hat, gibt sich cool, während sie - wie gewöhnlich - eine Tasse Darjeeling-Tee trinkt. Der muss es sein, kein anderer.

Die künftige Bundesbank-Vize Sabine Lautenschläger: "Natürlich werde ich noch viel lernen müssen." (Foto: dpa)

SZ: Frau Lautenschläger, Sie werden am 1. Juni als erste Frau in den Vorstand der Deutschen Bundesbank gehen. Sind Sie nervös?

Lautenschläger: Nein, ich freue mich auf die neuen Kollegen, gehe aber auch mit einer großen Portion Wehmut. In der Bafin kenne ich viele Mitarbeiter seit mehr als zehn Jahren; viele sind zu Freunden geworden. Aber es ist gut, etwas Neues anzufangen, es befriedigt die Neugierde und hält jung und flexibel. Mein Mann und meine Tochter, die ich gefragt habe, unterstützen die Entscheidung.

SZ: Sie werden als Vertreterin des Bundesbankpräsidenten im Rat der Europäischen Zentralbank dabei sein. Kennen Sie sich mit Geldpolitik überhaupt aus?

Lautenschläger : Der Bundesbankvorstand wird gemeinsam über die Verteilung der Zuständigkeiten entscheiden, aber selbstverständlich spielt Geldpolitik auch in meiner jetzigen Arbeit eine Rolle. Als Aufseherin muss ich verstehen, welche Wirkungen geldpolitische Maßnahmen für Institute mit sich bringen. Aber natürlich werde ich auch noch viel lernen müssen.

SZ: Was wird Sie in der Bundesbank erwarten?

Lautenschläger: Eine gut organisierte Institution mit hervorragend ausgebildeten Mitarbeitern. In der Bafin bin ich mit vielen der Mitarbeiter "groß" geworden; die dort herrschende Kultur habe ich verinnerlicht, zum Teil mitgeprägt. Bei der Bundesbank möchte ich mich schnell einfinden, zum Beispiel indem ich bei dem einen oder anderen Kollegen im Büro vorbeischaue.

SZ: Einfach mal so hereinschneien?

Lautenschläger: Warum nicht? Ich spreche Mitarbeiter gern direkt an, um mich schnell zu informieren.

SZ: Na, die werden sich freuen bei der Bundesbank.

Lautenschläger: Hier bei der Bafin sind sie das gewöhnt.

SZ: Wer hat Sie angerufen, um Ihnen den neuen Job anzubieten? Kanzlerin Angela Merkel oder Vizekanzler Guido Westerwelle?

Lautenschläger: Nur so viel: Es hat mich jemand angerufen.

SZ: Sie mussten sich binnen einer Stunde entscheiden?

Lautenschläger: Nein, nicht so kurzfristig. Aber ich hatte für die Entscheidung auch nicht Wochen Zeit.

SZ: Der Jobwechsel bringt Ihnen eine Verdreifachung des Jahresgehalts, auf nunmehr 300.000 Euro.

Lautenschläger: So genau weiß ich das noch nicht, aber es wäre ein erfreulicher Nebeneffekt. Geld ist nicht unwichtig, ich ernähre ja meine Familie. Allerdings geht es mir nicht um das Gehalt. Da hätte ich einen anderen Berufsweg einschlagen oder andere Angebote aus der Privatwirtschaft annehmen müssen.

SZ: Warum sind Sie nicht Anwältin geworden?

Lautenschläger: Weil ich merkte, dass ich keine Mandanten vertreten kann, mit deren Rechtsposition ich mich nicht identifizieren kann.

SZ: Sie waren nach dem Abitur im Mittleren Westen der USA, was haben Sie dort gelernt?

Lautenschläger: Mir wurde klar, wie sehr das Umfeld die Wahrnehmung prägt. Ich habe die US-amerikanische Vorstellung von europäischer Geschichte in einem College-Kurs kennengelernt. Die Daten stimmten und die Namen auch, aber der Rest war nicht das, was ich im Geschichte-Leistungskurs in Deutschland gelernt hatte.

SZ: Wie ging man mit Ihnen um?

(Foto: dpa)

Lautenschläger: Ich bin sehr freundlich aufgenommen worden, doch ich habe auch europäisches Gedankengut argumentativ gegen 25 amerikanische Mitschüler verteidigt.

SZ: Das hat bestimmt geholfen für die spätere Karriere.

Lautenschläger: Ja, ebenso wie die professionelle Freundlichkeit, die ich in Amerika gelernt habe. Für mich ist es wichtig, auch bei unangenehmen Botschaften höflich zu bleiben.

SZ: Hatten Sie als Aufseherin in der Bafin häufig unhöfliche Schlechte-Laune-Banker zu Gast?

Lautenschläger: Zweimal ist es mir tatsächlich passiert, dass Vorstände verbal aggressiv reagierten.

SZ: Wie gingen Sie damit um?

Lautenschläger: Freundlich, aber bestimmt. Als Aufseherin müssen Sie einem Vorstandsmitglied auch unangenehme Botschaften überbringen, ihm etwa erläutern, warum Sie seine fachliche Eignung in Frage stellen und ihn abberufen wollen. Menschlich ist das selbstverständlich hart.

SZ: Man hört selten von solchen Abberufungen.

Lautenschläger: Da wir den Aufsichtsrat des betroffenen Instituts vorab über die geplanten Maßnahmen informieren müssen, nutzt der Aufsichtsrat im Regelfall die Möglichkeit, vor der Aufsicht einzugreifen.

SZ: Und in der Zeitung steht dann, Aufsichtsrat und Vorstand hätten sich in bestem Einvernehmen getrennt?

Lautenschläger: Bankenaufsicht geschieht am besten hinter verschlossenen Türen.

SZ: Worauf achtet die Bafin?

Lautenschläger: Auf die wirtschaftliche Lage der Bank ebenso wie auf eine angemessene Geschäftsorganisation, oft wird jedoch der Faktor Kommunikation unterschätzt. Wichtig ist, dass Vorstand und Aufsichtsrat umfassend informiert werden, dass die Informationen in der Bank dort ankommen, wo sie gebraucht werden. Das sind wichtige S oftfacts hinter den Zahlen.

SZ: Kann man die Relevanz dieser sogenannten weichen Fakten für die Stabilität der Banken auch belegen?

Lautenschläger: Die Senior Supervisors Group, eine Gruppe von Aufsehern aus verschiedenen Ländern, hat sich vor drei Jahren die Global Player angeschaut. Die Institute, die gut durch die ersten Krisenwellen kamen, waren diejenigen, die flexible IT-Systeme aufwiesen, gut kommunizierten und in dieser Situation beispielsweise Hierarchie-Ebenen kappten. Die erfolgreichen Institute haben kein Silo-Denken zugelassen.

SZ: Der europäische Stresstest für Banken ist angelaufen, mancher meint, der Test sei zu lasch.

Lautenschläger: Das stimmt nicht, im diesjährigen Test wurden viele Annahmen, beispielsweise im Stress-Szenario, bedeutend härter gefasst.

SZ: Und warum wird nicht simuliert, wie die Banken einen Zahlungsausfall in Griechenland verdauen würden?

Lautenschläger: Warum sollte man das annehmen? Es gibt den europäischen Rettungsfonds EFSF.

SZ: Wie benoten Sie die deutschen Banken im vierten Jahr der Finanzkrise : Geben Sie schon Entwarnung?

Lautenschläger: Nein, wir brauchen den kritischen Blick auf die Institute. Wo sind die Ertragsquellen? Steigt der operative Gewinn? Oder nur der außerordentliche? Was machen die Kosten? Wie entwickeln sich die kritischen Geschäftsfelder? Wie zukunftsfähig ist die Bank?

SZ: Welche Fehler haben Sie als Aufseher vor und während der Finanzkrise gemacht?

Lautenschläger: Weltweit haben Aufseher, Ratingagenturen und Kontrollorgane unterschätzt, wie vernetzt die Marktteilnehmer sind, dass ein unreguliertes Geschäftsfeld in einem Land Auslöser für eine globale Krise sein kann. Wichtig ist, dass wir aus den Fehlern gelernt haben.

SZ: Die Ratingagentur S&P schätzt die Widerstandsfähigkeit deutscher Banken gering ein, weil Sie bei der Aufsicht zu spät auf die Krise reagiert hätten.

Lautenschläger: Diese Einschätzung ist mir zu vergangenheitsorientiert. Ich kann nicht erkennen, ob S&P die neuen gesetzlichen Befugnisse der Aufsicht, die Veränderung des Aufsichtsansatzes oder die Gründung des präventiv agierenden Risikokomitees in seine Bewertung einbezogen hat.

SZ: Der IWF sagt, Banken seien zu groß und komplex. Macht die Größe einer Deutschen Bank den Staat erpressbar? Muss man sie nicht zerschlagen?

Lautenschläger: Ich kann die Sorge um die Größe und Komplexität mancher Bank zwar verstehen. Ich glaube aber nicht daran, dass die Zerschlagung großer Banken das Risiko vollständig beseitigen würde. Ab welcher Größe besteht denn die Gefahr? Die Krise hat gezeigt, dass auch mittelgroße Institute in bestimmten Situationen systemisch relevant werden können.

SZ: Die japanische Finanzaufsicht bezeichnet die Deutsche Bank als die gefährlichste Bank der Welt.

Lautenschläger: Die Welt der Aufsicht ist nicht schwarz oder weiß; dazwischen gibt es viele Graustufen. Eine Gefahr für die Finanzmarktstabilität geht nicht allein von der Größe einer Bank aus. Entscheidend ist, in welchen Geschäftsfeldern die Bank tätig ist, ob sie Risikokonzentrationen aufweist. Diversifiziert ein Institut seine Geschäftsfelder und Ertragsquellen, dann reduziert es das Risiko trotz Größe.

SZ: Warum braucht Deutschland große Banken?

Lautenschläger: Deutschland ist eine Exportnation. Wenn ich als Exporteur Fremdwährungsrisiken nicht selber tragen will oder Begleitung ins Ausland benötige, brauche ich solche Banken. Würden wir auf große deutsche Institute verzichten, wären diese Märkte sehr schnell von ausländischen Instituten besetzt.

SZ: Na und?

Lautenschläger: Gegenfrage: Warum sollen nicht deutsche Institute, die hier auch Steuern zahlen, an deutschen Firmen verdienen?

SZ: Also macht Ihre Toleranz doch an bestimmten Grenzen halt?

Lautenschläger: Das hat nichts mit Toleranz zu tun. Ich gehe einfach davon aus, dass deutsche Banken an einer positiven Entwicklung der deutschen Realwirtschaft ein größeres Interesse haben als ausländische Banken. Deutsche Banken sind von einer positiven Wirtschaftsentwicklung ihres Heimatmarktes abhängig, werden also bei ihrem Verhalten gegenüber einem deutschen Unternehmen diese Abhängigkeit bei der Interessenabwägung mit einbeziehen und womöglich mehr Geduld aufbringen.

SZ: Wo sehen Sie die meisten Risiken für das Weltfinanzsystem?

Lautenschläger: Sorgen bereitet mir das sogenannte Schattenbanksystem. Wenn große Finanzplätze etwa ganze Geschäftsfelder in den unregulierten oder wenig regulierten Bereich verschieben, ist das damit verbundene Risiko zwar nicht verschwunden - doch für die Aufsicht dann nicht mehr zu erkennen.

SZ: Warum sollte das passieren?

Lautenschläger: Wenn das Geschäft im regulierten Bereich nur geringen Gewinn erwirtschaftet, dann kann es in weniger regulierte Bereiche wandern, wo man mehr Geld verdient. Das ist das Risiko der nächsten zehn Jahre.

SZ: Will man in Europa nicht ein Register für Schattenbanken einführen?

Lautenschläger: Selbst wenn - derartige Unternehmen ziehen ganz schnell um. Die sind beim Umziehen sogar flexibler als ich.

Sabine Lautenschläger-Peiter wurde am 3. Juni1964 in Stuttgart geboren. Ihr Jurastudium absolvierte sie 1984 bis 1990 an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn, das sie mit dem ersten juristischen Staatsexamen abschloss. 1994 folgte das zweite juristische Staatsexamen. Sie begann 1995 beim damaligen Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen in Berlin, zunächst als Referentin, später als Leiterin der Pressestelle. Diese Position führte sie auch nach Gründung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) weiter, und zwar bis 2004. Von 2005 bis 2008 leitete Lautenschläger die Abteilung "Aufsicht über Großbanken", seit April 2008 amtiert sie als Exekutivdirektorin Bankenaufsicht. Lautenschläger ist verheiratet und hat eine Tochter.

© SZ vom 28.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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